Nach der Synode von Pisa: Drei Päpste bis zum Konzil von Konstanz
In seiner vielfachen Bedrängnis durch das Vorgehen der Kardinäle und deren Erfolge fand Gregor XII., wenn auch von den Höfen und Bischöfen verlassen, noch viele Sympathien. Derselbe hatte am Fronleichnamstag (6. Juni 1409) seine Synode in Cividale del Friuli bei Aquileja eröffnet, bei der geringen Teilnahme von Prälaten sodann auf den 22. Juli die zweite Sitzung anberaumt, immer noch von König Ruprecht und den Venetianern Förderung erwartend. In der zweiten Sitzung wurden Urban VI., Bonifaz IX. und Gregor XII. für rechtmäßige Päpste, Robert von Genf, Peter de Luna und Peter (Philargi) von Candia für sakrilegische Gegenpäpste erklärt, die Beschuldigung des Meineids zurückgewiesen. In der dritten Sitzung (5. September) ließ er erklären, er sei bereit, zu resignieren, wenn de Luna und Philargi ein gleiches täten und ein neuer Papst von zwei Drittteilen eines jeden der jetzigen drei Kardinalkollegien gewählt werde; Zeit und Ort der Zusammenkunft bezüglich der Abdankung sollten die Könige Ruprecht von Deutschland, Ladislaus von Neapel und Sigismund von Ungarn bestimmen. Er erteilte den drei Königen, falls sie gegen ihn im Gehorsam verharrten, für ein Jahr und sogar für ein zweites unbeschränkte Vollmacht behufs Ausführung dieser Punkte.
Allein bald sah sich Gregor von den auf die Seite des Pisaner Papstes getretenen Venetianern und dem durch ihn entsetzten Patriarchen Anton von Aquileja mit Gefangenschaft bedroht; er musste verkleidet auf den von König Ladislaus gesandten Schiffen entfliehen. Nach einem Aufenthalt in Ortona am Adriatischen Meer ging er nach Fondi und ließ sich dann, nur von einem sehr kleinen Hofstaat umgeben, in Gaeta nieder. Manche seiner Leute blieben noch länger in Cividale, wo sie so gut behandelt wurden, daß Gregor der Stadt dafür dankte; nur sein Kämmerer, der zur Erleichterung seiner Flucht päpstliche Gewänder angelegt hatte, ward von den Soldaten des Anton von Aquileja misshandelt. Inzwischen entriss Ludwig III. von Anjou, der von Alexander als König von Neapel anerkannt und zum Großbannerherrn der römischen Kirche ernannt worden war, mit Hilfe des Kardinaldiakons Cossa dem König Ladislaus mehrere von diesem besetzte Orte des Kirchenstaates und 1410 auch die Stadt Rom, wo nun Alexander V. als Papst ausgerufen ward. Dieser, der einen Teil des Winters in Pistoja zugebracht hatte, hätte nun in Rom seinen Sitz nehmen können; aber er zog, dem Willen des Kardinals Cossa folgend, mit ihm nach Bologna, wo Cossa als Legat schaltete. Hier starb Alexander am 3. Mai 1410. Das Konklave stand ganz unter dem Einfluss Cossas, für den auch Ludwig von Anjou viele Kardinäle zu gewinnen wußte; man wies Malatestas Anträge bezüglich einer Vertagung der Neuwahl zurück und wählte am 17. Mai eben diesen Cossa, der sich am 24. Mai zum Priester weihen, tags darauf konsekrieren und als Johannes XXIII. krönen ließ.
Baldassare Cossa Nachfolger von Alexander V.
Cossa war weltlich gesinnt und irdischen Interessen ergeben, schlauer Politiker und Hofmann, ohne ängstliche Gewissenhaftigkeit und Sittlichkeit, mehr Kriegsmann als Kleriker, durch seine bisherige Tätigkeit dem geistlichen Stand entfremdet. Er stammte aus einer verarmten Adelsfamilie Neapels, studierte in Bologna die Rechte, erhielt von Bonifaz IX. die Stelle eines Kämmerers, seiner administrativen und kriegerischen Talente wegen geschätzt. So ward er 1402 Kardinaldiakon von St. Eustach und Legat von Bologna. Aber er war geld- und ehrsüchtig, beleidigte mehrfach die beiden Nachfolger seines Wohltäters, trotzte ihnen und wurde die Seele der gegen Gregor XII. angezettelten Verschwörung, darum auch von diesen (14. Dezember 1409) „Sohn des Verderbens und Zögling der Gottlosigkeit“ genannt. Nach seiner Wahl erließ er von Bologna aus, wo er noch ein Jahr blieb, ein Rundschreiben zur Bekanntgabe seiner Erhebung und zur Bestätigung mehrerer Dekrete seines Vorgängers, erneuerte am 21. Juli die Dekrete von Pisa gegen die beiden andern Päpste, wie es schon Alexander am 31. Januar getan hatte, und suchte durch Gesandtschaften ihnen alle Anerkennung zu entziehen. Auch an ihn gelangten Zessions-Forderungen, die er zurückwies, zumal da er eine viel größere Obedienz habe als seine Gegner.
