Warum ist die Honoriusfrage immer noch eine Frage?
Der hochw. Herr Bischof Hefele hat seiner Broschüre über die Honoriusfrage in der von ihm selbst besorgten deutschen Ausgabe einen Nachtrag beigegeben, worin er die Ausstellungen, welche der römische Professor Pennacchi (am Schlusse der umfangreichen Schrift De Honorii I. causa) ihm gemacht, beantworten will. Wenn wir früher schon erstaunen mussten, wie der sonst so exakte Gelehrte die Regeln der Wissenschaft und die in gelehrten Kontroversen zu beobachtende Taktik außer Acht läßt, dann wissen wir hier vollends nicht, was wir sagen sollen.
Wie ist es möglich, daß er Herr Bischof schreiben konnte: „die einleuchtende Klarheit der Orthodoxie der Briefe des Honorius sei Niemanden vor dem Jahre 1870 aufgegangen, diesem Jahr, worin gewisse Leute alles Mögliche zusammen tragen und stöbern und suchen, was nach ihrer Meinung irgend welchen Schein eines Beweises für die Unfehlbarkeit des Papstes an sich trägt“? Hat der hochw. Herr denn vergessen, wie er in seiner Konziliengeschichte selbst gestanden, daß die Elite der katholischen Theologen und Historiker schon im 17. Jahrhundert – darunter auch die hervorragendsten Gallikaner – diese Orthodoxie anerkannt haben?
Wie in aller Welt ist es möglich, daß ein in historischer Kritik geübter Gelehrter und ein gewissenhafter Bischof mit der größten Zuversicht und Unbefangenheit die in gegenwärtiger Frage entscheidende Hauptstelle im Bestätigungsschreiben Leo`s II. nach der gerade hier höchst fehlerhaften lateinischen Übersetzung (Hefele selbst konstatiert in seiner Konzil-Geschichte III. S. 263, daß der lateinische Text nur Übersetzung ist) zitiert, und das Gegnern gegenüber, die die Fehlerhaftigkeit der Übersetzung konstatiert und bewiesen haben?) nach dem lateinischen Text „hat Honorius den unbefleckten Glauben durch unheiligen Verrat zu verkehren versucht“, nach dem griechischen Text „hat er zugelassen, daß die unbefleckte (Kirche nämlich) durch den unheiligen Verrat (nämlich der vorgenannten Häretiker) befleckt wurde“; und nun will der hochw. Herr aus jenem korrupten Text beweisen, daß Leo II. den Honorius nicht bloß wegen Nachlässigkeit verdammt habe, während der griechische Text und die in andern Schreiben Leo`s II. wiederholten Urteile ausdrücklich besagen, er verdamme den Honorius wegen seiner Nachlässigkeit und Nachsicht gegenüber der Häresie. Da sollte man fast denken, im Jahre 1870 „trage man in der Tat alles Mögliche zusammen“, nicht für, sondern gegen die Unfehlbarkeit des Papstes.
Nicht viel besser steht es mit den übrigen Argumenten des hochw. Herrn Verfassers. Dem Leser, der des Lateins nicht sehr kundig ist, kann es leicht imponieren, wenn er die Worte des Honorius: satis ineptum est sentire aut promere, Christum unius aut duorum operationum esse vel fuisse übersetzt: Es ist ungereimt genug, zu wähnen, daß Christus von einer oder zwei Wirkungsweisen gewesen sei.“ Glücklicher Weise besitzen wir von dem größten Kenner der lateinischen Sprache, von Cicero selbst, eine Erklärung des Wortes ineptum (De oratore, lib. II, cap. IV) (*) nebst der Bemerkung, daß eben die Griechen (mit denen Honorius hier zu tun hatte) reichlich die Sache selbst, aber keinen so treffenden Namen dafür hätten. Nach dieser Erklärung heißt ineptum ungefähr so viel wie unser deutsches „spitzfindig“, und gerade diese Bedeutung entspricht einzig dem Kontext und dem ganzen Gedankengang des Honorius. Zwischen „spitzfindig“ und „ungereimt“ ist aber ein himmelweiter Unterschied, den man ohne Spitzfindigkeit erfassen, aber nicht ohne Ungereimtheit verleugnen kann.
