Heiligenkalender
22. Januar
Der selige Vinzenz Pallotti, Gründer der „Gesellschaft vom katholischen Apostolat“
(21. April 1795 bis 22. Januar 1850)
Selig gesprochen am 22. Januar 1950
Die Reihe der Selig- und Heiligsprechungen des „heiligen Jahres“ 1950 hat ein gebürtiger Römer eröffnet: Vinzenz Pallotti, und der Tag seiner Seligsprechung war gerade der hundertste Jahrestag seines Todes. – Er war das dritte von zehn Kindern seiner Mutter, die selbst eine Römerin war. Sein Vater stammte aus Norcia in Umbrien und führte eine Lebensmittel-Geschäft in Rom. Im Laufe der Zeiten sind nicht weniger als fünf Kardinäle aus dem Geschlecht hervor gegangen, von denen der letzte, ein Neffe des Seligen, durch Papst Leo XIII. im Jahre 1887 den Purpur erhielt.
Wenn man heutzutage mit Recht betont, daß gewöhnlich auch die Heiligen die gleichen Fehler wie die übrigen Menschen zu überwinden haben, so läßt sich doch nicht leugnen, daß es zuweilen Seelen gab und gibt, die schon durch ihre ausgeglichene Temperaments-Anlage, durch eine gute Erziehung und durch ungewöhnlich reiche Gnaden zu den „Lieblingen“ Gottes zu gehören scheinen, in denen der Schöpfer das Nachbild seines eigenen Wesens ungetrübter heraus stellen will. Wer vermöchte dem unbedingten Herrn der Natur und der Gnade dieses recht absprechen, das für eine solche bevorzugte Seele zugleich eine besondere Verpflichtung und Verantwortung bedeutet? –
Charakter und Persönlichkeit
Zu diesen Menschen ist unleugbar Vinzenz Pallotti zu zählen. Sein Charakter war zwar feurig und energisch, aber dank des guten Beispiels seiner Eltern und dank der ausgezeichneten Leitung des Pfarrers von S. Maria in Trastevere, Don Fazzini, wurden diese Eigenschaften ganz in den Dienst der Nächstenliebe und des Gebetseifers gestellt. Es war die größte Freude des kleinen Vinzenz, wenn er anderen geben und schenken konnte, und mehr als einmal verzichtete er auf sein Frühstück und blieb nüchtern, um durch einen Akt der Mildtätigkeit das Verlangen oder den Hunger seines teilnehmenden Herzens zu stillen. Statt der Erholung in den Schulpausen zog er sich nicht selten in stiller Sammlung in die Kapelle zurück. So ist es nicht zu verwundern, daß Vinzenz Pallotti durch solch treue Übung der natürlichen Anlagen und durch eifriges Mitwirken mit der Gnade Gottes sich eine bewundernswerte Selbstbeherrschung und Ausgeglichenheit in allen Stunden und Lagen seines Lebens errang. –
Nur eines mangelte dem Kind: mit seinem vorbildlichen sittlichen Verhalten hielten seine intellektuellen Fähigkeiten nicht gleichen Schritt, und es konnte den Anforderungen der Schule nicht recht genügen. Die darob besorgte Mutter klagte ihr Leid einem Priester; dieser riet ihr, vertrauend zum heiligen Geist zu beten. Das tat die gute Mutter, und ihre sowie ihres gleich gearteten Kindes Gebete schienen dem Himmel Gewalt anzutun. Denn wie durch ein Wunder entfalteten sich nun die geistigen Fähigkeiten Vincenzos, so daß das Lernen, das ihm vorher eine große Überwindung gewesen war, nunmehr eine wahre Freude für ihn wurde.
