Von Liguori: Neun Predigten über die Strafgerichte Gottes
Zweite Predigt
Die Sünder wollen den Drohungen Gottes erst dann glauben, wenn die Züchtigung selbst über sie kommt.
Wenn ihr nicht Buße tut, so werdet ihr alle auf gleiche Weise zu Grunde gehen. (Luk. 13, 5).
Nachdem der Herr unsern ersten Eltern verboten hatte, von der Frucht des Baumes zu essen, näherte sich die unglückliche Eva demselben, von wo herab die Schlange zu ihr sprach: Warum hat euch Gott geboten, nicht zu essen von dieser schönen Frucht? (Gen. 3). Eva antwortete: Gott hat uns geboten, daß wir nicht davon essen, ihn auch nicht berührten, damit wir nicht etwa sterben. (3, 3).
Seht, meine Christen, wie schwach die Eva war; Gott hatte ausdrücklich mit dem Tode gedroht, und Eva fing schon an, daran zu zweifeln: damit wir nicht etwa sterben, das heißt wenn ich davon esse, so werde ich vielleicht sterben. Kaum sah aber der Teufel, daß Eva die Drohung Gottes nur wenig fürchte, so begann er auch schon sie zu ermutigen und sprach: Keineswegs werdet ihr sterben. So benahm der böse Feind der Eva die Furcht, und täuschte sie, worauf Eva sündigte, und von der Frucht aß.
Auf gleiche Weise fährt der böse Feind noch alle Tage fort, so viele arme Sünder zu täuschen. Gott droht: Hört auf zu sündigen, tut Buße, damit ihr nicht zu Grunde geht, wie so viele andere Verdammte: Wenn ihr nicht Buße tut, so werdet ihr alle auf gleiche Weise zu Grunde gehen. So spricht Gott; aber der Teufel ruft den Sündern zu: Keineswegs werdet ihr sterben; fürchtet auch nicht, fahrt nur fort, euch zu vergnügen, Gott ist barmherzig, Er wird euch schon noch verzeihen und ihr werdet doch am Ende selig werden. Prokopius sagt: Gott flößt dir eine heilsame Furcht ein, der Teufel nimmt sie hinweg.
Gott sucht uns durch Drohungen zu rühren, damit wir ablassen von der Sünde und gerettet werden; der Teufel aber sucht uns die Furcht zu benehmen, damit wir fortfahren, zu sündigen und verdammt werden; und ach, wie viele gibt es, die lieber dem Teufel als Gott glauben und deshalb elend zu Grunde gehen. Und wenn Gott auch heute über uns zürnt und mit Seiner Strafe droht, ach wie viele wird es dennoch geben, die desungeachtet die Besserung ihres Lebens aufschieben und hoffen, der Herr werde sich schon besänftigen lassen und nicht strafen. Dies ist also der Gegenstand dieser Predigt.
Die Sünder wollen so lange den Drohungen Gottes nicht glauben, bis die Strafe sie endlich trifft.
Wenn wir uns aber nicht bessern, meine Christen, so wird endlich die Züchtigung selbst kommen und wenn wir nicht endigen mit der Sünde, so wird Gott selbst schon ein Ende machen.
Als Lot vom Herrn benachrichtigt wurde, er solle die Stadt Sodoma verlassen, sprach er sogleich zu seinen Eidamen: Machet euch auf und geht aus diesem Ort, denn der Herr wird diese Stadt verderben. (Gen. 19, 14). Aber sie wollten seinen Worten nicht glauben: Und es däuchte sie, als redete er im Scherz, als wolle er sie durch seine Drohungen nur schrecken. Aber bald kam die Strafe und jene Toren gingen im Feuer zu Grunde. Warum warten denn auch wir, meine Christen, Gott verkündigt uns die nahe Strafe, hören wir darum auf zu sündigen und warten wir nicht, bis Gott Selbst unserm Sündenleben ein Ende macht. Höre, o Sünder, was dir der heilige Paulus zuruft: Sieh also die Güte und Strenge Gottes: die Strenge gegen die Gefallenen, die Güte Gottes gegen dich, wenn du im Guten verharrest: sonst wirst auch du ausgehauen werden. (Röm. 11, 22).
