Grosseteste im Widerstreit mit Papst Innozenz IV.

Warum Bischof Grosseteste im Widerstreit mit Papst Innozenz IV. war

Grosseteste, ein großer Bischof

Große Gelehrsamkeit

Grosseteste, Robert (auch Greathead, in den lateinischen Chroniken einfach Lincolniensis, seltener Capito), der berühmte Bischof von Lincoln (1235-1253), gleich groß als Hirte wie als Theologe, und wegen seiner erstaunlichen Gelehrsamkeit auf allen Gebieten des Wissens seinen Zeitgenossen Albertus Magnus und Roger Bacon vollkommen ebenbürtig, ward um 1175 zu Stradbrock in Suffolk aus niederem Stand geboren. Die Mildtätigkeit guter Freunde ermöglichte es dem dürftigen Jüngling, die Universität Oxford zu besuchen; dort scheint er nach einer Andeutung Giraldus` zunächst Jurisprudenz und Medizin studiert zu haben (Girald. Cambrens. Opp. I, 249, ed. Brewer, Rolls Series, London 1861). Von hier bezog er, ohne daß sich indes ein quellenmäßiger Nachweis dafür führen ließe, die Hochschule zu Paris, deren Geschichtsschreiber Buläus (III,260) ihn in seinem Catalogus illustrum Academicorum sogar als in Academia Parisiensi olim Professor insignis namentlich aufführt (H.R. Luard, Rob. Grosset. Epp., Preface XXXIII, Rolls Series, London 1861). Wenn man diesen Pariser Aufenthalt jedoch aus seiner Kenntnis der französischen Sprache herleiten wollen, in welcher er zwei Werke, Chasteau d´amour und Manuel des péchés, dichtete, so übersah man, daß das Französische in England damals nicht bloß das Verkehrsmittel der gebildeten Stände überhaupt, sondern auch Hof-, Gerichts- und Parlamentssprache war.

Ernennung zum Rector scholarium

Nicht lange nach dem Jahre 1200 erscheint Grosseteste wieder zu Oxford, wo er nach Erlangung der theologischen Doktorwürde alsbald zum Rector scholarium oder (Vice-) Kanzler der Universität befördert wurde. In diesen Zeitabschnitt dürften seine Kommentare zu Aristoteles fallen. Auf Bitten des FranziskanerProvinzials Agnellus aus Pisa ließ er sich 1224 zum ersten Rektor der soeben angesiedelten Franziskaner in Oxford ernennen, die er in ihren wissenschaftlichen Bestrebungen wesentlich förderte und namentlich in ihrer Richtung auf biblische und naturwissenschaftliche Studien tief beeinflußte (Eccleston, De adventu Minor. In den Monum. Francisc. I, 5-72, ed. Brewer, Rolls Series, London 1858). Gemäß der damaligen Unsitte mit mehreren Benefizien zugleich bepfründet, gab er 1232 nach Überwindung eines heftigen Fiebers Gewissens-Bedenken halber, nicht ohne sich seitens seiner Verwandten und Freunde deshalb schwere Vorwürfe zuzuziehen, sämtliche Pfründen bis auf eine einzige Präbende an der Kathedrale zu Lincoln auf (Grosset Ep. 8, ad. Luard 43). Doch scheint er auch jetzt die meiste Zeit in Oxford verbracht zu haben; wahrscheinlich beschäftigte er sich mit der Abfassung von mathematischen und theologischen Schriften, sowie mit biblischen Studien und Vorlesungen, deren Quintessenz uns in den gediegenen Dicta Roberti handschriftlich vorliegen dürfte (Luard 1. c. Preface XXXVI).

Ernennung zum Bischof

Nach dem Tode des hl. Hugo (Hugh de Wells) ward Grosseteste 1135 zum Bischof von Lincoln, der größten und bevölkertsten Diözese Englands, erwählt und griff sofort mit einer Energie ohne Beispiel ein, um die zahlreichen Missbräuche in seinem Sprengel abzustellen. Er verbot alle mit Blutvergießen verbundenen Spiele und Prozessionen, die Entweihung der Kirchen und Gottesäcker durch profane Spiele, entsetzte die verheirateten Priester ihrer Pfründen, schaffte das „Narrenfest“ und die ärgerlichen Scotales oder Wett-Trinkgelage der Geistlichen ab, verbot allen Geistlichen die Teilnahme an den Mirakelspielen (Miracle-plays) und führte alles dies mit einer Reinheit der Absicht, Festigkeit der Grundsätze und Milde der Gesinnung durch, welche ungeteilte Bewunderung erregen musste (Wharton, Anglia sacra II, 347 und Constitt. Roberti Lincoln. 1. c. ed. Luard 154-166, London 1861). Auf ernstlichen Widerstand scheinen diese einschneidenden Reform-Bestrebungen kaum in Volk und Klerus gestoßen zu sein.

