Wir haben die Erbsünde von Adam geerbt
§ 23. Die Fortpflanzung der Erbsünde
Die Erbsünde wird durch natürliche Zeugung fortgepflanzt. De fide.
Das Konzil von Trient sagt: propagatione, non imitatione transfusum omnibus. D 790. Bei der Taufe der Kinder wird durch die regeneratio getilt, was sie sich durch die generatio zugezogen haben. D 791.
Da die Erbsünde ein peccatum naturae ist, wird sie auf demselben Wege fortgepflanzt wie die menschliche Natur, durch den natürlichen Zeugungsakt. Obwohl sie dem Ursprung nach eine einzige ist (D 790), nämlich die Sünde des Stammhauptes allein (die Sünde Evas ist nicht Ursache der Erbsünde), wird sie so oft vervielfältigt, als durch natürliche Zeugung ein Adamskind ins Dasein tritt. Bei jeder Zeugung wird die menschliche Natur im Gnaden entblößten Zustand mitgeteilt.
Die Hauptursache (causa efficiens principalis) der Erbsünde ist allein die Sünde Adams. Die werkzeugliche Ursache (causa eficiens instrumentalis) ist der natürliche Zeugungsakt, durch den der Zusammenhang des einzelnen Menschen mit dem Stammhaupt hergestellt wird. Die mit dem Zeugungsakt verbundene aktuelle Konkupiszenz, die Geschlechtslust (libido), ist entgegen der Ansicht Augustins (De nuptiis et concup. I 23, 25; 24, 27) weder die Ursache noch die unumgängliche Bedingung für die Fortpflanzung der Erbsünde. Sie ist nur eine Begleiterscheinung des Zeugungsaktes, der für sich allein die werkzeugliche Ursache für die Überleitung der Erbsünde ist. Vgl. S. th. 1 II 82, 4 ad 3.
Einwände. Aus der kirchlichen Lehre von der Fortpflanzung der Erbsünde folgt nicht, wie die Pelagianer behaupteten, daß Gott Urheber der Sünde ist. Die von Gott erschaffene Seele ist nach ihrer natürlichen Beschaffenheit gut. Der Zustand der Erbsünde bedeutet den Mangel eines übernatürlichen Vorzugs, auf den das Geschöpf keinen Anspruch hat. Gott ist darum nicht verpflichtet, die Seele im Schmuck der heiligmachenden Gnade zu erschaffen. Daß der neu erschaffenen Seele die übernatürliche Ausstattung versagt wird, daran ist nicht Gott schuld, sondern der Mensch, der seine Freiheit mißbrauchte. Aus der kirchlichen Lehre folgt auch nicht, daß die Ehe in sich schlecht ist. Der eheliche Zeugungsakt ist gut, weil er objektiv, d. h. nach seiner Zweckbestimmung, und subjektiv, d. h. nach der Absicht der Zeugenden, auf ein Gut abzielt, die von Gott gewollte Fortpflanzung der menschlichen Natur.
§ 24. Die Folgen der Erbsünde
Die Folgen der Erbsünde werden von den Theologen im Anschluß an Lk. 10, 30 in dem Axiom zusammen gefaßt: Homo per peccatum (Adae) spoliatus est gratuitis (= supernatuarlibus), vulneratus in naturalibus. Vgl. S. th. 1 II 85; Sent. II d. 29 q. 1 a. 2.
1. Verlust der übernatürlichen Ausstattung
Im Stand der Erbsünde ist der Mensch der heiligmachenden Gnade und ihrer Gefolgschaft sowie der präternaturalen Integritätsgaben beraubt. De fide bezüglich der heiligmachenden Gnade und des donum immortalitatis. D 788 f.
Der Mangel der heiligmachenden Gnade hat als Abwendung des Menschen von Gott Schuldcharakter, als Abwendung Gottes vom Menschen Strafcharakter. Der Mangel der Integritäts-Gaben bewirkt, daß der Mensch der Konkupiszenz, Leiden und dem Tod verfallen ist. Diese Folgen bleiben auch nach der Tilgung der Erbsünde zurück, aber nicht mehr als Strafen, sondern als poenalitates, d. h. als Mittel zur Tugendübung und sittlichen Bewährung. Der Erbsünder befindet sich in der Gefangenschaft und Knechtschaft des Teufels, den Jesus den Fürsten dieser Welt (Joh. 12, 31; 14, 30), Paulus den Gott dieser Welt nennt (2. Kor. 4, 4). Vgl. Hebr. 2, 14; 2. Petr. 2, 19.
2. Verwundung der Natur
Die Verwundung der Natur darf nicht mit den Reformatoren und Jansenisten als völlige Verderbnis der menschlichen Natur aufgefaßt werden. Der Mensch behält im Zustand der Erbsünde die Fähigkeit, natürliche religiöse Wahrheiten zu erkennen und natürliche sittlich gute Handlungen zu verrichten. Das Vatikanische Konzil lehrt, daß der Mensch mit seiner natürlichen Erkenntniskraft das Dasein Gottes sicher erkennen kann. D 1785, 1806. Das Konzil von Trient lehrt, daß der freie Wille durch die Sünde Adams nicht verloren und ausgelöscht wurde. D 815.
Die Verwundung der Natur erstreckt sich auf den Leib und auf die Seele. Das 2. Konzil von Orange (529) erklärte: totum, i. e. Secundum corpus et animam, in deterius hominem commutatum (ese). D. 174; vgl. D 181, 199, 793. Neben der Leidensfähigkeit (passibilitas) und der Sterblichkeit (mortalitas), den beiden Wunden des Leibes, zählen die Theologen mit dem hl. Thomas (S. th. 1 II 85, 3) vier Wunden der Seele auf, die den vier Kardinaltugenden entgegen gesetzt sind:
a) die Unwissenheit (ignorantia), d. i. die Schwierigkeit im Erkennen der Wahrheit (Gegensatz zur Klugheit);
b) die Bosheit (malitia), d. i. die Schwächung der Willenskraft (Gegensatz zur Gerechtigkeit)
c) die Schwachheit (infirmitas), d. i. das Zurückschrecken vor Schwierigkeiten im Streben nach dem Guten (Gegensatz zum Starkmut);
d) die Begierlichkeit (concupiscentia) im engeren Sinn, d. i. das Verlangen nach Befriedigung der Sinne entgegen dem Urteil der Vernunft (Gegensatz zur Mäßigkeit).
aus: Ludwig Ott, Grundriss der katholischen Dogmatik, 1954, S. 129-131