Wahr ist es, daß Honorius gesagt hat, solche „Spitzfindigkeiten“ solle man den Grammatikern überlassen, nämlich, statt sie unnötiger Weise in die Glaubensformeln aufzunehmen; unwahr aber, daß er gesagt habe, man solle „sie den aufgeschwollenen Philosophen überlassen, die mit ihrem Froschgeschrei gegen die Christen sich hören ließen“; er hat vielmehr nur gesagt, man solle die Spitzfindigkeit der neuen Ausdrücke, welche nach beiden Seiten hin zur Verwirrung des christlichen Volkes und zur Wiederbelebung erstorbener Häresien ausgebeutet werden könne, vermeiden, weil man es vorziehen müsse, daß die Philosophen ihr Froschgezänk gegen uns erheben und über den Mangel an Scharfsinn Klage führten, als daß das einfache und demütige christliche Volk leer ausgehe. Im Munde eines Bischofs ist uns vollends unbegreiflich folgende Äußerung, die wir mit den Grundsätzen billiger Beurteilung de Worte des Nächsten, geschweige denn eines Papstes nicht zu reimen wissen: „Wer kann bestreiten, daß jene Ausdrucksweise des Honorius: ‚Es werden die Kleinen geärgert’“, eine rhetorische Formel ist, andere sagen zu lassen, was wir selber denken?“ Das fehlte noch, daß man dem harmlosen, durch byzantinische Kunstgriffe auf falsche Fährte geleiteten Papst auch noch die Kniffe eines doppelzüngigen Journalismus unterschiebt.
Eben so unwahr und unbegründet ist die Insinuation des hochw. Herrn Verfassers, daß Honorius nicht besser die orthodoxe Lehre ausgesprochen habe, als Sergius, und daß, „wenn jener von jedem Verdacht des Monotheletismus frei gesprochen werde, auch Sergius orthodox und keineswegs mit dem Monotheletismus befleckt sei“; er setzt bei: „das glaube, mit Horaz zu reden, der Jude Apella“. Der Monotheletismus des Sergius ist nicht bloß aus seinem mit byzantinischer Geriebenheit abgefaßten Schreiben an Honorius, sondern auch aus andern offenen Äußerungen desselben bekannt. Wenn aber Sergius, wie Hefele sagt, in seinem Brief die Formel des Konzils von Chalcedon anerkennen will, dann tut er auch das wesentlich anders als Honorius. Sergius betonte nach der Formel bloß, daß die Tätigkeit der beiden Naturen „ungeteilt und untrennbar von derselben Person des Sohnes Gottes ausgehe“; Honorius aber hebt in beiden Briefen hervor, „Die Naturen wirkten ihre eigentümliche Tätigkeit nicht bloß ungeteilt, sondern auch inconfuse et inconvertibiliter, unvermischt und unwandelbar“, d. h. denn doch wohl, jede Natur habe ihre eigene von der der andern durchaus unterschiedene und verschiedene Tätigkeit: und doch behauptet der hochw. Herr Verfasser, Honorius habe aus der Verschiedenheit der Naturen nicht besser, als Sergius, die innere und wesentliche Verschiedenheit der beiden Tätigkeiten geschlossen; könnten wir da nicht mit mehr Recht sagen: „das glaube der Jude Apella“?
Endlich schließt der Verfasser: „wenn, wie sein Gegner zugestehe, auch nur die Orientalen resp. die abendländischen Legaten und Deputierten auf dem IV. Konzil den Honorius wegen Häresie verurteilt haben, dann folgt daraus, daß sie wenigstens der Papst nicht für unfehlbar gehalten, und das ist es, was wir beweisen mussten.“ Mit Erlaubnis, es war zu beweisen, daß nach der Lehre der Kirche, oder wenigstens nach der Auffassung der Synode der Papst in einem Ausspruch ex cathedra irren, d. h. der Kirche etwas Falsches zu glauben vorschreiben könne; davon aber sagt die Synode keine Silbe, und der hochw. Verfasser hat in seiner Schrift wie im Nachtrag nicht einmal ein einziges Argument, auch nur versuchsweise, vorgebracht, um zu zeigen, daß die Synode an einen Irrtum in einer Glaubens-Entscheidung gedacht habe. Auch wäre es noch keine ganz unüberwindliche Schwierigkeit gegen die Unfehlbarkeit des Papstes, wenn die nicht das klare und volle Bewusstsein desselben gehabt hätte, weil auch die allgemeinen Konzilien ohne Beitritt des Papstes selbst nicht unfehlbar sind. Von dem also, was zu beweisen war, ist nichts bewiesen. Vielmehr dürfe dieser neueste verzweifelte Versuch, die Honoriusfrage gegen die päpstliche Unfehlbarkeit auszubeuten, beweisen, daß die sogen. historischen Schwierigkeiten gegen dieselbe nicht in der Geschichte, sondern in den Augen der Geschichtsschreiber liegen.
(*) Sollte man nicht glauben, Honorius habe gerade mit Rücksicht auf diese Stelle Cicero`s seine Ausdruck gewählt? Ist es zu verwundern, daß die griechische Übersetzung des Ausdrucks, die nach Cicero unmöglich genau werden konnte, den Griechen den Gedanken des Honorius in einem schlimmeren Licht erscheinen ließ, als den Lateinern?
aus: Matthias Joseph Scheeben: Das ökumenische Concil vom Jahre 1869, Bd. 2, 1870, S. 163-166
siehe auch den Beitrag: Magisterium des Papstes – Honorius I.