Vinzenz Pallotti wird Weltpriester
Mit sechzehn Jahren dachte Vincenzo daran, Kapuziner zu werden; doch seiner zarten Gesundheit wegen riet ihm der Seelenführer davon ab. So entschloss er sich, als Weltpriester für Gott und sein Reich zu arbeiten, legte aber gleich das Gelübde der Keuschheit und des Gehorsams gegenüber dem Beichtvater ab; außerdem nahm er sich vor, niemals eine höhere Würde anzunehmen. Am 16. Mai 1818 empfing er die Priesterweihe und brachte am folgenden Tage sein erstes heiliges Opfer dar, und zwar in Frascati, wo seine Verwandten ein Besitztum hatten, und wo er schon als Knabe oftmals seine Gefährten um sich gesammelt und in den Glaubens-Wahrheiten unterwiesen hatte. Dann wollte er sich noch den Doktorgrad in der Theologie erwerben und sich im Gebrauch der französischen Sprache vervollkommnen; von neuem aber schrieb er als seine Losung nieder: „Gott in allem und allezeit!“
Das Studium allein genügte jedoch seinem Priesterherzen nicht, dem das Wort Christi keine Ruhe ließ: „Feuer auf die Erde zu werfen, bin ich gekommen, und wie wünschte ich, es loderte schon“ (Lk. 12, 49), Pallotti wurde sozusagen die Seele einer Studenten-Kongregation, die in einer kleinen Kirche Roms (Santa Maria del Pianto) ihren Sitz hatte; dort lernten ihn einige seiner späteren Mitarbeiter und auch der spätere Papst Pius IX. kennen; dieser – damals noch Graf Mastai Ferretti genannt – war nach Rom gekommen, um sich in die päpstliche Nobelgarde aufnehmen zu lassen, war aber wegen eines körperlichen Gebrechens nicht aufgenommen worden. Er klagte dem Don Vincenzo sein Leid und erhielt von ihm die Antwort: „Machen Sie sich deswegen keine Sorge! Sie können nicht Wache sein für andere, aber andere werden Wache sein für Sie.“ Der Graf erinnerte sich später, als Papst, noch dieser Worte. Ähnliche Dinge ereigneten sich öfter im Leben des Seligen. –
Seine Ganzhingabe an Christus
Immer wieder richtete er ja die Bitte an den Herrn: „Zerstöre mein Leben und setz an dessen Stelle das deine!“ Und er übte selbst, was er einem Freund, dem Professor Allemand, schrieb: „Man muss sich daran gewöhnen, zusammen mit dem Atmen Gott in sich aufzunehmen und ihn auszustrahlen.“ So war er ganz zum lebendigen Werkzeug Gottes geworden und konnte in Wahrheit sagen, daß in geistigem Sinne nicht mehr er selbst, sondern Christus Jesus sein Leben beherrsche und lebe. Und Christus schien an ihm seine Verheißung wahr zu machen: „Wahrlich, … wer an mich glaubt, wird die Werke tun, ich tue; ja, er wird noch größere als diese tun“ (Joh. 14, 12). Sonst wäre es kaum erklärlich, wie Vinzenz Pallotti all das unternehmen konnte, was er tatsächlich geleistet hat; denn er gab wirklich keine leibliche und keine seelische Not, zu der er sich nicht als barmherziger Samaritan nieder geneigt hätte, um ihr abzuhelfen. Er wollte nicht bloß sein eigenes Kreuz tragen, sondern, soweit möglich, auch das Kreuz aller anderen, wie Christus es getan hat, der sein innerstes, wahres Leben war. Schon als junger Student hatte Vincenzo einst in einer Art Vision einen endlos langen Elendszug von Armen, Verfolgten, Leidenden geschaut, die ihre Blicke auf ihn richteten; und er hatte die Arme ihnen entgegen gestreckt und ausgerufen: „Ich will euch trösten… Ich will eure Leiden zu den meinen machen.“ Das hat er tatsächlich sein Leben lang getan. Er fing an bei den Obdachlosen, die jeden Abend im Armenhospiz von Santa Galla zusammen strömten; dort sorgte er nicht bloß nach Kräften für die „armen Brüder“, sondern brach ihnen auch das Brot des Wortes Gottes, wie es eben dort vor ihm schon andere heilige Priester Roms getan hatten, nämlich Vincenzo Strambi (1745 bis 1824), der heilige Kaspar del Bufalo (1786 bis 1837) und der Kardinal Carlo Odescalchi (1785 bis 1841). zu gleicher Zeit widmete er sich der Predigttätigkeit in den verschiedenen Kirchen und selbst auf den Plätzen Roms. Er stand in den Spitälern den Kranken und Sterbenden bei, betreute die Gefangenen im Kerker und bereitete die zum Tode Verurteilten auf den letzten Gang vor. Er pflegte persönlich die an Cholera Erkrankten und sorgte für Unterkunft der verlassenen Jugend, kurz er war ein „Apostel Roms“. Seine abgemagerte, etwas gebückte Gestalt war bald überall bekannt und verehrt; doch wenn man seine Priesterhand küssen wollte, ließ er es nicht zu, sondern reichte ein kleines Bild der Muttergottes zum Kuss, das er immer in seinem Rockärmel mit sich trug und zur Hand hatte. Dazu war er ein gesuchter Beichtvater und Seelenführer, den Päpste und Kardinäle um Rat fragten (wie der Staatssekretär Gregors XVI., Kardinal Lambruschini), und zu dem Gott mehrere auserwählte Seelen führte. –
Ein bemerkenswertes Gebet
Die reiche und vornehme Pfarrei San Marco, die ihm der Kardinalvikar von Rom anbot, lehnte Pallotti ab, nahm aber schließlich die von „Santo Spirito die Napoletani“ an, die in dem ärmeren Viertel von via Giulia lag.
