Die Erschaffung der Welt
(Gen. 1, 1-2,3)
Die richtige Erklärung des biblischen Schöpfungsberichtes hängt davon ab, unter welchen Gesichtspunkten man seinen Ursprung, seine Überlieferung, seinen Zweck, Wortlaut und historischen Charakter betrachtet. Wir bemerken darüber folgendes:
1. Der biblische Schöpfungsbericht beruht seinem wesentlichen Inhalt nach auf göttlicher Offenbarung, die nicht erst Moses, sondern den Stammeltern gegeben wurde. Diese Offenbarung war notwendig, wenn die Menschen über ihr Verhältnis zu Gott, ihr (übernatürliches) Ziel und Ende sichere und ausreichende Kenntnis haben sollten. Über die Form derselben lassen sich nur Vermutungen aufstellen; möglicherweise handelt es sich um eine Vision, wie sie für die Erschaffung des Weibes (2, 21) ausdrücklich bezeugt ist. Doch lassen sich daraus sichere Schlußfolgerungen über die Fassung des Berichtes nicht ziehen. (1)
2. Die ursprüngliche Offenbarung war zunächst Gegenstand der mündlichen Überlieferung, die aber schon lange vor Moses schriftlich aufgezeichnet worden sein kann. Die schriftliche Fassung ist dem inspirierten Verfasser oder Moses, der den überlieferten Bericht an die Spitze seiner Erzählung gestellt hat, zuzuschreiben. Darauf weist sowohl die volkstümliche Ausdrucksweise als auch die einfache und doch kunstvolle Anordnung (Gliederung) des Stoffes hin. Es wird zuerst die Schöpfung von Himmel und Erde im allgemeinen (V. 1 u. 2), dann das Sechstagewerk in zwei sich genau entsprechenden Abschnitten erzählt, so daß auf die drei ersten Tage das Werk der Scheidungen (V. 3-13), auf die drei letzten das Werk der Ausschmückungen (V. 14-25) fällt, woran sich dann die Erschaffung des Menschen (V. 26-29) und die Einsetzung des Sabbats (2, 1-3) reiht. (2) Daß die schriftliche Fassung erst aus späterer Zeit stamme, läßt sich weder aus sprachlichen noch auch sonstigen Gründen beweisen.
3. Die göttliche Offenbarung verfolgt immer religiös-pädagogische Zwecke. Daher betonen die heiligen Väter, daß Moses (im Schöpfungsbericht) nur unterrichten wolle über das, was uns zum Heile dient; die profanen Dinge berührt er nur vorübergehend und redet von ihnen nach dem Augenschein; sie zu erforschen, bleibt dem menschlichen Scharfsinn überlassen (der hl. Basilius, Ambrosius, Chrysostomus, Augustinus). Ihrem Zweck entsprechend läßt sich die Offenbarung zur Fassungskraft, zur Schwachheit der Menschen herab, um den „Kleinen und Schwachen“ das Unsichtbare, Geistige anschaulich und begreiflich zu machen (Chrysostomus, Augustinus, Thomas von Aquin). Darum stellt sie die schöpferische Tätigkeit Gottes unter dem Bilde menschlichen Tuns (Sprechen Gottes, Sechstagewerk, Ruhetag) dar, hebt an den Werken Gottes nur das hervor, was in die sinne fällt und selbst von den Einfältigen erfaßt werden kann, betrachtet die Schöpfung Gottes nur in ihrer Bedeutung für den Menschen.
4. Dementsprechend ist der Wortlaut einfach, klar, selbst dem Kinde verständlich, und die Erklärung hat kein Recht, von dem Wortsinn, „der sich gleichsam von selbst aufdrängt“, abzuweichen, solange nicht eine zwingende Notwendigkeit vorliegt. Die Worte „Tag, Licht, Morgen, Abend“ usw. sind also in ihrem gewöhnlichen Sinne zu nehmen, das Sprechen Gottes natürlich nur als menschliche, auf Gott angewandte und insofern bildliche Ausdrucksweise. Demnach wird die Schöpfung als ein Werk von sechs (gewöhnlichen) Tagen mit darauf folgendem Ruhetag dargestellt , zum Vorbild für den menschen, der sechs Tage arbeiten und am Sabbat ruhen soll.