Betrachte, sagt der Apostel, die Gerechtigkeit Gottes, die schon so viele Sünder gestraft und zur Hölle verdammt hat. Betrachte dagegen auch die Barmherzigkeit des Herrn, die Er dir bis jetzt erwiesen hat. Höre aber auf zu sündigen, ändere dein Leben, entferne die Gelegenheiten, empfange häufig die heiligen Sakramente; wenn du fortan ein christliches Leben führst, so wird der Herr dir die Züchtigung erlassen: Tust du dies aber nicht, so wirst du auf ewig zu Grunde gehen, denn Gott hat lange genug Geduld mit dir getragen und wird gewiss nicht länger zusehen: Gott ist barmherzig, aber auch gerecht: Er ist barmherzig mit denen, welche Ihn fürchten, aber gegen Verstockte kann Er dies nicht sein.
Man jammert, wenn man gezüchtigt wird und spricht zu dem Herrn: Ach, mein Gott, warum hast du mir diesen Besitz, warum hast du mir die Gesundheit, warum diesen Sohn, diesen Verwandten geraubt? Ach, was sagt ihr nur, ihr Sünder, ruft der Prophet Jeremias aus: Eure Sünden entziehen euch das Gute. (Jer. 5, 25). Es war nicht das Verlangen Gottes, dir dieses Gut, diesen Gewinn, diesen Verwandten zu nehmen; Gott wollte dich in allem glücklich machen, aber deine Sünden haben es verhindert. Gott verlangt dich zu trösten, aber deine bösen Worte hindern es, wie uns der fromme Job schon gelehrt hat: Ists denn groß für Gott, daß er dich tröste? Aber deine bösen Worte hindern es. 15, 11. Gott wollte dich trösten, aber deine Lästerungen gegen Ihn und Seine Heiligen, dein Murren, deine unzüchtigen Reden, wodurch du auch anderen so großes Ärgernis gegeben, das alles hat Ihn daran gehindert.
Nicht Gott sondern die Sünde macht unglücklich und elend
Nicht Gott, sondern die verfluchte Sünde ist es, die uns unglücklich und elend macht: Die Sünde macht elend die Völker. (Sprichw. 14, 34). Mit Unrecht beklagen wir uns gegen Gott, sagt Salvianus, daß Er hart gegen uns sei, da wir weit härter gegen Ihn verfahren, indem wir Ihm für die vielen Gnaden, die Er uns erwiesen, mit Undank lohnen.
Die Sünder glauben in ihrem Sünderleben glücklich zu sein, aber die Sünde ist es, die sie in allem betrübt und elend macht: Deshalb, weil du nicht gedient hast deinem Gott (spricht der Herr) in der Freude deines Herzens, sollst du deinem Feind dienen in Hunger und Durst, und Blöße und aller Not, bis er dich vertilgt. (Deut. 28, 48). Weil du deinem Gott nicht mit jenem Frieden dienen wolltest, dessen sich alle erfreuen, die Ihm angehören, so sollst du deinem Feind in Elend und Armut dienen, bis er zuletzt deinen Leib und deine Seele zu Grunde richten wird. Der König David sagt, daß der Sünder durch seine Schuld sich selbst die Grube bereite, in die er hinein stürze: Er fiel in das Loch, das er gemacht. (Ps. 7, 16).
Betrachten wir nur das Gleichnis vom verlorenen Sohn im Evangelium. Dieser verließ seinen Vater, um in Freiheit leben und nach Belieben schwelgen zu können; nachdem er aber seinen Vater verlassen hatte, sah er sich bald genötigt, die Schweine zu hüten, und geriet in so großes Elend, daß er sich nicht einmal mit jener elenden Speise sättigen konnte, womit sich die Schweine nähren: Er wünschte seinen Bauch mit den Träbern zu füllen, welche die Schweine fraßen, aber niemand gab sie ihm. (Luk. 15, 16).