Dort schrieb er einmal, im Jahre 1835, ein Gebet, das in kurzen Worten den Weg seiner – und im Grunde jeder – Heiligkeit zusammen faßt: den Weg der Demut und Selbstverachtung und dazu des Verlangens nach voller Reinigung und nach Befestigung im Guten:
„Mein Gott und Herr“, so schrieb er, „trotz der unzähligen und unbegreiflichen Wohltaten, die ich bisher von dir empfing, kannst du in mir doch nur Undankbarkeit und Nachlässigkeit im Gebrauch deiner Gnaden finden… Kröne nun deine Barmherzigkeit, indem du allen Geschöpfen meine Unwürdigkeit und deine Größe zeigst… Ic bitte dich besonders, eines deiner Geschöpfe zu rufen, das mich schlage, mich verachte, mich plage und demütige nach deinem Willen, auch daß ich meine Leidenschaften, vor allem meinen Stolz überwinde… und daß alles Böse in mir vollständig zerstört und alles nur mögliche Gute in mir gefördert werde, jetzt und immer.“ –
Das mag manchem übertrieben scheinen; doch die Wahrheit, die gerade die Heiligen am tiefsten erfassen, ist diese: daß wir schon als gefallene, mit den Folgen der Erbsünde belastete Menschen vor dem allheiligen Gott ein Abgrund der Unwürdigkeit sind, der nur durch die Demut gleichsam aufgehoben werden kann, und daß in uns die Wurzeln der Leidenschaften sind, die nur durch zähe Arbeit an sich selbst ausgerottet werden können. – Im übrigen hat der Herr jenes Gebet seines Dieners, das wohl seine Gnade selbst ihm eingegeben hatte, vielleicht über dessen Erwarten hinaus erhört. Es fand sich nicht bloß jemand, der den Seligen auf offener Straße schmähte, beschimpfte und bedrohte; es fanden sich auch – was weit schmerzlicher war – geistliche Mitarbeiter in der Pfarrei „Santo Spirito“, die ihren Rektor in unglaublicher Weise behandelten und ihm das verbleiben in der Pfarrei unmöglich machen wollten. Dieser aber nahm alles aus Gottes Hand als dessen „barmherzige Fügungen“ an und blieb bei seiner Losung: „Gutes tun, das Schwere ertragen und ausharren bis ans Ende: das ist das Leben der Apostel.“
Die Gründung der „Gesellschaft des katholischen Apostolats“
Seinem Eifer für das Gute aber war selbst Rom und die Umgebung – wo er an mehreren Orten Missionen gab – zu klein; er trug in seinem Herzen den Plan einer „Gesellschaft des katholischen Apostolats“, in deren Wappen stehen sollte: „Die Liebe Christi drängt uns“, und deren Zweck sein sollte: „denGlauben auf der ganzen Welt zu verbreiten, damit diese mehr Gott den Herrn, die unendliche Liebe, erkenne, und dazu die Liebe in allen herzen zu entzünden“. Alle Mittel, Wort und Schrift, Gebet und Buße sollten dazu benützt werden, alle Stände sollten dabei mitarbeiten können. Vielversprechende Anfänge der Gesellschaft weckten Eifersucht und Gegnerschaft, die ein vorübergehendes Verbot der Gesellschaft erreichte. Die Werke Gottes aber gehen nicht unter im Widerspruch, sondern vervollkommnen sich und bringen reichere Früchte, ähnlich wie der Weinstock, den man beschneidet. Zudem hatte Pallotti seiner Gesellschaft als Grundgesetz gegeben: „Die Gottesliebe, das heilige Band, worin jede Pflicht und jedes Gebot zusammen gefaßt ist; denn wenn man wahrhaft liebt, so ist man rein, ist man arm, ist man gehorsam… weil die Liebe (wie der heilige Paulus sie versteht) niemals aufhört.“ Im Jahre 1948 konnte die Gesellschaft wieder den Namen vom „Katholischen Apostolat“ annehmen, den sie im Jahre 1854 hatte vertauschen müssen mit dem einer „Frommen Missionsgesellschaft“.