5. Damit wird aber nicht die schöpferische Tätigkeit Gottes in den Zeitraum von 6 x 24 Stunden eingeengt. Denn der Bericht beabsichtigt nicht, eine der menschlichen Neugierde dienende Chronik der Schöpfungsvorgänge zu bieten, sondern sein Zweck ist, in einfacher, selbst dem Kinde verständlicher und und doch Gottes würdiger Weise durch durch eine Art Anschauungs-Unterricht die gesamte Schöpfung auf Gott zurück zu führen. Die Belehrung geht, wie der hl. Thomas richtig bemerkt (3), von der gegenwärtigen und dauernden Ordnung der Dinge aus, erwähnt nichts von den Dingen, die vergangen oder den Augen der Menschen verborgen sind (z.B. im Innern der Erde); die Ordnung und Folge der Tage richtet sich nach der Ordnung und Unterscheidung der Dinge, die durch das Licht (V. 2) beleuchtet werden; die Einrichtung der siebentätigen Woche (sechs Arbeitstage mit darauf folgendem Ruhetag) ist etwas Gegebenes, Selbstverständliches, ein auf Gott selbst zurück geführtesSchema, in welches seine schöpferische Tätigkeit um der Menschen willen eingeordnet erscheint. Der Schöpfungsbericht schildert also nicht eigentlich das Werden der Dinge, den Hergang der Schöpfung, sondern er führt das, was durch Gottes Allmacht geworden ist und vor aller Augen steht, auf eine schöpferische Tat Gottes zurück, die Gott selbst zur Belehrung der Menschen in ein Werk von sechs Tagen zerlegt, als Sechstagewerk geoffenbart hat. Er läßt uns gewissermaßen sechs tiefe Blicke in das Schaffen und Walten der göttlichen Allmacht tun, die den einfachsten Menschen vollkommen orientieren über Ursprung, Wert und Bedeutung der Welt und aller Wesen in ihr, besonders aber des Menschen. Dabei ist, wie die Stellung und Unterscheidung des ersten und vierten Tagewerks augenscheinlich zeigt, nicht die strenge Zeitfolge der einzelnen Schöpfungswerke für die Erzählung maßgebend, sondern die geschichtliche Reihenfolge ist einem höheren Gesichtspunkt untergeordnet, nämlich dem der Ordnung dieser Schöpfungen im Gedanken Gottes, sofern eine Schöpfung die Ursache und Voraussetzung der andern ist (4), ohne daß darum notwendig wäre, daß sie, strenge und scharf geschieden, auch in derselben Reihenfolge sich verwirklichten.
Nach dem hl. Augustinus handelt es sich im Schöpfungsbericht „mehr um eine Ordnung des natürlichen Zusammengangs und der Unterweisung darüber, als um eine Ordnung der Zeit“, und „die Schöpfungen folgen einander nicht in der Reihenfolge der Zeit, sondern nach ihrem ursächlichen Zusammenhang“. (5) Nun ist allerdings mit dem Begriff des Tagewerks und mit der Zählung der Tage von selbst auch die Vorstellung von der zeitlichen Aufeinanderfolge der einzelnen Werke Gottes gegeben. Ohne sie vermögen wir ja ebenso wenig etwas zu denken oder vorstellig zu machen wie ohne die Kategorie des Raumes, also auch die unter menschlichem Bilde geschilderte Tätigkeit Gottes. Aber die Ordnung der Dinge, die sich in der Zeit verwirklichten, braucht deshalb noch keine chronologische, hier also im naturwissenschaftlichen Sinne eine zeitliche Aufeinanderfolge der einzelnen Schöpfungswerke zu sein. Die chronologische Aneinanderreihung und Beschreibung de Ereignisse ist auch sonst für die Geschichtsschreibung der Heiligen Schrift nicht in erster Linie maßgebend. (6), sondern der didaktische Zweck. Belehrung über naturwissenschaftliche Fragen, die zum Heile nichts nützen, sollen wir in ihr nicht suchen. Bei dieser Erklärung bleibt der Buchstabe und der historische Charakter des Schöpfungsberichtes vollständig gewahrt; er ist historisch, insofern er eine göttliche, in der Überlieferung fortgepflanzte Offenbarung wiedergibt, und indem er wirklich Geschehenes in sachlich begründeter Ordnung, wenn auch nicht in chronologischer Aufeinanderfolge erzählt. Die sachliche Ordnung der Erzählung ist nicht in der göttlichen Tätigkeit begründet, die einfach und ewig ist, sondern in den Dingen, die zeitlich sind und vor den Augen der Menschen stehen, sowie in der göttlichen Offenbarung, die sich zur Fassungskraft der Menschen herabläßt. Darum ist auch die in der Heiligen Schrift öfter wiederkehrende Rückbeziehung: „In sechs Tagen hat Gott die Welt erschaffen“ vollkommen wahr, da er den Menschen die Schöpfung eben als ein Werk von sechs Tagen geoffenbart hat.
