Magisterium des Papstes – Honorius I.
Der Fall des Honorius ist unter den von den Gegnern des höchsten und unfehlbaren Magisteriums des Papstes angeführten geschichtlichen Tatsachen die scheinbarste und daher auch während des Vatikanischen Konzils, sei es als Grund, sei es als Schwierigkeit, vorzüglich geltend gemacht worden. In seiner schärfsten Fassung lautet der Einwand, Honorius habe in seinen Schreiben an Sergius die monotheletische Häresie ex cathedra definiert und sei deshalb von dem sechsten allgemeinen Konzil, dem dritten von Konstantinopel, unter Bestätigung des Apostolischen Stuhles, als Häretiker verurteilt worden. (Siehe dazu auch den Beitrag: Die Honoriusfrage)
Wäre diese Behauptung richtig, so folgte daraus: 1. daß der Papst in seiner Kathedral-Entscheidung irren könne; 2. daß das Konzil über dem Papst stehe und dessen dogmatische Entscheidungen reformieren könne.
Die Lösung dieses Einwandes wird in mehr als einer Beziehung lehrreich sein. Vor allem ist auf eine evidente Tatsache aufmerksam zu machen, welche von vornherein nicht nur für den Glauben, sondern auch für die gesunde Vernunft feststellt, daß der Fall des Honorius unmöglich jene Bedeutung haben kann, welche die Gegner der päpstlischen Infallibilität ihm beilegen. Der Fall und die Verurteilung des Honorius durch das sechste Konzil war allen Jahrhunderten bekannt. Aber weder die Päpste, noch die Konzilien, noch die Väter, noch die Theologen aller folgenden Zeiten ließen – wie wir in unserem Traditionsbeweis genügend gezeigt haben – sich dadurch abhalten, die Unfehlbarkeit der päpstlichen Kathedral-Entscheidungen als eine unzweifelhafte Wahrheit zu bekennen. Sie waren also überzeugt, daß Honorius nicht ex cathedra einen Irrtum definiert und daß das sechste Konzil nicht eine päpstliche Kathedral-Entscheidung reformiert hatte. Dieses steht durch den Konsens der Kirche fest und musste schon vor dem Vatikanum Jeden, der mit der Kirche übereinstimmen wollte, abhalten, dem Falle des Honorius eine Bedeutung beizulegen, die er unmöglich haben kann, ohne die gesamte Tradition der Kirche Lügen zu strafen.
Dem entsprechend haben denn auch alle angesehenen katholischen Theologen und Historiker den Fall des Honorius und seine Verurteilung durch das sechste Konzil in einer Weise verstanden, welche das Dogma von der Unfehlbarkeit päpstlicher Kathedral-Entscheidungen intakt läßt. Alle nämlich, obwohl sie in Einzelheiten von einander abweichen, stimmen darin überein, daß Honorius unter allen Umständen keine häretische Kathedral-Entscheidung erlassen und nicht wegen einer solchen durch eine ökumenisch gültige Entscheidung verurteilt worden sei. (siehe dazu auch den Beitrag: Keine Häresie nachweisbar) Was sich über die Honoriusfrage Zuverlässiges aus den Quellen nach der Übereinstimmung der gründlichsten Theologen ergibt, läßt sich in folgende Sätze zusammenfassen:
1. Was zunächst Honorius und seine beiden Schreiben an Sergius betrifft, so kann
a) die persönliche Rechtgläubigkeit des Honorius keinem vernünftigen Zweifel unterliegen.
b) Was seine beiden Schreiben betrifft, so enthalten sie in ihrer Auseinandersetzung der katholischen Lehre keinen glaubenswidrigen Irrtum.
c) Der in seinen nachteiligen Folgen erst später hervortretende Fehler des Honorius bestand darin, daß er über die ausgesprochene Streitfrage die notwendige Entscheidung nicht gab, sondern, die Sache für einen bloßen Wortstreit nehmend, wollte, daß man weder von einer noch von zwei Energien in Christo rede und sich lediglich an die Redeweise des Chalcedonense und Leo’s d. Gr. halte.
d) Unter allen Umständen enthalten die beiden Briefe des Honorius an Sergius, mag man sie als Privatschreiben oder als amtliche Schreiben betrachten, keine kathedrale Definition eines Dogmas, berühren also, was immer ihr Inhalt sein mag, die Frage von der Irreformabilität päpstlicher Kathedral-Entscheidungen nicht.
2. Was die Verurteilung des Honorius betrifft, so haben
a) sowohl die Päpste, als die Konzilien, welche dem sechsten Konzil vorausgingen, den Honorius nicht verurteilt, vielmehr ihn verteidigt, vor allem aber die unbefleckte Glaubensreinheit des Apostolischen Stuhles behauptet.
b) Was nun das sechste Konzil betrifft, so ist es eine Streitfrage, ob die Väter desselben den Honorius als eigentlichen Häretiker und seine beiden Briefe als häretisch, oder ob sie ihn nur als Beförderer der Häresie, und somit als Häretiker im weiteren und uneigentlichen Sinne, verurteilten. In beiden Fällen enthält diese Verurteilung weder ein Praejudiz gegen die Infallibilität päpstlicher Kathedralentscheidungen noch gegen den Grundsatz: prima sedes a nemine judicatur. (*)
c) Mag es aber sich mit den Beschlüssen des VI. Konzils wie immer verhalten, so steht fest, daß dieselben nur insofern Gültigkeit haben, als sie vom Papst Leo II. bestätigt wurden. Leo II. hat aber die Verurteilung des Honorius nur insofern bestätigt, als derselbe wegen Beförderung der Häresie durch Nachlässigkeit und Pflichtverletzung schuldig befunden wird. Nur in diesem Sinne und Umfange ist auch seine Verurteilung durch spätere Konzilien und Päpste anerkannt worden.
(*) Endlich kommt auch hier der sehr allg. anerkannte und selbst ins Corp. jur. – Can. Si Papa dist. 4, c.6 – aufgenommene Grundsatz in Betracht, daß der Papst, wenn er persönlich in Häresie falle, eo ipso seines Amtes verlustig sei und von der Kirche gerichtet werden könne. Cf. Ballerini, De potest. eccles. c. 9, § 2. Auf diese Gründe weist auch Hadrian II. hin, indem er gegen die Anmaßung des Photius zeigt, daß aus der Verurteilung des Honorius durch das Cpt. III nicht folgt, daß der Papst unter der Jurisdiktion des Konzils steht… Mit Unrecht hat man aus diesen Worten Hadrian`s II. folgern wollen, daß Honorius wegen eigentlicher Häresie verurteilt worden sei und daß bereits Agatho seine Verurteilung ausgesprochen habe. –
aus: J. B. Heinrich, Dogmatische Theologie, Bd. 2, 1876, S. 444 – S. 453