„Legen wir alles in die Hände Mariens!“
Das Bild des Vincenzo Pallotti wäre aber nicht vollständig in seinen Hauptzügen angedeutet, wenn wir nicht auch noch besonders hinweisen wollten auf ein bezeichnendes Wort, das er oft wiederholte und nicht bloß sich selbst unter dem Druck der Verkennung und Verfolgung, sondern auch allen Bedrängten und Bedrückten zurief: „Legen wir alles in die Hände Mariens!“ Wie weit seine Vertrautheit mit der himmlischen Mutter der Gnade ging, zeigt folgende Eintragung in seinem Tagebuch, worin er von sich selbst wie von einer dritten Person spricht: „Um mit einem Wunder der Barmherzigkeit über die Undankbarkeit und die Unwürdigkeit des elendesten unter den Untertanen ihres barmherzigen Reiches zu triumphieren, hat die große Mutter der Barmherzigkeit in ihrer Güte sich gewürdigt, die Brautschaft mit ihm zu feiern; sie gibt ihm als Angebinde das, was sie besitzt: sie läßt ihn ihren eigenen Sohn erkennen und – als Braut des Heiligen Geistes – verpflichtete sie sich, ihn kraft dieses Geistes ganz umzuwandeln.“ – So begreift man, daß er ausruft: „Der Himmel ist voll von den Barmherzigkeiten Mariens… Ich will auf ewig verherrlichen die Barmherzigkeit Mariens.“
Sein Abschied: Laßt mich gehen, wohin Gott will!
Dieser Tag kam für Pallotti schon, als er noch nicht 55 Jahre auf Erden vollendet hatte. Im Revolutionsjahr 1848 hatte er noch, wenn auch vergeblich, den bevollmächtigten Minister des Papstes Pius IX., Pelegrino Rossi, gewarnt, der dann tatsächlich von den Revolutionären ermordet wurde. Nach der Flucht des Papstes aus Rom nach Gaeta war auch Pallotti seines Lebens nicht mehr sicher und musste sich verstecken bis zum Juli 1849. Im August des gleichen Jahres besuchte ihn sein Freund, Pater Clausi, und sagte ihm: „Vincenzo, verlaß diese schmutzige Welt! Was willst du noch hier machen? Ich gehe fort… Aber einen Monat darauf werden wir uns da droben wiedersehen.“ Wirklich starb Pater Clausi am 20. Dezember jenes Jahres, und einen Monat später, am 22. Januar 1850, folgte ihm sein Freund und Seelenführer Vincenzo Pallotti. Am Tage vorher hatte dieser noch Elisabeth Sanna sagen lassen: „Morgen ist das Fest der Vermählung der seligsten Jungfrau (mit dem heiligen Joseph). Welch herrliches Fest wird das im Paradies sein, welch herrliches Fest!“ Die Dienerin Gottes hatte erwidert: „Sagt dem Don Vincenzo, daß ich verstanden habe!“ – Seine Schüler und Mitbrüder fragten ihn besorgt am Vorabend seines Todes: „Was wird mit dem Werk (des ‚katholischen Apostolats‘) werden?“ – Der Kranke erwiderte: „Es wird leben und von Gott gesegnet sein.“ Die letzten Worte des Sterbenden waren: „Laßt mich gehen, wohin Gott will! Laßt mich gehen!“ – Und Gott wollte ihn beseligend im Himmel – und verherrlichen auch auf Erden. –
aus: Ferdinand Baumann SJ, Pius XII. erhob sie auf die Altäre, S. 235 – S. 240