Die Verfluchung des Feigenbaumes

Die Verfluchung des Feigenbaumes durch Jesus*

Am Abend kehrte Jesus mit den Zwölfen nach Bethanien zurück. Des andern Tages (1), als er mit seinen Jüngern wieder in die Stadt ging, hungerte ihn. (2) Er ging deshalb auf einen Feigenbaum zu, der vereinzelt am Wege stand und Blätter hatte, um zu sehen, ob er etwa Früchte daran fände; er fand aber nichts als Blätter; denn es war nicht Feigenzeit. Da sprach er zu ihm: „Niemals esse jemand Frucht von dir in Ewigkeit!“ (3) Und seine Jünger hörten es. Hierauf kamen sie nach Jerusalem. Da nun Jesus in den Tempel eingetreten war, begann er die Käufer und Verkäufer hinaus zu treiben, und die Tische der Wechsler und die Stände der Taubenhändler warf er um und ließ nicht zu, daß jemand ein Gefäß durch den Tempel trug. Und er lehrte und sprach zu ihnen: „Steht nicht geschrieben: Mein Haus wird ein Bethaus genannt werden für alle Völker; ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht?“ (siehe dazu den Beitrag: Mein Bethaus ist keine Räuberhöhle) Als dies die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Häupter des Volkes hörten, trachteten sie, wie sie ihn töten könnten; aber sie fanden kein Mittel, denn das ganze Volk hing an ihm und hörte auf ihn. Und er lehrte täglich im Tempel. Am Abend aber verließ er die Stadt und kehrte nach Bethanien zurück.
Am andern Morgen (4), da sie wieder am Feigenbaum vorüber gingen, sahen die Jünger, daß er von der Wurzel aus verdorrt war. Und Petrus erinnerte sich des Fluches und sprach: „Meister, siehe, der Baum, dem du geflucht hast, ist verdorrt!“ (5) Jesus aber sprach zu den Jüngern. „Habet Glauben an Gott!“ Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr Glauben haben werdet und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht nur das an dem Feigenbaum tun; sondern wer immer zu diesem Berg sprechen wird: Hebe dich und stürze dich ins Meer, und nicht in seinem Herzen zweifelt, sondern glaubt, daß alles, was er sagt, geschehen werde, – so wird es geschehen. (6) Darum sage ich euch: Alles, um was ihr im Gebet it Glauben bitten werdet, das wird euch gegeben werden.“

Anmerkungen:

(*) Die meisten Kritiker erblicken in dieser Geschichte nur eine Weiterbildung des Spruches vom Baum (Mt. 3, 10; 7, 19) und der Parabel vom unfruchtbaren Feigenbaum (Lk. 13, 6). Einen andern Grund als ihr Dogma von der Unmöglichkeit der Wunder haben sie nicht, um die geschichtliche Glaubwürdigkeit einer Erzählung zu bestreiten, die durch Augenzeugen (Matthäus, Petrus als Gewährsmann des Markus) erhärtet ist.

