Apostolisches Schreiben Pius IX. an alle Protestanten und andere Akatholiken
IAM VOS OMNES (1868)
Ihr wißt wohl schon Alle, daß Wir, obwohl unverdienter Weise auf diesen Stuhl Petri erhoben und darum vorgesetzt der höchsten Regierung der gesamten katholischen Kirche und der von Christus dem Herrn Uns göttlicher Weise übertragenen Obsorge, es für zweckmäßig erachtet haben, alle ehrwürdigen Brüder, die Bischöfe der ganzen Welt, zu Uns zu berufen und in einem im künftigen Jahr zu feiernden ökumenischen Konzil zu vereinigen, auf daß Wir mit diesen zur Teilnahme an Unserer Hirtensorge berufenen ehrwürdigen Brüdern alle diejenigen Ratschlüsse fassen können, welche die zweckmäßigsten und notwendigsten sind, sowohl um die Finsternis so vieler verpestender Irrtümer zu zerstreuen, die zum größten Schadender Seelen von Tag zu Tag überall mehr herrschen und um sich greifen, als auch um in den Unserer Wachsamkeit anvertrauten christlichen Völkern das Reich des wahren Glaubens, der Gerechtigkeit und des wahren Gottesfriedens von Tag zu Tag mehr zu begründen und auszubreiten. Und erfüllt von starkem Vertrauen auf den innigsten und liebevollsten Bund der Vereinigung, durch welchen mit Uns und diesem apostolischen Stuhl auf wunderbare Weise eben diese ehrwürdigen Brüder verknüpft sind, welche während der ganzen Zeit Unseres obersten Pontifikates niemals unterlassen haben, Uns und diesem Stuhl die glänzendsten Zeugnisse ihres Glaubens, ihrer Liebe und Ergebenheit abzulegen, stützen Wir Uns auf die Hoffnung, es werde, wie in früheren Jahrhunderten andere allgemeine Konzilien, so auch dieses im laufenden Jahrhundert von Uns angesagte ökumenische Konzil, durch die Gnade Gottes, reichliche und hoch erfreuliche Früchte hervor bringen, zur Ehre Gottes und zum ewigen Heil der Menschen.
Darum können Wir, aufgerichtet durch diese Hoffnung, angespornt und getrieben durch die Liebe unseres Herrn Jesu Christi, der für das Heil des ganzen Menschengeschlechtes sein Leben hingegeben, nicht umhin, aus Anlass des künftigen Konzils mit Unseren apostolischen und väterlichen Worten alle diejenigen anzureden, welche, obwohl sie denselben Christum Jesum als Erlöser anerkennen und des Christennamens sich rühmen, doch den wahren Glauben Christi nicht bekennen und der Gemeinschaft der katholischen Kirche nicht folgen. Und zwar tun Wir dies, um mit allem Eifer und mit aller Liebe auf`s Nachdrücklichste zu erinnern, zu ermahnen und zu beschwören, daß sie ernstlich erwägen und wahrnehmen wollen, ob sie den von demselben Christo dem Herrn vorgeschriebenen Weg verfolgen, welcher zum ewigen Heil führt. Niemand kann ja leugnen und bezweifeln, daß Christus Jesus selbst, um die Früchte seiner Erlösung allen menschlichen Geschlechtern zuzuwenden, diese seine einzige Kirche hier auf Erden auf Petrus erbaut habe, nämlich die Eine, heilige, katholische, apostolische, und daß er ihr alle nötige Gewalt übertragen habe, damit das Vermächtnis des Glaubens ganz und unverletzt bewahrt und dieser selbe Glaube allen Völkern, Stämmen und Nationen überliefert würde, auf daß alle Menschen durch die Taufe in seinen mystischen Leib eingefügt würden, und in ihnen immer bewahrt und vervollkommnet würde jenes neue Leben der Gnade, ohne welches nie Jemand das ewige Leben verdienen und erlangen kann, und auf daß diese Kirche, seinen mystischen Leib bildet, in ihrem eigenen Wesen immer fest und unverrückt bleibe und kräftig blühe bis ans Ende der Zeiten und allen ihren Kindern alle Schutzmittel des Heiles darreiche.
Wer nun aber sorgfältig betrachtet und erwägt, in welcher Lage sich die verschiedenen und von einander abweichenden Religions-Gesellschaften befinden, getrennt von der katholischen Kirche, welche von Christo unserm Herrn und seinen Aposteln an ohne Unterbrechung durch ihre rechtmäßigen geweihten Hirten immer diejenige göttliche Gewalt ausgeübt hat und auch gegenwärtig ausübt, welche von dem Herrn selbst ihr übergeben ist, der wird sich leicht überzeugen müssen, daß weder eine einzelne aus diesen Genossenschaften, noch alle zusammen auf irgend eine Weise jene Eine und katholische Kirche bilden und seien, welche Christus der Herr erbaut, begründet und deren Bestand er gewollt hat, und daß sie auf keine Weise ein Glied oder ein Teil dieser Kirche genannt werden können, dieweil sie von der katholischen Einheit sichtbar getrennt sind.