Zu seinem Vorteil starb schon am 18. Mai 1410 der deutsche König Ruprecht, der standhafte Vertreter der Legitimität Gregors XII. Das Deutsche Reich hatte aber eine Zeitlang, gleich der Kirche, drei Häupter: Wenzel von Böhmen, der noch nicht entsagt hatte, dessen Bruder, den König Sigismund von Ungarn, und dessen Vetter, Markgraf Jost von Mähren; doch starb letzterer schon am 17. Januar 1411, und am 21. Juli ward Sigismund, der schon mit Cossa in Verbindung getreten war, neu gewählt und mit seinem Bruder versöhnt. Durch Ludwig von Anjou beredet, ging Cossa am 13. April 1411 nach Rom, um mit größerem Nachdruck den Krieg gegen König Ladislaus, Gregors Beschützer, zu betreiben und einen Kreuzzug gegen ihn zu verkünden. Am 19. Mai errang Ludwig einen großen Sieg bei Roccasecca über Ladislaus; doch konnte letzterer, da der Sieg nicht verfolgt ward, seine Kräfte wieder sammeln und das Vordringen Ludwigs gegen Neapel verhindern, der zuletzt enttäuscht nach Frankreich zurückkehrte. Dazu hatte Karl Malatesta von Rimini fast ganz Ämilien für Gregor XII. erobert, und aus Bologna ward Cossas Legat verjagt.
Die Politik des Gegenpapstes Johannes XXIII.
Um dem Dekret von Pisa nachzukommen, verkündigte Johannes XXIII. am 29. April 1411 ein neues allgemeines Konzil, das am 1. April 1412 in Rom eröffnet werden sollte. Er ernannte dann 14 meist tüchtige und angesehene Männer zu Kardinälen, darunter Peter d`Ailly, Bischof von Cambrai, Ägidius Deschamps, Bischof von Coutances, Robert Hallam, Bischof von Salisbury, Franz Zabarella von Florenz, Wilhlem Filastre, Dekan von Reims. Am 11. August sprach er nochmals den Bann über König Ladislaus und lud ihn auf den 9. Dezember vor das päpstliche Tribunal. Als er nicht erschien, ward er seiner Würden verlustig erklärt und anathematisiert; aber dieser gewann immer neue Kräfte.
Johannes und Ladislaus, beide einer selbstsüchtigen Politik ergeben, suchten sich bald zu verständigen. Die im Juni 1412 eingeleiteten Verhandlungen führten am 16. Oktober zu dem beiderseits gewünschten Ziel. Ladislaus überzeugte sich jetzt von der „Rechtmäßigkeit der auf göttliche Eingebung erfolgten Wahl“ Johanns, gelobte ihm mit Preisgabe Gregors XII. Gehorsam und erhielt von ihm die Belehnung mit dem Königreich Neapel, die Genehmigung zur Okkupation der dem König von Aragonien und der Obedienz Benedikts unterworfenen Insel Sizilien, das Ehrenamt eines Gonfaloniere der römischen Kirche, viele Vergünstigungen und eine große Summe Geldes.
Gregor XII., den er verraten, wies die ihm angebotene Pension von 50000 Goldgulden ungeachtet seiner tiefen Armut ab und ging auf venetianischen Schiffen unter vielen Gefahren, welche die von Cossa ausgestellten Wachtschiffe bereiteten, an die dalmatinische Küste, dann nach Cesena und fand zu Rimini unter dem Schutz des ihm befreundeten Hauses Malatesta ein Asyl. Die Wahl Sigismunds zum deutschen König war auch von Gregor XII. approbiert worden, und nach den Vorgängen des Jahres 1412 sandte dieser Papst den Kardinal Johannes Dominici als Legaten nach Ungarn, um mit dem König in Beziehungen zu treten. Der Gesandte Gregors wurde vom König gut aufgenommen; damals wurde wohl auch über die Union durch das Mittel eines allgemeinen Konzils verhandelt.
