Verschiedene Phasen der messianischen Frage im Schoße des jüdischen Volkes seit der Zerstörung Jerusalems
Zweites Kapitel.
Die falschen Messiasse der Juden wie eine leere Luftspiegelung
III.
Die unaufhörliche Berechnung der siebenzig Wochen, das ist also in dieser Epoche der Erwartung der erste Beweis für die tödliche Not unseres Volkes.
Hätte es Gott gefallen, daß er der einzige geblieben wäre! Aber neben die qualvolle Unruhe der Berechnungen stellt die Geschichte die tragische Episode der falschen Messiasse.
Nein, wie man auch die Annalen der Religion durchblättern möge, man wird nirgends ein Schauspiel gleich diesem finden:
Ein ganzes Volk, das unter dem Staunen der Nationen mit Rechnen beschäftigt ist, und ein ganzes Volk, das seine Berechnungen unterbricht, sobald ihm eine Stimme ankündigt: der Messias! Ein ganzes Volk, das zur Linken, zur Rechten , in den Städten, in den Einöden sich überstürzt, fast immer von den Nationen nieder gemacht wird, niemals ermüdet, wieder herbei zu eilen, und immer nur der Täuschung des Wüstenbildes, einer leeren Luftspiegelung, begegnet.
Ein orientalisches Phänomen, wie die Illusion des jüdischen Volkes – man könnte wirklich sagen, das Wüstenbild habe sich in der ganzen Fülle seiner Verführungen in unserer Geschichte wieder gezeigt. An einem glühenden Tage tritt das Wüstenbild hervor; über dem brennend heißen Boden zeichnet sich am Horizont ein See, in welchem sich Dörfer, Bäume, Weinberge abmalen – ein trügerischer Schein, der sich jedoch nicht zeigen könnte, wenn es nicht in einer mehr oder minder großen Entfernung wirklich Dörfer und wirkliche Weinberge gäbe.
Unter seinem feurig glühenden Himmel begann auch in unserer Geschichte die Episode des Wüstenbildes. Die Flammen hatten den Tempel verzehrt, das Blut dampfte von allen Seiten; eine unerträgliche Qual der Erwartung gesellte sich zu der Glut unserer Leiden. Plötzlich erschienen über diesem branderhitzten Boden Gestalten, welche uns zuriefen: ich, ich bin der Befreier; – ich, ich bin der Sprössling Davids; – ich, ich bin der Stern Jakobs. Nun, alle diese trügerischen Erscheinungen hatten nur deshalb die Macht, sich zu zeigen, weil in der Ferne, auf einem Berg, jene wahrhafte Inschrift gestanden hatte: „Jesus von Nazareth, König der Juden.“
Die Wirklichkeit strahlte Farben aus und aus diesen Farben entwickelte sich die Täuschung. Und unsere Väter eilten doch herzu; keuchend, von Erschöpfung und Durst nieder gebeugt, glaubten sie immer, endlich müssten sie die Quelle lebendigen Wassers erreichen; eitel Hoffnung! Der Stern Jakobs, das Haus Davids, alles entschwindet; und statt der Quelle lebendigen Wassers finden sie nur noch, nach dem Wort des Propheten, „durchlöcherte Zisternen“. Mein Gott, der Du alles dieses zugelassen hast und den Grund unserer Herzen erforschst, Du weißt wohl, dass wir die Wahrheit sagen!
Neben dem Schrei des Herzens und den Bildern des Gedankens bedarf es aber auch der kalten Beweise der Geschichte. In Euren Büchern, o Israeliten, in Euren Synagogen, in Euren Schulen hat man Euch aus diesen falschen Messiassen und aus den Täuschungen unserer Vorfahren immer ein Geheimnis gemacht; folgendes ist das mühsam zusammen gestellte und unverfälschte Verzeichnis derselben.
Zusammenstellung der falschen Messiasse (insgesamt 25)
Theudas in Palästina im Jahr 45 n. Chr.
Simon der Magier in Palästina in den Jahren 34-37.
Menander in derselben Epoche.
Dositheus in Palästina, in den Jahren 50-60.
Bar-Kochbas in Palästina im Jahr 138.
Moses auf der Insel Kreta im Jahr 434.
Julian in Palästina im Jahr 530.
Ein Syrier während der Regierung Leo`s des Isauriers im Jahr 721.
Serenus in Spanien im Jahr 724.
Ein anderer falscher Messias in Frankreich im Jahr 1137.
Ein Anderer in Persien im folgenden Jahr (1138).
Ein Anderer in Cordoba im Jahr 1157.
Ein Anderer in Fez, zehn Jahre später (1167).
Ein Anderer in Arabien zu derselben Zeit (1167).
Kurz nachher ein Anderer in der Gegend des Euphrat.
Ein Anderer in Persien im Jahr 1174.
David Almusser in Mähren im Jahr 1176.
Ein anderer falscher Messias zur Zeit des Rabbi Salomon Adrath im Jahr 1280.
David Eldavid in Persien im Jahr 1199 oder 1200.
Ismael Sophi in Mesopotamien 1497.
Der Rabbi Lemlen in Österreich 1500.
Ein falscher Messias in Spanien 1534.
Ein Anderer in Ostindien 1615.
Ein Anderer in Holland 1624.
Zabathai Tzevi in der Türkei 1666.
Alles dies, o Israeliten, ist authentisch; alles dies ist Geschichte, ist Wahrheit; nicht ein Mal, nicht zehn Mal: Fünfundzwanzigmal sind unsere Vorfahren der Spielball des Wüstenbildes gewesen. Weil man den Messias dort, wo Er war, verkannt hatte, sah man sich genötigt, Ihn dort zu suchen, wo Er nicht war. –
aus: Gebr. Lémann, Die Messiasfrage und das vatikanische Konzil, 1870, S. 15 – S. 20
Fortsetzung Kapitel 2 Teil 4: Bar-Kochbas und der Rabbi Akiba
siehe auch den Beitrag auf katholischglauben.online: Verhärtung Israels im Licht der Heilsordnung
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