Das Wesen der heidnischen Religion

Das Wesen der heidnischen Religion – Grausamkeit und Unzucht

Der Glaube an den einen, überweltlichen Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat: das ist die Grundlehre der wahren Religion, der Urreligion, wie sie in Noah, Abraham, Moses erscheint – Monotheismus. Die Welt selbst ist Gott und alles Leben in der Welt nur eine Emanation, eine Entfaltung des Göttlichen: das ist die Grundlehre des Heidentums – Naturalismus in mehr oder weniger ausgebildeter Form, d. i. Vergötterung des Naturlebens. Da nun aber das Naturleben in einer Verschiedenheit von Kräften und Wirkungen erscheint, so zersplittert sich die eine Idee von Gott in eine Vielheit von Göttern, entsprechend diesen verschiedenen Naturkräften und Lebenserscheinungen – Polytheismus.

Nun ist es aber trotz der Vielgestalt der Götter und Göttinnen dennoch eigentlich nur eine Gottheit, die Natur, welcher der Mensch dient. Daher erscheint die Gottheit auch als Mannweib. Herakles wird bei der Omphale zum Weibe, während Semiramis, die Naturgöttin, wiederum zum siegreichen Helden wird. Daher gehörte der Kleiderwechsel der Geschlechter zur gottesdienstlichen Feier, und darum hat das Gesetz Moses` diese Sitte untersagt.

Im Zusammenhang hiermit standen die unnatürlichen Laster. Die Natur vernichtet aber auch wieder ihr Zeugungsleben; daher die geweihten Eunuchen, die Gallen. Die später erwachende Spekulation, besonders in Ägypten und Indien, verfiel demnach bei ihrem Zurückstreben zur verlorenen Einheit dem Pantheismus. Nach alledem ist es unzweifelhaft, daß, wie die heiligen Väter (Vgl. Iustin., Apolog. 1, n. 14ff) lehrten, der Vater der Lüge auch der Vater des Heidentums ist, der die Menschheit zum Kultus der Kreatur verleitete und im Heidentum ein Reich sich zu bauen suchte, das dem Reiche Gottes widerstrebt. Die dämonischen Gewalten, welche den Sündenfall eingeleitet hatten, arbeiteten mit wachsendem Erfolg. Mit Adam hatte der Trug begonnen, Kain ließ den Mord folgen, seine Nachkommen fügten die Unzucht hinzu. Ohne Zweifel haben menschliche Unwissenheit und Leidenschaft einen großen Anteil an den Verirrungen des Heidentums; aber sie allein erklären es doch nicht. Überblicken wir diese lange Kette von Torheit und Verbrechen, von Blut und Schmutz, Grausamkeit und Wollust, und dies durch Jahrhunderte hindurch, mitten in den hoch gebildeten, in allen Künsten so erfahrenen Griechenland und Rom, so sehen wir hier einen Grad von Entwürdigung der menschlichen Natur, die uns verborgene Kräfte ahnen läßt, deren, wenngleich nicht unfreiwilliges, Opfer der Mensch geworden ist. Von seinem Ursprung an hat das Heidentum keinen Fortschritt zum Besseren gemacht; es war auf allen Punkten bis auf diese Stunde im Rückschritt. Die Stämme, welche sich mehr und mehr zerstreuten, sanken immer tiefer und kamen bei dem Zustand allseitiger und ganz besonders religiöser Verwilderung an; jene, welche auf abgeschlossenen Gebieten sich niederließen, blieben äußerlich mehr gesammelt, nahmen eine höhere Richtung, entwickelten eine reiche, glänzende Kultur; aber der kunstvolle Bau mußte in sich zusammen brechen, weil er innerlich morsch war.

Jede Religion hat ihren Kultus, jede Gottheit hat ihr Opfer. Wie der Gott, so wird auch der Gottesdienst sein. Daher der doppelte Charakter des heidnischen Gottesdienstes – Grausamkeit und Unzucht.

Der Mensch hatte seine unsterbliche geistige Natur vergessen, weil ganz hingegeben an die Macht des sinnlichen Lebens. Wenn aber der Mensch keine Würde, keine geistige Bedeutung noch Wert mehr hat, dann ist eben Grausamkeit und Unzucht erlaubt; denn beides ist ein Gräuel, ein und dasselbe: die Verachtung der Menschenwürde. Jene Völker, die von Natur aus zur Grausamkeit und wilden Rache sich neigen, tragen ihre eigene Leidenschaft auf ihre Götzen über. Um der Rache der blutdürstigen Landesgötter zu entgehen, wirft man ihnen eine Beute hin, die man opfert. Daher die blutigen Menschenopfer im Heidentum, selbst bei den älteren Griechen und Römern. In Syrien war es das eherne Bild des Moloch, d. h. Herr, dem die Mütter ihre Kinder in die glühenden Arme legten, ohne einen Laut der Klage äußern zu dürfen, denn freiwillig sollte ihr Opfer sein. Hier erscheint so recht die furchtbare Gestalt des Heidentums in ihrer ganzen Größe. Aber tief in der Menschennatur schlummert neben dem Blutdurst die andere Leidenschaft; wird jene geweckt, dann wacht auch diese auf. Die Sinnlichkeit erblicken wir ebenso wie die Grausamkeit zur Göttin erhoben; daher neben Moloch das Bild der unzüchtigen Astarte, und in allen Gräueln der Unzucht bestand ihr Dienst. So in Phönizien, Babylon, Indien, Zypern und selbst in Korinth bei den hoch gebildeten Hellenen.

Und dieses ist nur eine andere Art von Grausamkeit; sie zertritt und tötet den Adel und die Würde der menschlichen Natur, wie der Grausame seine Lust findet und sich weidet an der Todesangst und den Zuckungen seines Opfers. Und diese Erscheinungen, diese tiefen Wunden am großen Leibe der Menschheit finden sich überall, wohin nur immer das Heidentum seine Fuß gesetzt hat: Mord und Menschenopfer, Entwürdigung des Weibes und Sklaverei.

Jetzt begreifen wir auch den Kampf des Heidentums gegen das Christentum. Die Natur war Gott geworden, der Genuss der Natur Gottesdienst. Der Grundzug der heidnischen, besonders chamitischen und semitischen Religionen ist die Materialisierung der Gottheit, ihr Herabziehen in die Tiefen des Naturlebens, Zeugung, Geburt und Tod; dies erscheint aber noch ganz besonders in der Tier-Vergötterung, am stärksten bei den Ägyptern, aber nicht bei ihnen allein; die Phönizier verehrten die Schlange, die Babylonier hatten Fisch-Gottheiten. Das Christentum lehrt einen außer- und überweltlichen Gott, und sein Gottesdienst ist Entsagung. Was ist das Heidentum, was ist das Christentum? Jenes ein Werk der Sünde, dieses ein Werk der Gnade; jenes stammt aus der Tiefe und zieht hinab in die Tiefe, dieses kommt von oben und führt nach oben. Statt der Grausamkeit erscheint die Barmherzigkeit, ein Wort, welches das Heidentum nicht kannte; statt der Unzucht die Keuschheit. Wo aber die Barmherzigkeit waltet, da herrscht weder Mord noch Sklaverei, und wo die Keuschheit das Gesetz des Lebens wird, da ist die Würde des Weibes heilig. –
aus: Franz Hettinger, Apologie des Christentums, Fünfter Band, 1908, S. 487 – S. 497

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