Streitigkeiten mit den Religiosen

Hingegen forderte er in Sachen des bischöflichen Visitations-Rechts den heftigsten Widerspruch heraus. Grosseteste nahm nämlich das bischöfliche Recht der Visitation sowohl für die Klöster wie für sein eigenes Domkapitel entschieden in Anspruch. Als er darum in Wahrnehmung seiner Rechte auf seiner ersten Visitationsreise 1236 sieben Äbte und vier Prioren wegen schlechter Führung ihres Amtes entsetzt hatte, versuchten ihn schlechte Mönche nach seiner Rückkehr von der Londoner Provinzial-Synode 1237 zu vergiften, ein Mordanschlag, von dem er nur mit Mühe sich erholen konnte. Sein offener Bruch mit dem Domkapitel von Lincoln, welches sich dem auf seinem Visitations-Recht unbeugsam verharrenden Bischof nicht fügen wollte (Grosseteste Ep. 127, ed. Luard 357), verursachte in ganz England großes Ärgernis, bis der Papst Innozenz IV. selbst in Lyon, wohin derselbe sich zum Zweck der Exkommunikation und Absetzung des deutschen Kaisers Friedrich II. geflüchtet hatte, den sechsjährigen Streit 1245 zu Grosseteste`s Gunsten entschied. Sein Sieg war ein Sieg aller Bischöfe Englands. Mit größerer Strenge als je zuvor wurden nun die Visitationen fortgesetzt, so daß mehrere Prioren aus Furcht vor dem Gericht des ernsten Bischofs von vornherein ihr Amt nieder legten. „Schrecklich pflegte er“, so berichtet der ihm feindselige Benediktiner Mathew Paris von St. Albans, „gegen die Mönche zu donnern und noch schrecklicher gegen die Nonnen.“

Seine berühmte Rede vor Innozenz IV. über die Missbräuche in der Kirche

In neue Streitigkeiten mit den Religiosen verwickelt, unternahm der greise Kirchenfürst 1250 eine zweite Reise an den päpstlichen Hof in Lyon, aber diesmal nicht mit gleichem Erfolg. Entrüstet über die Bestechungs-Künste der mit Gold arbeitenden Gegenpartei, hielt er am 13. Mai vor dem Papst und drei Kardinälen seine berühmte Rede über die Missbräuche in der Kirche und an der römischen Kurie, welche letztere er im Besondern beschuldigte, durch Gewährung der vielen „Dispensationen, Provisionen und Collationen“, sowie durch Überlassung kirchlicher Benefizien an die ohnehin reichen Klöster der Korruption des Pfarrklerus und der Vernachlässigung der Seelsorge sündhaften Vorschub zu leisten (bei Brown, Fascie rer. expetendar. Et fugiendar. II, 250 sq.; auszüglich bei Perry, The Life and Times of Robert Grosseteste, London 1871, 207-223). Unverrichteter Dinge trat er den Heimweg an, „tristis et vacuus“, und erreichte England am Michaelstag, entschlossen zu resignieren. Schon hatte er die vorläufige Verwaltung seiner Diözese seinem Freunde und Offizial Robert de Marisco anvertraut; allein auf dringendes Abraten seiner Amtsbrüder und Freunde, in Sonderheit des berühmten Oxforder Franziskaners und Doctor illustris Adam de Marisco, gab er diese Absicht wieder auf, um mit neuem Mut seines verantwortungsvollen Amts unter schwierigen Verhältnissen zu walten. Er schien strenger als je. Bei einer Visitation des Kloster zu Ramsey 1251 untersuchte der ernste Mann sogar die Schlafstätten der Mönche, erbrach verdächtig aussehende Schließräume und zertrümmerte mit eigener Hand alle Zeichen eines gegen die heilige Armut sündigenden Luxus.

Bischof Grosseteste im Widerstreit mit Papst Innozenz IV.

Sein erster Streit mit Innozenz IV.