(1) Am Montag, den 11. Nisan (3. April 30).
(2) Dies deutet darauf, daß er die Nacht, wie sonst öfter, in Fasten und Beten zugebracht hatte, um sich auf den letzten Kampf ähnlich vorzubereiten wie auf sein öffentliches Lehramt, uns zum Heil und Vorbild.
(3) Obwohl die Hauptzeit der eigentlichen Feigenernte noch nicht gekommen war – das will Markus sagen mit der Bemerkung: „Es war nicht Feigenzeit“ – ließ der Feigenbaum in seinem prächtigen Laubschmuck schon frühe Feigen oder wenigstens einige Spätlinge erwarten; „denn in der Regel beginnt die Scheinfrucht (d. i. fleischige Blütenstand-Achsen, die eine schützende Hülle um die wirklichen Früchte bilden) des Feigenbaumes sich schon vor den Blättern zu entwickeln, wie schon Plinius bemerkte (16, 26, 113), und außerdem setzt der Baum meistens zweimal im Jahr nach und nach Früchte an.“ (Fonck, Streifzüge durch die biblische Flora 113f) Allein es zeigte sich, daß der Baum hier verwildert war und darum all seine Kraft in die Blätter vergeudete. Jesus wußte dies selbstverständlich, auch ohne daß er nachsah. Allein er ging mit seinen Jüngern hin, weil er ihnen in diesem Baum ein sprechendes Bild des Judenvolkes zeigen wollte, dem selbst der Sohn Gottes vergebens predigte, trotz der größten Wunder, die er wirkte, und dessen ganzes geistiges Leben in den Zeremonien aufging, anstatt daß es Werke der Gerechtigkeit und Liebe hervor gebracht hätte; darum wurde es auch von Gott verflucht und verworfen, so daß es ganz verdorrte und, vom Geist Gottes verlassen, nur noch wie ein abgestorbener Baum ohne Früchte des Lebens dasteht bis zum Ende der Zeiten, wo Gott sich desselben wieder erbarmen wird. Dies ist denn auch der Inhalt der folgenden Strafreden und Prophezeiungen. Die Worte des Herrn also sind keineswegs „starker Ausdruck des Unbehagens über seinen Hunger“, noch weniger Ausbruch eines „leidenschaftlichen Zornes“, sondern die ganze Begebenheit wird durch ihre Natur und durch den Zusammenhang der Erzählung bei den Evangelisten, wie schon die Väter (Origenes, Hilarius, Hieronymus, Augustinus u.a.) betonen, als eine parabola facti, d. h. als eine tief bedeutsame, symbolische Handlung (Tatgleichnis) dargestellt. Daß die Apostel die Bedeutung des Symbols im Augenblick nicht verstanden, beweist nichts; denn auch den Sinn der Parabeln haben sie nicht immer sofort zu ergründen vermocht (z. B. Unkraut, Senfkörnlein, Sauerteig). Wenn der Heiland an das Wunder eine Lehre über die Macht des vertrauensvollen Gebetes anknüpft, so steht dies mit der symbolischen Bedeutung nicht im Widerspruch, sondern weist nur auf eine andere Seite des Ereignisses hin: aus der Macht, die das Wort ihres Meisters hat, sollen sie für die schweren tage und Prüfungen, die ihnen bevorstehen, lernen, daß sie in festem Glauben durch vertrauensvolles Gebet alle Hindernisse und Schwierigkeiten überwinden (bildlich: „Berge versetzen“) können. (Vgl. Fonck, Die Wunder Christi I 446ff)
(4) Vgl. Is. 56, 7 und Ir7, 11. Sie machten den Tempel zu einer Räuberhöhle durch ihren Geiz und ihre Habsucht, da sie für Geld diese Entheiligung des Hauses Gottes gestatteten und dadurch den frommen Heiden, denen der Zutritt in den äußersten Vorhof erlaubt war, das ruhige Beten unmöglich machten.
(5) Dienstag, den 12. Nisan (4. April 30)
(6) Die Beziehung auf das jüdische Volk sollte ihnen durch die folgenden Parabeln klar werden; darum hebt Jesus jetzt nur die Beziehung hervor, die den Glauben der Jünger stärken konnte. – Wei übrigens das jüdische Volk verdorrte und dem Leben für Gott abstarb, so geht es jeder einzelnen Seele, die die Gnaden Gottes nicht benutzt, um die Früchte der Tugenden und guten Werke hervor zu bringen. Sie wird schließlich von Gott verlassen und stirbt dann dem übernatürlichen Leben ganz ab. – So plötzlich, wie dieser Feigenbaum verdorrte, sinkt auch der Gottlose, vom Fluch Gottes getroffen, von seiner vermeintlichen Höhe herab. (Vgl. Ps. 36, 35f)

aus: Schuster u. Holzammer, Handbuch zur Biblischen Geschichte, Zweiter Band, Das Neue Testament, 1910, S. 407-409

Der Feigenbaum den Jesus verfluchte

(Mt. 21, 18-20; Mk.11, 12-14)