Notwendigkeit eines Konzils zur Behebung des Schismas
Zur Vorbereitung für das bevorstehende römische Konzil hielt der französische Klerus seit Beginn des Jahres 1412 Versammlungen. Man sprach viel gegen die Pensionen der Kardinäle und die Abgaben an den päpstlichen Stuhl, deren Beseitigung für die meisten Franzosen und Deutschen die Hauptsache der Reform war. Der König bestimmte als Vertreter Frankreichs auf dem Konzil den Kardinal d`Ailly, den Patriarchen Cramaud (der am 13. April 1413 ebenfalls Kardinal ward), den Bischof Bernard de Chevenon von Amiens u.a. Doch kamen nur sehr wenige Prälaten nach Rom und diese sehr langsam; Johannes musste öfter die Synode vertagen, und außer der Verdammung Wiclifitischer Schriften entfaltete dieselbe keine Tätigkeit; im März 1413 trat eine Vertagung bis zum September ein; der Ort sollte noch besonders bestimmt werden. Da brach Ladislaus von Neapel, der sich von Cossa abwandte, im Mai 1413 in das römische Gebiet ein und nötigte den von ihm anerkannten Papst samt dessen Kardinälen zur schleunigen Flucht nach Florenz. Während der treulose König in Rom die größten Grausamkeiten beging und Anstalten traf, Johannes womöglich aus Italien zu vertreiben, suchte dieser Schutz bei den christlichen Monarchen und besonders bei dem gerade in Oberitalien weilenden König Sigismund. Dieser, an den auch der eifrige Unionsfreund Karl Malatesta sich gewendet hatte, war überzeugt und sprach es deutlich aus, daß nur ein allgemeines Konzil Einigung und Reform der Kirche bewirken könne und daß ihm an der Bestimmung des Ortes viel gelegen sei.
Johannes, dem es vor allem auf des Königs Schutz und Beistand ankam, gab den Legaten, die er an ihn sandte, Vollmacht, sich darüber mit ihm zu verständigen, und Sigismund benutzte die Bedrängnis Johanns, um die Berufung des Konzils zustande zu bringen. Die Legaten ließen sich die von Sigismund vorgeschlagene Reichsstadt Konstanz als Sitz des Konzils gefallen, was für Johannes sehr unbequem war. Sigismund lud schon am 30. Oktober 1413 die gesamte Christenheit sowie Gregor XII. und Benedikt XIII. nach Konstanz ein und ließ sich von Johannes, der mit ihm in Piacenza und dann in Lodi zusammen traf, nicht mehr von Konstanz abbringen, ja er erwirkte, daß dieser in Lodi am 9. Dezember 1413 die Konvokationsbulle mit der Aufforderung zum Erscheinen am 1. November 1414 erließ. Als Zweck des Konzils wurde bezeichnet: Aufhebung der Spaltung, Ausrottung der Häresien, Reform der Kirche an Haupt und Gliedern.
Die neue Synode soll über Rechtmäßigkeit des Papstes entscheiden
Johannes musste sehen, daß das Konzil von Pisa, auf das er allein seine Ansprüche auf die Tiara stützen konnte, nicht so über jede Anfechtung gestellt war, wie er es wünschte, vielmehr sehr fraglich ward, ob zu Konstanz nicht das Werk von Pisa zerstört werde. Noch bestanden die beiden anderen Obedienzen fort, und Sigismunds Gesandte am französischen Hof hatten geäußert, die neue Synode solle entscheiden, wer der rechtmäßige Papst sei. Nur Frankreich, das sich durch Sigismunds Vorgehen verletzt fühlte und auf die Einladung nach Konstanz mit großer Kälte antwortete: „Niemand werde dahin zu gehen verhindert“, hatte ein Interesse an der Aufrechthaltung Johanns, den es für den unzweifelhaften Papst erklärte; Deutschland hatte eher ein entgegen gesetztes.