Denn da solche Gesellschaften jener lebendigen und von Gott gegründeten Autorität entbehren, welche die Menschen die Dinge des Glaubens und die Zucht der Sitten vornehmlich lehrt und sie in Allem, was auf das ewige Heil wesentlichen Bezug hat, leitet und lenkt: so haben diese Gesellschaften in ihren Lehren unablässig gewechselt, und es hört diese Beweglichkeit und Unbeständigkeit bei diesen Gesellschaften niemals auf. Jeder sieht leicht ein und erkennt klar und offen, daß dies der von Christus dem Herrn eingesetzten Kirche im höchsten Grade widerstrebt, in welcher die Wahrheit immer beständig und keiner Änderung jemals unterworfen verbleiben muss, als das Vermächtnis, welches zur unversehrten Bewahrung dieser Kirche übergeben worden, zu deren Schutz die Gegenwart und der Beistand des heiligen Geistes eben dieser Kirche für beständig verheißen ist. Niemanden aber ist es unbekannt, daß aus diesem Zwiespalt der Lehren und Meinungen auch soziale Spaltungen entstehen, und daß aus denselben zahllose Gemeinschaften und Sekten ihren Ursprung haben, die zum größten Schaden des christlichen und des bürgerlichen Gemeinwesens von Tag zu Tag mehr sich verbreiten.
Denn wer immer die Religion als die Grundlage der menschlichen Gesellschaft betrachtet, wird anerkennen und gestehen müssen, welch großen Einfluss auf die bürgerliche Gesellschaft die Spaltung und Uneinigkeit solcher Prinzipien und der unter einander streitenden Religions- Gesellschaften geübt hat, und wie sehr die Leugnung der Autorität, welche von Gott begründet ist zum Zweck der Regelung der Überzeugungen des menschlichen Verstandes und der Leitung der Handlungen der Menschen, sowohl im privaten als im gesellschaftlichen Leben, jene höchst unglücklichen Bewegungen und Verwirrungen der Dinge und der Zeiten, durch welche fast alle Völker in beklagenswerter Weise beunruhigt und heimgesucht hat, befördert und genährt hat.
Darum mögen alle diejenigen, welche an der Einheit und Wahrheit der katholischen Kirche nicht festhalten (S. August. Epist. 61. al. 253.), die Gelegenheit dieses Konzils ergreifen, durch welches die katholische Kirche, der ihre Vorfahren angehörten, einen neuen Beweis ihrer innigen Einheit und ihrer unüberwindlichen Lebenskraft gibt und, gemäß dem Bedürfnis ihres Herzens, aus jenem Zustand sich los zu reißen trachten, in welchem sie über ihr eigenes Heil nicht sicher sein können. Und sie vermögen nicht aufhören, die brünstigsten Gebete dem Gott der Erbarmungen darzubringen, daß er die Wand der Trennung zertrümmere, die Finsternis der Irrtümer verscheuche und sie in den Schoß der heiligen Mutter, der Kirche, zurück führe, in welcher ihre Vorfahren die heilsame Weide des Lebens hatten und in welcher allein die Lehre Jesu Christi ungetrübt bewahrt und überliefert wird und die Geheimnisse der himmlischen Gnade ausgespendet werden.
Da Wir nun aber nach der Uns von Christus dem Herrn selbst übertragenen Pflicht Unseres obersten apostolischen Amtes alle Aufgaben eines guten Hirten mit höchstem Eifer erfüllen und alle Menschen des ganzen Erdkreises mit väterlicher Liebe aufsuchen und umfassen müssen, so erlassen Wir dieses Unser Schreiben an alle von Uns getrennten Christen, durch welches Wir sie wieder und wieder ermahnen und beschwören, daß sie eilends zurück kehren zu dem einzigen Schafstall Christi; denn Wir wünschen aus ganzem Herzen ihr Heil in Christo Jesu, und Wir fürchten, daß Wir diesem Unserem Richter einst Rechenschaft geben müssten, wenn Wir ihnen nicht, so viel an Uns ist, den Weg zur Erlangung dieses ewigen Heiles zeigen und sichern würden. Gewiß lassen Wir niemals ab, in allem Gebet und Flehen mit Danksagung Tag und Nacht für sie die Fülle der himmlischen Erleuchtungen und Gnaden vom ewigen Hirten der Seelen demütig und inständig zu erflehen. Und weil Wir, obwohl unverdientermaßen, hier auf Erden seine Stelle vertreten, darum erwarten Wir sehnlichst mit offenen Armen die Rückkehr der irrenden Söhne zur katholischen Kirche, damit Wir sie in das Haus des himmlischen Vaters liebevollst aufnehmen und mit seinen unerschöpflichen Schätzen bereichern können. Denn von dieser so sehr erwünschten Rückkehr zur Wahrheit und Gemeinschaft mit der katholischen Kirche hängt nicht nur das Wohl des Einzelnen, sondern der ganzen christlichen Gesellschaft zumeist ab, und die ganze Welt kann des wahren Friedens nicht genießen, wenn nicht Ein Schafstall und Ein Hirt wird.
Gegeben zu Rom bei St. Peter am 13. September 1868.
Unseres Pontifikates im dreiundzwanzigsten Jahr.
aus: Matthias Joseph Scheeben: Das ökumenische Concil vom Jahre 1869, Erster Band, 1870, S. 43 – S. 46
siehe auch den Beitrag: Die Kirche der mystische Leib Christi