Der heilige Bernhard von Siena (Dom. 2. Quadrag.) erzählt, wie eines Tages ein gottloser Sohn seinen Vater zu Boden geworden und auf demselben fortgerissen habe. Aber was geschah später? Nach vielen Jahren widerfuhr diesem Unglücklichen dieselbe Beleidigung von seinem eigenen Sohn; da sie nun an eine gewisse Stelle kamen, da schrie jener auf: Halte ein, mein Sohn, halte ein, denn siehe, weiter habe auch ich meinen Vater nicht hingezogen.
Auch erzählt der Kardinal Baronius (C. 33. No. 6), daß, als die Tochter der Herodias, welche das Haupt des heiligen Johannes des Täufers verlangt hatte, eines Tages über einen zugefrorenen Fluß ging, das Eis brach, worauf sie ins Wasser stürzte, so daß ihr Kopf nur noch hervorragte. Wie sie sich nun hin und her bewegte, um sich vor dem Tod zu erretten, durchschnitt das Eis ihren Hals, so daß sie elend umkam. Seht, meine Christen, wie gerecht Gott ist. Wenn die Zeit der Rache kommt, macht Er, daß der Sünder sich in demselben Strick fange und erwürge, den Er Selbst mit seinen Händen bereitet hat: Der Herr wird kund werden, daß er Recht schafft: in den Werken seiner Hände wird gefangen der Sünder. (Ps. 9, 17).
Erzittern wir deshalb, meine Christen, wenn wir sehen, daß andere gezüchtigt werden, da wir doch selbst die nämliche Strafe verdienen. Als der Turm Siloe einstürzte, und achtzehn Personen tötete und begrub, da sprach der Herr zu den Juden: Meint ihr, daß jene achtzehn schuldiger gewesen seien, als alle Bewohner von Jerusalem. (Luk. 13, 4). Glaubt ihr, daß sie allein Gott wegen ihrer Sünden beleidigt hatten? Auch ihr seid seine Schuldner, und wenn ihr nicht Buße tut, so werdet auch ihr bestraft werden, wie sie. (Ib. 5) O wie viele Unglückliche gehen mit der falschen Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes zu Grunde, indem sie ihr lasterhaftes Leben fortsetzen und sagen: Gott ist barmherzig! Ja, Gott ist barmherzig und deshalb hilft und beschützt Er den, der auf Seine Barmherzigkeit hofft: Ein Beschirmer ist er allen, die auf ihn hoffen. (Ps. 17, 31).
Gott beschützt nur den, der auf Ihn hofft und sein Leben bessert
Aber nur den beschützt Gott, der auf Ihn hofft und sein Leben bessern will; wer aber mit verkehrtem Herzen hofft und und fortfährt, Ihn zu beleidigen, dessen Hoffnung nimmt Gott nicht an, nein, Er verabscheut und bestraft sie sogar: Ihre Hoffnung ist ihm ein Gräuel. (Job 11, 20). O wie unglücklich ist ein Sünder, der die Gnade Gottes verloren hat, und dabei sein Elend gar nicht einmal erkennt! Kann es auch nur ein größeres Elend geben?
Solche Menschen leben dahin und sind doch schon zur Hölle verdammt, sie scherzen, sie lachen und verachten die Drohungen Gottes, als ob ihnen Gott die Gewissheit gegeben hätte, daß Er sie nicht strafen werde. Woher, ruft der heilige Bernhard aus, woher kommt nur diese verfluchte Sicherheit? Er nennt sie eine verfluchte Sicherheit, weil diese Sicherheit gewiss zur Hölle führt: Ich will kommen zu den ruhig und sicher Wohnenden. (Ezech. 38, 11). Der Herr wartet, aber wenn die Stunde der Züchtigung kommt, wird Er in Seiner Gerechtigkeit jene Unglückseligen zur Hölle verdammen, die in ihren Sünden ruhig dahin leben, als ob es für sie keine Hölle gebe.