Andere Fürsten hielten an Benedikt XIII. fest; für ihn erklärte sich (22. Januar 1414) Ferdinand von Aragonien und Sizilien und wies zugleich die Superiorität, die Sigismund „kraft kaiserlicher Rechte“ geltend machte, nachdrücklich zurück. Über Johannes XXIII. hatte sich in seiner eigenen Obedienz eine sehr ungünstige Stimmung verbreitet; es waren mehrere Schriften erschienen, die seinem vermeinten Recht sehr entgegen waren und auch auf seine Abdankung oder Absetzung hinzielten. Einige Schriftsteller (wie Dietrich von Niem) hoben die Schwierigkeiten jeder Reform durch das Konzil hervor, schilderten die Missbräuche der Kurie Johanns, tadelten die zu große Zentralisation und die päpstliche Machtfülle; andere (wie der Benediktinerabt Andreas von Randuf) suchten diese Schwierigkeiten zu lösen, stimmten aber in der Schilderung der Missbräuche mit den ersteren überein und forderten Beschränkung der Papstgewalt durch das Konzil; die meisten setzten Johanns Legitimität voraus, aber einige meinten, auch er sei zur Abdankung zu bewegen oder zu zwingen. Einige glaubten, in Pisa sei alles in der Ordnung geschehen, während andere meinten, es sei dort alles ohne gehörige Überlegung in leidenschaftlicher Weise ausgeführt worden, es sei daher ein besseres, vollkommeneres und heiligeres Konzil von Nöten, auf dem keiner der drei Päpste den Vorsitz führen dürfe.
Aber auch die päpstliche Gewalt wurde bekämpft, viele Rechte des Primats von Betrug und Usurpation hergeleitet, die Gesamtheit der Gläubigen über das Haupt gestellt, eine Reihe der radikalsten Vorschläge entwickelt, einem unbegrenzten Neuerungsdrang Raum geboten. Bei den deutschen Autoren machte sich viel Groll über die geschwächte Kaisermacht geltend, die man nicht den Trägern des Kaisertums, sondern den Päpsten zur Last legte, die Sigismund wieder aufzurichten wohl die Lust, aber nicht die Macht und das Geschick besaß.
Gegenpapst Johannes XXIII. reist nach Konstanz
Da sowohl Frankreich als England, sowohl Italien als Spanien durch Kriege und Parteiungen geschwächt waren, konnte Sigismund, damals weit über seine Bedeutung hinaus gefeiert, durch das in einer deutschen Stadt versammelte Konzilium einen hohen politischen Einfluss erlangen, und alles schien ihm, dem für hohe Pläne nicht unzugänglichen Fürsten, günstig, seit er den von der Mehrheit der christlichen Staaten als Papst anerkannten Johannes für seine Absichten gewonnen hatte. Dieser sah durch den plötzlich am 6. Augsut 1414 erfolgten Tod des gefürchteten Ladislaus, der im März abermals in Rom eingedrungen war, seine politischen Verlegenheiten gehoben; er konnte von Bologna nach Rom zurückkehren, wo seine Anwesenheit um so mehr nötig schien, als dort eine Partei die Republik proklamierte, eine andere aber päpstlich gesinnt war; er konnte so der entfernteren Gefahr sich entziehen, die ihm von Konstanz drohte, wohin er, wie einige Freunde ihm bemerkten, leicht als Papst ziehen konnte, um als Privatmann zurück zu kehren. Aber die Kardinäle stellten ihm vor, seine Anwesenheit auf dem Konzil sei dringend nötig, er müsse sein gegebenes Wort halten und die kirchlichen Angelegenheiten vor allem ins Auge fassen, während er die weltlichen Angelegenheiten auch durch Legaten besorgen lassen könne. Mit schwerem Herzen entschloss sich Johannes zur Reise nach Konstanz, zu der ihm sowohl Sigismund als der Stadtrat jegliche Freiheit und persönliche Sicherheit gelobten und verbrieften. Er sandte den Kardinal von Viviers, Bischof von Ostia, behufs der nötigen Vorbereitungen voraus und trat am 1. Oktober 1414 von bologna aus mit großem Gefolge und vielem Geld den Weg an. In Tirol gewann er eine Stütze an dem mit Sigismund gespannten Herzog Friedrich von Österreich, den er zum obersten Hauptmann der päpstlichen Truppen und zu seinem geheimen Rat ernannte und mit dem er ein enges Bündnis abschloss. Auf der Reise zeigte er sich bedenklich und schüchtern; die Keckheit des kriegerischen und gewaltigen Kardinals war völlig verschwunden. –
aus: Joseph Kardinal Hergenröther, Handbuch der allgemeinen Kirchengeschichte Bd. III, 1915, S. 138 – S. 144