Auchkatholizismus ist Akatholizismus
Schon seit Jahren konnte man ganz inkorrekte Äußerungen aus dem Munde solcher vernehmen, die es für notwendig erachteten, gleichzeitig zu erklären, daß sie „auch katholisch“ seien, woraus bekanntlich der übliche Terminus „Auchkatholizismus“, der altbayerisch ausgesprochen so ziemlich mit Akatholizismus zusammenfällt, entstanden ist. Eines näheren Nachweises bedarf diese Tatsache nicht, da sie eine offenkundige ist. Es genügt, sie konstatiert zu haben.
Es war das gewiß eine höchst beklagenswerte Erscheinung, ein kaum zu ertragendes Ärgernis, die fruchtbare Mutter unzähliger Übel in der Kirche. Mittlerweile aber hat sich dieses Übel beinahe ganz ungestört und ungehemmt, da und dort sogar durch allerlei Tolerieren und Konnivieren (Nachsicht üben) begünstigt und gepflegt, immer weiter und weiter ausgebreitet, und in diesem Augenblicke hat es bereits Dimensionen erreicht, welche jeden erschrecken, der noch Klarheit und Ruhe genug besitzt, um sie wahrzunehmen, und Glauben und Liebe zur Kirche genug, um darüber sich zu betrüben und zu entrüsten.
Anschauungen, die zum alten katholischen Glauben sich nicht recht fügen, mitunter sogar im diametralen Gegensatz stehen oder nach Häresie und Schisma unverkennbar riechen, werden mitunter durch Männer verkündet, die sich rühmen, zwar keine römische Katholiken, aber doch auch Katholiken zu sein, und zwar wissenschaftlich und kritisch gebildete, gelehrte liberale Katholiken, die allein eine Zukunft hätten, wenigstens in den gebildeten Klassen.
Und in unseren gebildeten Kreisen? wie viel Auchkatholizismus! Darf man nicht fast sicher sein, daß die gebildeten Klassen der überwiegenden Mehrheit nach in allen Fällen, wo es sich um die Wahl zwischen einer angeblichen Forderung des Zeitgeistes und der alten Glaubenslehre, um kirchliches Recht auf der einen und politische Opportunität auf der anderen Seite handelt, regelmäßig zu Ungunsten der Kirche votieren werden? Das hindert aber die Votanten nicht, ernst und heilig zu versichern, daß sie auch katholisch seien. Werden nicht selbst in Kreisen, wo man das am wenigsten vermuten sollte, Behauptungen aufgestellt und verteidigt, die der apostolische Stuhl schon längst verworfen und mit scharfen Zensuren belegt hat, eine Verwerfung und Zensurierung, gegen welche der Episkopat der katholischen Welt keine Einsprache erhoben hat, so daß selbst nach gallikanischer Ansicht ein solcher Ausspruch des kirchlichen Oberhauptes als irreformabel zu betrachten sei? Geschieht das nicht unter der Versicherung, daß man auch katholisch sei?
Ist es nicht bei Vielen stehende Regel geworden, jene für ultramontan, einseitig und extrem, für ungebildet und unwissenschaftlich zu erklären, die in Allem fest und unbedingt an der altkatholischen Lehre festhalten und nicht auf Kosten des Glaubensgutes mit dem modernen Liberalismus eine Versöhnung wollen?
Und wenn wir an die Frage der lehramtlichen Unfehlbarkeit des Papstes erinnern, was hat man nicht alles zum Schaden des Primates und der kirchlichen Einheit und der Unfehlbarkeit der Konzilien dagegen vorgebracht? Wie ist man zu diesem Zwecke mit den ehrenwertesten Persönlichkeiten umgegangen? Wie hat man an den Aussprüchen der hl. Schrift und der hl. Väter und allgemeiner Konzilien herum gekünstelt? Mit welcher Frivolität hat man die Frage, um die es sich handelt, entstellt und verdreht, eine Frage, worüber von dem häretischen Jansenismus und dem verurteilten Gallikanismus in der Kirche völlige Stimmen-Einheiligkeit herrschte?
Und nun fragen wir: Hat es jemals in der Kirche einen solchen Zustand gegeben, ohne daß das Kirchliche Lehramt sich erhoben hätte? Ist einer solchen ins Weite getriebenen Blendung, Verwirrung und Fälschung, einem solchen Auchkatholizismus gegenüber, den sich jeder nach eigenem Gutdünken zurecht macht, keine schärfere Fassung der Kriterien der Katholizität das erste Notwendige? Kann uns etwas anderes aus dieser Verwirrung und Fälschung befreien, als die Wahrheit, die offen und klar dargelegte Wahrheit? … –
aus: Matthias Joseph Scheeben: Das ökumenische Concil vom Jahre 1869, Bd. 2, 1870, S. 183 – S. 184