Wir müssen also aufhören zu sündigen, meine Christen, wir müssen einmal anfangen, Buße zu tun, wenn wir der Strafe entgehen wollen, die unsrer wartet, denn wenn wir nicht damit aufhören, so muss Gott uns endlich züchtigen: Die böse sind, werden ausgerottet. (Ps. 36, 9). Die verstockten Sünder werden ausgestoßen und das nicht nur vom Himmel, sondern auch von der Erde, damit sie durch ihr schlechtes Beispiel nicht auch andere mit sich in die Hölle fortreißen. Bedenken wir es doch, daß diese zeitlichen Strafen, die uns hier auf Erden treffen, nichts sind im Vergleich mit der ewigen Strafe, aus der es keine Befreiung gibt: Habt dann wohl acht, ihr Sünder: denn die Axt ist schon an die Wurzel der Bäume gesetzt. (Luk. 3, 9).
Ein gelehrter Schriftsteller bemerkt über diese Worte: Der Herr sagt nicht, die Axt sei an die Äste der Bäume gesetzt, sondern an die Wurzel, um dadurch die völlige Ausrottung anzuzeigen. Wenn wir nämlich die Äste abschneiden, so bleibt der Baum noch am Leben; wenn wir aber die Wurzeln abschneiden, dann ist der Baum vollends vernichtet und wird ins Feuer geworfen. Der Herr hat die Geißel schon in der Hand und du befindest dich noch in Seiner Ungnade? Die Axt ist an die Wurzel gesetzt; zittere darum, daß dich Gott nicht in der Sünde sterben lasse, denn wenn du so hinstirbst, so wirst du ins Feuer der Hölle geworfen, und nichts vermag dich vom ewigen Untergang zu befreien.
Gott ist nur nachsichtig bis zu einem Punkt
Aber, wendest du vielleicht ein, ich habe bisher schon so viele Sünden begangen und der Herr hat mit mir Geduld gehabt und mich nicht bestraft; darum hoffe ich, daß Er mir auch ferner barmherzig sein werde. Rede nicht also, spricht der Herr: Sage nicht: Ich habe wohl gesündigt, aber was ist mir Leids widerfahren? denn der Höchste ist ein langmütiger Vergelter. (Eccl. 5, 4). Sprich ja nicht also, denn wenn Gott auch geduldig ist, so ist Er dies doch nicht immer: Er ist nachsichtig bis zu einem gewissen Punkt, aber alsdann zahlt Er alles mit einem Mal aus: Ich will vor euch rechten über alle Erbarmungen des Herrn, sprach Samuel zu den Juden. (1. Kön. 12, 7). Ach gerade die Barmherzigkeit Gottes gegen jene Undankbaren wird denselben dereinst zur Verdammung gereichen: Führe sie zusammen wie eine Herde zur Schlachtbank, und weihe sie zum Tage der Schlachtung. (Jer. 12, 3).
Die Herde derjenigen, welche sich nicht bekehren wollen, wird endlich der göttlichen Gerechtigkeit zur Rache anheim fallen und der Herr wird sie verdammen zum ewigen Tod. Wann wird das aber geschehen? Am Tage der Schlachtung, wenn nämlich der Tag seiner gerechten Rache heran kommt. Wir haben also stets Ursache zu fürchten, daß dieser Tag nahe sei, wenn wir uns nicht entschließen, der Sünde zu entsagen: Gott lässt seiner nicht spotten: denn was der Mensch sät, das wird er auch ernten. (Gal. 6, 8). Die Sünder glauben des Herrn zu spotten, wenn sie zu Ostern oder zwei bis dreimal im Jahr beichten, dann aber sich wiederum den vorigen Lastern ergeben. Sie glauben bei alle dem dennoch selig zu werden. Aber, sagt der heilige Isidor, derjenige ist ein Spötter und nicht ein Büßer, der wiederum tut, was getan zu haben er bereut hat: Aber Gott lässt seiner nicht spotten.