„Denn es war noch nicht die Zeit der Trauben,“ ist die Stelle, wodurch einige Schwierigkeit entsteht, indem man nicht einsehen will, warum Jesus diesen Feigenbaum wegen seiner Unfruchtbarkeit verfluchte, da doch die Zeit der Trauben nicht war. – Diese Schwierigkeit hebt sich durch folgende Erklärung. Es gab in Judäa, besonders am Ölberge und in der Gegend von Jerusalem, verschiedene Gattungen von Feigenbäumen ; einige trugen in zwei oder drei Jahren nur einmal, einige aber trugen alle Jahre einmal, andere auch zweimal, wieder andere und viele sogar dreimal. Die Frühfeigen wurden gegen das Ende des Junius, die Sommerfeigen im August, die Winterfeigen gewöhnlich im November und Dezember reif, von diesen letzteren aber blieben einige, da sie wegen Abgang der gehörigen Wärme nicht völlig reif wurden, den Winter über an den Bäumen und erreichten erst in den Monaten Februar und März ihre Reife. So erzählt ein Reisender, der Palästina durchwanderte, laut Calmet’s Angabe. (Siehe auch Schaw Reiseb. S. 296.) Nach dem Zeugnisse Theophrast’s hist. plant. 1. 4. c. 2. und des Plinius 1. 13. c. 8. und I. 15. Cc. 18. gab es auch eine Art Feigenbäume, die beständig grünten, und allezeit Früchte trugen, wovon einige schon völlig reif, oder nach der Jahreszeit schon sehr weit in der Reife gekommen waren, wo sich andere noch in den Knospen oder in der Blüte befanden. Überhaupt pflegen die Feigenbäume schon Knospen und unreife Früchte zu haben, ehe sie vollkommen Blätter bekommen. Da nun dieser Feigenbaum Blätter hatte, so war er einer von jenen Feigenbäumen, die beständig grünten und allzeit Früchte trugen, die zu verschiedenen Zeiten reif wurden, oder er war ein Winter-Feigenbaum, von dessen Feigen, wie schon bemerkt worden, einige noch im Februar und März an den Zweigen hingen. Die Blätter berechtigten wenigstens zu dem Schlusse, er müsse einer von den seltenen Feigenbäumen sein, und schon, oder noch vom Dezember her, Früchte haben. Wäre dieser Baum kein unfruchtbarer Baum gewesen, so hätte er Früchte haben müssen, da er aber keine Früchte hatte, so war er unfruchtbar. Der Heiland suchte also mit Recht Feigen, und da er keine fand, konnte er dem Baume mit Recht den Fluch geben. Der Ausdruck des heiligen Evangelisten: „Es war die Zeit der Feigen noch nicht“, ist nicht nur später gesetzt, als er gesetzt werden muß (solche Versetzungen finden sich mehrere, wenn nämlich der heilige Evangelist den ganzen Sinn der vorher gehenden Worte nicht unterbrechen wollte), sondern muß auch noch mit dem Zusatz „allgemein“ erklärt werden, so daß es heißt: „Es war noch nicht die allgemeine Zeit der Feigen, die Zeit, wo es aller Orten Feigen gab.“ Die Gegend von Bethphage zeichnete sich vorzüglich durch häufige Feigenbäume aus, woher dieser Ort auch seinen Namen haben mochte, da (Phag) im Hebräischen eine Feige heißt; diesem nach waren wohl mehrere Feigenbäume in der Nähe des Heilandes, aber sie hatten keine Blätter, nur von ferne sah er einen Feigenbaum mit Blättern, auf diesen ging er also zu. Der Sinn ist folglich dieser: „Da sah er von ferne einen Feigenbaum, der Blätter hatte, und ging auf ihn zu, weil alle übrigen Feigenbäume um ihn herum erst anfingen, zu grünen, indem es noch nicht die allgemeine Zeit der Feigen war, noch nicht die Zeit, wo allenthalben Blätter und Feigen an den Bäumen anzutreffen waren, auf diesen ging er also zu, ob er auch Früchte habe; allein er hatte ungeachtet der vielen Blätter, die doch erwarten ließen, daß der Baum auch Früchte habe, keine Frucht. Da sprach Jesus zu ihm, und sagte: „Nun esse Niemand’ etc. Es findet sich bei Michäas 7, 1. eine Stelle, auf welche Jesus anzuspielen scheint, in welcher sich der Prophet beklagt, daß so Wenige seien, welche Früchte der Gerechtigkeit bringen. Er sagt: „Weh` mir, denn ich bin geworden wie Einer, der im Herbste nach der Weinlese Trauben sammelt, es ist aber keine Traube da zu essen, und umsonst habe ich Verlangen getragen nach frühzeitigen Feigen!“ Es ist dadurch die große Unfruchtbarkeit an guten Werken ausgedrückt, welche so selten seien als Trauben nach der Weinlese, und die Feigen im Frühling. Auch Jesus konnte dieses sagen, daß er bei dem von Gott so gesegneten, mit so vielen Wohltaten überhäuften Volk, wodurch es einem immer grünenden Feigenbaum, der nie ohne Früchte sein sollte, verglichen werden kann (der Feigenbaum ist ein Sinnbild des Segens, Jer. 5, 7. 8, 13, Os. 2, 12. Agg. 2, 19), keine Früchte wahrer Buße, wahrer Frömmigkeit fand, und wollte also durch eine symbolische Handlung zeigen, daß dieses Volk verworfen werde. Das Übrige siehe bei Matth. 21, 18 — 22.

aus: Franz Xaver Maßl, Erklärung der heiligen Schriften des Neuen Testamentes, Dritter Band, 1841, S. 5-7

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