Anmerkungen:
(1) Dies tut die sog. Visionshypothese, die den Schöpfungsbericht nur als Wiedergabe einer Adam zuteil gewordenen Vision erklärlich findet. Die Tage wären danach sechs Bilder, von denen Adam den Eindruck je eines Tagwerkes (Morgen und Abend) erhalten hätte. So ansprechend diese Erklärung erscheinen mag, so löst sie doch nicht alle Schwierigkeiten und kann deshalb nicht als die einzig mögliche und richtige gelten.
(2) So der hl. Thomas von Aquin, der weiter bemerkt: „Der erste Teil der Welt (das Licht, der Himmel) wird am ersten Tage ausgeschieden und am vierten geschmückt (mit den Gestirnen); der mittlere Teil (das Wasser) wird am zweiten Tage geschieden (und mit Pflanzenwuchs bedeckt) und am sechsten (mit den Landtieren geschmückt) (S. 1, q. 65, init.; q. 74, a. 1; vgl. q. 70, a. 1 u.a.) … Man kann beifügen, daß dem dritten und sechsten Tage je eine doppelte Schöpfungstat Gottes zugeschrieben wird, und daß auch in der Schilderung der einzelnen Tagewerke eine bestimmte, wohl überlegte Ordnung eingehalten wird: Gott spricht – es geschieht – das Gewordene wird beschrieben; beim dritten bis sechsten Tagewerk kommt hinzu, daß Gott das Geschaffene gut heißt, während den drei ersten die Benennung und den beiden letzten die Segnung eigentümlich ist.
(3) In II sent. dist. 12, q. 1, a. 3. Daselbst erklärt Thomas auch die oben angeführte Meinung Augustins für vernünftiger und geeigneter, die Heilige Schrift gegen den Spott der Ungläubigen zu verteidigen, als die Erklärung von 6 x 24 Stunden, die oberflächlich betrachtet mehr dem Buchstaben zu entsprechen scheine. In der Summa theol. Neigt er der letzteren allerdings mehr zu.
(4) Erst nach Erschaffung der Welt kann von einer Scheidung ihrer Teile oder Bereiche und Elemente die Rede sein; und bevor diese Bereiche ausgeschieden waren, konnte ihre Ausschmückung nicht eintreten. In den Scheidungen geht die des Lichtes und der Finsternis der Scheidung der Gewässer, und diese wieder der Ausscheidung des Landes aus dem alles bedeckenden Meer naturgemäß vorher. Endlich konnte auch das Land erst nach seiner Befreiung vom Wasser sich mit dem Schmuck der Pflanzenwelt bedecken. Das Pflanzenleben geht dem Tierleben vorher, das ohne jenes nicht existieren kann. Im Tierleben aber ist es der naturgemäßen Ordnung entsprechend, daß die Reiche, die zuerst ausgeschieden waren, auch zuerst bevölkert wurden: also zuerst das Wasser und die Luft, dann das Land. Überdies schreitet so die Gestaltung des Schöpfungswerkes zu immer höheren Stufen fort, bis es im Menschen seinen Schluß und seine Krone erhält.
(5) De Gen. ad lit. 5, 5, n. 2.
(6) Der Einwand, eine derartige Auffassung sei der Erzählung der Genesis zuwider, weil die zeitliche Aufeinanderfolge so stark betont sei, daß sie daraus nicht hinweg interpretiert werden könne, ohne daß die Grundsätze der Exegese allen halt und Sicherheit verlieren (so Braun, Kosmogonie 335, von der idealen Erklärung überhaupt), trifft unsere Erklärung nicht. Denn der Nachdruck liegt jedenfalls mehr auf der Sechszahl als auf der Aufeinanderfolge der Werke, die ja auch logisch und sachlich begründet ist. Wird so sehr die aufeinanderfolge betont, so darf man fragen, wie es mit der Aufeinanderfolge der Ereignisse in nicht wenigen alttest. Berichten und selbst in den heiligen Evangelien steht, deren historischer Charakter nicht im mindesten bezweifelt werden kann? –
aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. I, Altes Testament, 1910, S. 108 – S. 111