Wer Sünden sät, darf nichts anderes hoffen als Züchtigung
Du willst selig werden, mein Christ? Du willst in den Himmel kommen? Was der Mensch sät, das wird er auch ernten. Was säest denn also du? Fluch und Scheltwörter, Rache, Diebstahl, Unehrbarkeit! Und was hoffst du dafür einzuernten? Wer Sünden sät, darf nichts anderes hoffen, als Züchtigung und dereinst die Hölle: Wer in seinem Fleisch sät, fügt der Apostel hinzu, der wird vom Fleisch auch Verderben ernten. Wenn du damit fortfährst, o wollüstiger Mensch, dich in dem Schlamm deiner Ausschweifungen zu wälzen, so vermehrst du das Pech, das dich eines Tages verzehren wird und wovon der heilige Peter Damian redet, da er sagt: Es kommt der Tag, ja die Nacht kommt heran, da sich deine Wollust in Pech umwandelt, womit sich das Feuer in deinen Eingeweiden immerfort nährt. Epist. 6.
Der heilige Johannes Chrysostomus sagt, daß einige sich stellen, als sähen sie nicht. Sie erblicken die Strafen und stellen sich dennoch, als ob sie dieselben nicht sehen. Andere dagegen, sagt der heilige Ambrosius, fürchten die Strafruten erst dann, wenn sie davon getroffen werden. Aber allen diesen wird es ergehen, wie es den Menschen zur Zeit der Sündflut erging; der Patriarch Noe predigte und verkündigte die Züchtigung, welche Gott für die Sünder bereitete; aber die Sünder wollten es nicht glauben, und änderten ihr Leben nicht, obgleich sie sahen, daß Noe schon die Arche erbaute; sie sündigten also fort, bis die Strafe hereinbrach und sie alle in der Flut umkamen: Sie erkannten es nicht, bis die Flut kam und alle hinweg nahm. (Matth. 24, 39).
So erging es auch jenem sündhaften Weibe von der es in der Offenbarung heißt, daß sie ausrief: Ich throne als Königin, Trauer werde ich nicht sehen. (18, 7). Sie fuhr fort, schamlos dahin zu leben, und glaubte nicht, daß sie gestraft werde; endlich kam aber die Strafe, die ihr schon zuvor angekündigt war: Darum werden ihre Plagen an einem Tage kommen, Tod, Trauer und Hunger, und mit Feuer wird sie gebrannt werden. (Offenb. 18, 8).
Wenn die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit überein kommen
O mein Christ, wer weiß, ob Gott dich nicht vielleicht jetzt zum letzten Mal zur Bekehrung ruft. Der heilige Lukas erzählt uns, daß ein Herr, welcher einen Feigenbaum hatte, der schon seit drei Jahren keine Frucht mehr trug, eines Tages zu seinem Gärtner sprach: Siehe, schon drei Jahre komme ich und suche Frucht an diesem Feigenbaum und finde keine; haue ihn also weg! Was soll er noch das Land einnehmen? (Luk. 13, 7). Doch der Weingärtner sprach: Herr, lass ihn auch noch dieses Jahr; vielleicht bringt er in diesem Jahr doch eine Frucht; wenn nicht, so magst du ihn weghauen.
Werfet jetzt einen Blick auf euch selbst, o ihr Sünder! Schon seit mehreren Jahren kommt Gott, und sieht nach, wie es mit euren Seelen steht, und ach, bis heute hat Er noch keine andere Frucht gefunden als Disteln und Dornen, nämlich Sünden und Gottlosigkeit. Ach, hörst du es nicht, wie die göttliche Gerechtigkeit ausruft: Haue ihn weg! Was soll er noch das Land einnehmen? Aber die Barmherzigkeit besänftigt den Herrn und bittet: Lass ihn noch ein Jahr; dann wollen wir sehen, vielleicht bekehrt er sich auf diesen letzten Ruf Deiner Gnade.
