Der antiochenische Vorfall zwischen Petrus und Paulus (Gal. 2, 11ff)
Der Legalienstreit
Zurechtweisung des hl. Petrus durch den hl. Paulus
Als die beiden Apostel (Paulus und Barnabas) nach Antiochien zurückkehrten, brach der sog. Legalienstreit aus, der Streit über die Frage, ob die bekehrten Heiden sich dem mosaischen Gesetze, insbesondere der Beschneidung, zu fügen hätten, ob sie Proselyten der Gerechtigkeit werden müßten… Auf die Vorträge von Petrus und Jakobus (auf dem Apostelkonzil in Jerusalem) beschloß die Versammlung der Apostel, der Presbyter und der Gemeinde, daß Beschneidung und Gesetz den aus dem Heidentum Bekehrten nicht aufzulegen, für sie nur die Teilnahme an heidnischen Opfermahlzeiten, der Genuss von Blut und Ersticktem sowie die (den Heiden ganz gewöhnlich gewordene) Unzucht verboten sei. In einer Privatunterredung mit den Aposteln hatte Paulus sein Verfahren dargelegt, damit es von ihnen bekräftigt werde (obschon er aus göttlicher Eingebung handelte). Die Apostel billigten es und schlossen mit ihm einen Bruderbund; er sollte vorzugsweise für die Heiden wirken, wie Petrus und Jakobus für die Juden.
Betreffs der Judenchristen war in dem Aposteldekret nichts festgesetzt, und so bestand die Schwierigkeit fort, wie ein brüderliches Zusammenleben zwischen Beschnittenen und Unbeschnittenen möglich werde. Stillschweigend schien vorausgesetzt zu sein, daß die Judenchristen und die Apostel selbst der Beobachtung des Gesetzes sich ferner unterziehen würden; aber dann konnten leicht die Gemüter beunruhigt werden, zumal da den Israeliten auch getaufte Heiden für unrein galten und die Tischgemeinschaft mit ihnen für Befleckung gehalten wurde. Sicher glaubten die Apostel der Bruderliebe den Vorzug vor dem Ritualgesetze geben zu müssen; in Judäa aber, wo es nur Judenchristen gab, fehlte der Anlass, dies tatsächlich zu zeigen.
Als aber nachher Petrus nach Antiochien kam, wo das jüdische Gesetz nicht mehr Landesgesetz war, bot sich dazu Gelegenheit; ohne Bedenken pflog er mit den Heidenchristen Gemeinschaft des Hauses und des Tisches. Nun kamen aber Judenchristen aus Jerusalem von der Gemeinde des Jakobus an; da glaubte er zur Vermeidung des Ärgernisses und zur Wahrung seiner Wirksamkeit unter den Juden Palästinas sich von der Gemeinschaft der Heidenchristen zurückziehen zu sollen, welchem Beispiele die Judenchristen Antiochiens und selbst Barnabas folgten. Es war dies keine Verletzung des in Jerusalem gefaßten Beschlusses, denn dieser hatte über die vorwürfige Frage nichts entschieden; kein Mangel an sittlichem Mut, diesen hatte er oft genug bewiesen, sondern eine Ökonomie, eine Rücksicht aus wichtigen Gründen. Denn für ihn, der besonders die Bekehrung der Juden ins Auge faßte, schien das Sichzurückziehen von den Heidenchristen das geringere Übel; zudem war das jüdische Gesetz Nationalgesetz für alle Bürger und Angehörigen des jüdischen Landes.
Dennoch tadelte ihn Paulus entschieden, bezeichnete sein Verfahren als ein heuchlerisches, weil seine eigene Erklärung auf dem Apostelkonzil, das Gesetz sei selbst für die Juden ein unerträgliches Joch, sein bisheriges Verfahren, das er plötzlich aufgab, gegen ihn zeugten; dann weil seine Stellung in der Kirche den Heidenchristen einen moralischen Zwang zur Gesetzesbeobachtung aufzulegen schien und dieses Beispiel von den pharisäischen Gesetzeseiferern mißbraucht werden konnte. Die Antwort des Petrus ist nicht überliefert. Paulus verfocht nur das vorzugsweise von ihm vertretene Prinzip, daß die Heiden durch Annahme des Christentums gerechtfertigt und daher gereinigt seien, welches auch Petrus vertrat. Nur zog Paulus für das Verhalten in einer heidenchristlichen Gemeinde außerhalb Palästinas die weitere Folgerung, daß auch die Judenchristen hier die durch das mosaische Gesetz gezogenen Schranken aufgeben müßten. Die Misshelligkeit betraf keine Lehre des Glaubens, sondern das praktische Verhalten; auch war sie keine nachhaltige. Paulus beobachtete selbst das Gesetz bei Beschneidung des Timotheus und bei seinem Nasiräate mit Rücksicht auf die Juden. –
aus: Joseph Kardinal Hergenröther, Handbuch der allgemeinen Kirchengeschichte 1911, Bd. 1, S. 90 – S. 91