Aber auch mit dem Papst geriet der etwas ungestüme Oberhirt in Streit. Als Grosseteste 1251 sich entschieden weigerte, einen des Englischen unkundigen Italiener in eine reiche Pfründe seiner Diözese einzuweisen, ward er von Innozenz IV., der inzwischen nach Friedrichs II. Tod nach Perugia gezogen war, für eine kurze Zeit suspendiert. Weniger zu verwundern ist, daß er mit dem habgierigen und zornmütigen, aber schwachen Heinrich III. von England in Uneinigkeit geriet. Im Jahre 1252 verlangte der englische König mit päpstlicher Vollmacht ein Zehntel aller kirchlichen Einkünfte Englands auf drei Jahre für sich selbst, da er das Kreuz genommen habe. Der erste, der dieser in Aussicht genommenen Maßnahme als einer „verfluchten Erpressung“ entschiedenen Widerstand entgegen setzte, war Grosseteste; seinem Beispiel folgten die übrigen Prälaten. Erst als Heinrich III. feierlich 1253 „als Mann, als Christ, als Ritter und als gekrönter und gesalbter König“ die Magna Charta neu beschworen und versprochen hatte, daß durch die Geldbewilligung kein Präzedenz für die Zukunft geschaffen und das zu erhebende Geld auch wirklich für den bezeichneten Zug nach Palästina verwendet werden sollte, ließen die Bischöfe mit Grosseteste an ihrer Spitze sich zur Einwilligung in die Geldanforderungen erweichen (Matth. Paris, Hist. maj. 867). Gegen die Verletzer des königlichen Schwures sprachen sodann die im Parlament versammelten Bischöfe die Exkommunikation aus, und Grosseteste ließ wegen seines begründeten Misstrauens in die Standhaftigkeit des Königs dieselbe noch eigens in allen Pfarreien seiner Diözese feierlich verkündigen.

Ein weiterer Streit Grosseteste`s mit Innozenz IV.

In das nämliche Jahr 1253 fällt ein bedauerlicher Streit Grosseteste`s mit Innozenz IV., welcher ihm mehr als seine Gelehrsamkeit und Sittenstrenge bei der Nachwelt Berühmtheit erlangt hat. Innozenz IV. hatte nämlich in einem aus Perugia vom 26. Januar 1253 datierten Breve Grosseteste befohlen, den päpstlichen Neffen Federico di Lavagna nach Art einer „Provision“ in ein einträgliches Kanonikat der Lincolner Kathedrale zu installieren. Schon im Jahre 1252 hatte Grosseteste eine Berechnung der kirchlichen Gefälle angestellt, welche die mit päpstlichen „Provisions-Urkunden“ ausgestatteten, der englischen Sprache unkundigen Ausländer aus den englischen Pfründen ohne die mindesten seelsorgerischen Gegenleistungen erhoben, und ihre Summe auf einen runden Betrag von jährlich 70000 Mark, mehr als das Dreifache des königlichen Einkommens, heraus gerechnet (über diese „Provisionen“ vgl. Lingard, The History of England, Lond. 1883, II, 416 sqq.). Die Antwort Grosseteste`s auf die päpstliche Forderung ist nach seines Freundes Adam de Marisco Meinung zwar „furchtlos, ebenso klug wie beredt abgefaßt und eine ewige Wohltat aller Zeiten“ (Monum. Francisc. ed. Brewer I, 325), aber sie enthält gewiß das Stärkste, was ein katholischer Bischof jemals dem Statthalter Christi ins Angesicht geschleudert hat. Sachlich unterscheidet sie sich allerdings wenig oder gar nicht von den Gedanken, die schon in der Lyoner Rede vom Jahre 1250 in Gegenwart des Papstes ausgeführt worden waren; aber die Sprache ist viel maßloser und heftiger, als in jener schon von Wiclif ausgebeuteten Rede (Todd, Wyclif Apologia 54). man hat jedoch sicher mit Unrecht auf Grund der Opposition Grosseteste`s diesen selbst als einen „Vorläufer der Reformation“ oder neuestens mit Perry (The Life and Times of Robert Grossetste 6, London 1871) als „den Protestanten des 13. Jahrhunderts“ gefeiert und gepriesen (vgl. die verständigen Gegenausführungen des protestantischen Herausgebers seiner Briefe, Luard, Grosset. Epp. Preface XIV, Rolls Series).

Verteidiger der obersten Lehr- und Regierungsgewalt des Papstes

Denn der Bischof von Lincoln verteidigte nicht nur sein ganzes Leben lang die oberste Lehr- und Regierungsgewalt des römischen Bischofs mit größtem Eifer, sondern leitete auch alle bischöfliche Gewalt nur vom Papst her und wollte sogar die fürstliche Gewalt lediglich als einen Ausfluß der von Christus dem hl. Petrus verliehenen Vollmachten betrachtet wissen (vgl. Grosset. Ep. 23. 127, ed. Luard 90 sq. 357 sq.). In dem angezogenen Protestschreiben bekennt er auch in der Einleitung: Apostolica enim mandata non sunt nec possunt esse alia quam Apostolorum doctrinae et ipsius Domini nostri Jesu Christi, Apostolorum Magistri et Domini, cujus typum et personam maxime gerit in ecclesiastica hierarchia dominus Papa, consona et conformia, so daß er sich unzweifelhaft ex divino mandato zum Gehorsam gegen den apostolischen Stuhl für verpflichtet halte (Grosset. Ep. 128, ed. Luard 432 sq.).