Zittere indes, o Sünder, denn siehe, schon sind die Barmherzigkeit und die Gerechtigkeit Gottes mit einander überein gekommen, daß, wenn du dich auch jetzt nicht bekehrst, dir das Leben genommen und du in die Hölle gestürzt werden sollest. Zittere also, meine Seele, und siehe zu, daß sich nicht der Mund der Grube für dich schließe. David flehte zu dem Herrn, daß Er ihn doch vor solch einem Unglück bewahren wolle: Nicht verschlinge mich die Tiefe, noch schließe über mir die Grube ihren Mund. (Ps. 68, 16).
So machen es aber die Sünder, welche bewirken, daß sich allmählich der Mund der Grube, nämlich die Verdammnis, in welche sie sich gestürzt, über sie schließe. So lange diese Grube noch nicht geschlossen ist, so lange können wir immer noch derselben zu entgehen hoffen; schließt sich sich aber diese Grube, o welche Hoffnung bleibt uns alsdann noch übrig? Aber alsdann schließt sich diese Grube, wenn der Sünder das Licht der Gnade verliert und nichts mehr achtet; dann geht in Erfüllung, was der weise Mann sagt: Wenn der Gottlose in den Abgrund kommt, verachtet er’s. (Spr. 18, 3).
Vernimm jetzt, was du zu tun hast
Er verachtet das Gesetz Gottes, er verachtet die Ermahnungen, die Predigten, die Ausschließung aus der Kirchengemeinde, die Drohungen Gottes; ja, er verachtet sogar die Hölle selbst, so daß ein solcher ausruft: Es gehen so viele auf diesem Weg, so will denn auch ich mit den andern gehen. Kann aber auch nur ein Mensch, der also spricht, selig werden? Freilich ist es nicht unmöglich, daß er gerettet werde, aber es wird schwerlich geschehen. O mein Christ, was sagst du hierzu? Bist du etwa auch dahin gelangt, daß du die Züchtigungen Gottes verachtest? Was sagst du denn jetzt? Und wenn du dahin gelangt bist, was hast du alsdann zu tun? Musst du etwa verzweifeln?
Nein, vernimm jetzt, was du alsdann zu tun hast: Fliehe zu Maria. Wenn du auch der Verzweiflung nahe und von Gott verlassen bist, sagt der fromme Blosius, so ist doch Maria die Hoffnung der Verzweifelnden und die Hilfe der Verlassenen. Dasselbe lehrt uns der heilige Bernhard: Meine Königin, sagt er, wenn ein Verzweifelter auf Dich hofft, so ist er nicht mehr ein Verzweifelter, darum hoffe denn also auf dich, wer verzweifelt.
Aber, wendest du mir ein, wenn Gott mich verdammen will, welche Hoffnung kann mir da noch bleiben? Nein, o mein Kind, antwortet dir der Herr, nein, mein Kind, ich will nicht, daß du verdammt werdest: Ich will nicht den Tod des Sünders. Was willst du denn aber, o mein Gott? Ich will, daß ein solcher Sünder sich bekehre und lebe, daß er das Leben meiner Gnade wiederum erlange. (Ezech. 33, 21). Wohlan, mein Christ, wirf dich deinem Heiland zu Füßen, denn siehe, Jesus Christus Selbst streckt Seine Arme nach dir aus, um dich aufzunehmen.
Hier erwecke man die Akte von Reue und Leid etc. –
aus: Alphons Maria von Liguori, Gesammelte Predigten, 1842, Zweiter Teil, S. 24 – S. 33
siehe dazu auch den Beitrag: Klagelied Weihnachten 2021