Das Aufhebungs-Breve Klemens XIV gegen die Gesellschaft Jesu
… hat Papst Klemens XIV. durch diesen Aufhebungsakt auch die Zeugnisse seiner Vorgänger aufgehoben und unwahr gemacht? Wenn nicht, warum verschweigt man alle jene, um bloß diesen hervor zu heben?
Aber auch an Klemens XIV. täuscht man sich selbst, und täuscht über ihn Andere; denn auch Klemens XIV. hat in seinem Aufhebungs-Breve, zwar die Beschuldigungen angeführt, welche gegen die Gesellschaft erhoben worden sind, und erklärt, wie Alles, was seine Vorgänger für sie und zu ihren Gunsten getan haben, die Wut ihrer Feinde nicht beschwichtigen, nicht zurück halten konnte, aber er hat sie nicht verurteilt, nicht für schuldig erklärt; sondern sie, gleich seinen vielen und großen Vorgängern, für ganz unschuldig gehalten, und, wie er meinte, nur notgedrungen geopfert. Er hat sie für unschuldig gehalten; denn selbst in dem Breve der Aufhebung mißt er ihnen keine Schuld bei, wie selbst der Protestant Schöll, der übrigens mit großer Befriedigung alle Beschuldigungen aufzählt, die man über sie erdichtet hatte, bemerkt:
„Dieses Breve verdammt weder die Lehre, noch die Sitten, noch die Disziplin der Jesuiten. Die Klagen der Höfe gegen den Orden sind die einzigen Motive, welche für dessen Unterdrückung angeführt werden, und der Papst rechtfertigt dieselben durch frühere Beispiele von Orden, welche unterdrückt worden seien, um sich den Anforderungen der öffentlichen Meinung zu fügen.“
Was dieser Papst über sie urteilte, hat er in folgenden Worten ausgesprochen: „Wir teilen die Schätze der himmlischen Gaben, zu deren Ausspender Uns der Allerhöchste machen wollte zum guten Teil denjenigen mit, von welchen Wir hören, daß sie von der Liebe gegen Gott und den Nächsten, und vom Eifer für die christliche Religion getrieben, mit aller Sorgfalt das Heil der Seelen befördern. Unter diese zählen Wir auch die Ordensmänner der Gesellschaft Jesu.“ (Bullar. Rom. Contin.) Im Aufhebungs-Breve selbst trifft er allerlei Fürsorge für die Mitglieder der Gesellschaft, und gibt als Grund an: „Um Jedem der Mitglieder dieser Gesellschaft, von der Wir alle Individuen zärtlich im Herrn lieben, Hilfe und Trost zu verschaffen, auf daß sie, von allen Verfolgungen, Widersprüchen und Trübsalen, denen sie bisher ausgesetzt waren, befreit, mit desto größerer Frucht den Weinberg des Herrn bebauen können.“ Er hat sie, wie er meinte, notgedrungen aufgehoben; denn er empfand den tiefsten Kummer und Schmerz über diesen Akt, und er rief oft unter Tränen aus: „Ich habe es gezwungen getan! Ich habe es gezwungen getan.“ (Compulsus feci! Compulsus feci!)
Und wie wurde er dazu gezwungen? Die Männer der ungläubigen Aufklärung und der unsittlichen Kunst und Wissenschaft, welche sich gegen die katholische Kirche und gegen den christlichen Staat verschworen hatten, wußten Minister und Höflinge für ihre Grundsätze zu gewinnen; diese täuschten und betrogen die schwachen Fürsten und Könige: Josef von Portugal, Ludwig XV. Von Frankreich und Karl III. von Spanien, welche nun mit allem ihrem Ansehen zu Rom auf die Unterdrückung der Gesellschaft Jesu hinarbeiteten. Rom widerstand. Die Fürsten griffen zur Gewalt, vertrieben die Jesuiten ohne Verhör und ohne Urteilsspruch aus ihren Ländern und aus den Missionen, warfen sie in die Kerker, töteten sie, schleppten sie an die Küsten der päpstlichen Staaten, wo sie dieselben aussetzten, nahmen dem Papst die Grafschaft Avignon, Pontecorvo und das Herzogtum Benevent, und drohten ihm mit dem Schisma in ihren Reichen, wenn er den Orden der Gesellschaft Jesu nicht unterdrücken wollte. Klemens XIII. widerstand mannhaft allen diesen grausamen Gewalttätigkeiten, und starb vor Schmerz über die Leiden der heiligen Kirche. Das war der Stand der Dinge, als Lorenz Ganganelli unter dem Namen Klemens XIV. den päpstlichen Thron bestieg. Aber auch er bestrebte sich den Sturm zu beschwören, bemühte sich, die feindlichen Höfe zu beschwichtigen, und suchte Zeit zu gewinnen, um einer ruhigen und vernünftigen Überlegung in den erhitzten Gemütern Platz zu verschaffen. Aber von den gottlosen Ministern gedrängt, welche die Unterdrückung der Gesellschaft um jeden Preis forderten, eines Teils seiner Staaten beraubt, mit dem furchtbarsten Schisma bedroht, von den Fürsten in der Ausübung seines oberhirtlichen Amtes gehemmt, glaubte er endlich von zwei Übeln, wie er meinte, das geringere wählen zu müssen, und opferte die Gesellschaft Jesu, um mit diesem Opfer, so schmerzliches ihm auch fiel, die Wut der Feinde der Kirche, wie er hoffte, mäßigen zu können. Das ist die Tatsache, und als solche ist sie in der Geschichte festgestellt.
Wer wagt es nun, den Steuermann zu tadeln, wenn er, von dem furchtbarsten Sturm gedrängt, nach seiner Überzeugung es für notwendig hielt, einen Teil der Waren, und wären sie auch noch so kostbar gewesen, über Bord zu werfen, um den andern Teil, das Schiff und sich selbst zu retten? Aber welcher Vernünftige wird auch behaupten, daß diese Waren den Sturm veranlaßt, das Schiff in Gefahr gebracht, und den Steuermann genötigt haben, sie ins Meer zu werfen; besonders wenn nach dieser Erleichterung des Schiffes und nach dem Untergang dieser Waren der Sturm noch viel ärger, wütender und verheerender raste, als zuvor? Oder war es nach der Aufhebung der Gesellschaft etwa nicht also? Sind nicht die Kirche und die christlichen Reiche auf das Schauderhafteste verheert und verwüstet worden? Sind nicht eben jene Könige ihrer Eiche beraubt, in die Verbannung geschickt und selbst aufgehoben worden? Ist nicht der Papst selbst in die Gefängnisschaft abgeführt worden? Ist Europa, ist der Erdkreis nicht seit 1773 bis auf den heutigen Tag wie ein immerfort donnernder Vulkan der entsetzlichsten Umwälzungen und Zerstörungen durch alle Schichten der Menschheit? Ist etwa auch dies noch das Werk der vernichteten Gesellschaft Jesu?
Die Gesellschaft Jesu hat für die Menschheit gearbeitet, gekämpft, gelitten, geopfert, geblutet, zuletzt für sie ihr Haupt auf den Altar des Gehorsams gegen den Statthalter Jesu Christi gelegt, und unschuldig unter dem Schwert seines Willens dem Tode sich geweiht. Undankbare Menschen! Warum lästert ihr sie noch dafür? –
aus: Georg Patiß SJ, Die Anklagen gegen die Gesellschaft Jesu, 1867, S. 17 – S. 21