Gehorsamsverweigerung wegen sündhafter Nachgiebigkeit bei Zeitgebrechen

Die päpstliche Vollgewalt umzieht er aber mit der selbstverständlichen Schranke, daß sie nur im Gebiet des sittlich und göttlich Erlaubten unbeschränkt sei: Haec enim est potestatis plenitudo, omnia posse in aedificationem, eine Begriffsbestimmung, unter welche die „Provisionen“ keineswegs fallen: Hae autem quas vocant provisiones non sunt in aedificationem, sed in manifestissimam destructionem, non igitur eas potest beata Sedes Apostolica… (p. 437).
Auf diesen Grundsatz gestützt, versagt er dem Papst den Gehorsam und erklärt: Ego ex debito obedientiae et fidelitatis quo teneor … filialiter et obedienter non obedio, contradico et rebello (p. 436). Nach den unzuverlässigen Angaben des gegen Grosseteste nicht minder wie gegen „die Römer“ aufgebrachten Matthew Paris (Hist. Major 872) wäre der Papst nach Empfang dieses kühnen Briefes in eine Flut von Schmähworten gegen Grosseteste und England ausgebrochen. Ganz unbegründet erscheint aber die Erzählung Richards von Bardney (bei Wharton, Angl. Sacr. II, 338 sq.), Innozenz IV. habe den furchtlosen Bischof in den Bann getan (vgl. Luard 1. c. LXXXI), da umgekehrt feststeht, daß der Papst durch Entschuldigung seiner Handlungsweise Grosseteste`s Berechtigung zu diesen Vorwürfen indirekt anerkannte (Lingard, The History of England II, 502). Die Behauptung Tanners endlich, daß Innozenz IV. dem angeblich exkommunizierten Bischof sofort einen Nachfolger in der Person des päpstlichen Nuntius Albert bestellt habe, ist auf einen einfachen lapsus oculi zurück zu führen, wie Luard (1.c.) gezeigt hat, und danach ist auch die Angabe bei Pegge (Lige of Robert Grosseteste 198) zu beurteilen.

Hochbetagt erkrankte Grosseteste im Oktober 1253 zu Buckden, und noch sterbend soll er gegen die römischen Erpressungen, sowie gegen die vom Papst geduldeten oder verübten Missbräuche geeifert haben. Er ward in Loncoln beigesetzt am 13. Oktober 1253 (The Burton Annals 328).

Der tiefgreifende Einfluß Grosseteste `s

Über den tiefgreifenden Einfluß Grosseteste `s auf kirchenpolitischem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiete sind alle mittelalterlichen Chronisten mit den modernen Geschichtsschreibern einig. Nicht nur sein Zeitalter, sondern auch die Epigonen-Geschlechter hat dieser ebenso reiche wie ernste Geist in ihren Bestrebungen auf`s Nachhaltigste beeinflußt. Die Freiheit der Kirche, die Unantastbarkeit ihrer Rechte und Privilegien verteidigte er gegen königliche Habgier und Übergriffe mit einer Unerschrockenheit, welche nach einem Ausdruck Milmans (Latin Christiantity IV, 469) dem Freimut des hl. Thomas Becket von Canterbury nicht nachstand. Von der Verantwortlichkeit seines hohen Hirtenamtes und von seiner persönlichen Haftbarkeit für das Seelenheil der seiner Obhut Anvertrauten war er so lebhaft durchdrungen, daß er im Drang des Pflichtgefühls und unter dem Einfluß eines heftigen Temperaments zum Öfteren die Pastoral-Klugheit bei Seite setzte und selbst das dem Oberhaupt der Kirche, vor dem er sonst in ehrfürchtigem Gehorsam sich beugte, ins Angesicht widerstand, wo immer er in einer päpstlichen Verordnung eine sündhafte Nachgiebigkeit gegen die schweren Zeitgebrechen zu erblicken glaubte. Dieser vor keiner Macht zurückschreckende sittliche Ernst Grosseteste `s bildet den Schlüssel zu seinem Charakter und seinem Wirken. Die enzyklopädische Universalität seines Wissens, die ihm den Ehrentitel The great clerk Grosseteste eintrug, bewunderten schon seine Zeitgenossen, insbesondere der ebenso berühmte Roger Bacon. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 5, 1888, S. 1292 – S. 1298

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