Die Heiligkeit der Kirche
Kann die Kirche Christi religiöse Irrtümer dulden?
Nein und abermals nein! Ein solcher Zustand ist unvereinbar mit der Heiligkeit der Kirche.
Ist ja doch die Kirche die Freundin Christi, ganz schön und ohne Makel (cant. 4, 7), die Braut Christi, für welche der menschgewordene Sohn Gottes sein unendlich kostbares Blut vergossen, damit sie sei ohne Makel und ohne Runzel oder etwas dergleichen, heilig und untadelig (Eph 5, 27), für deren Reinheit in der Lehre so viele Märtyrer ihr Blut vergossen? Hat doch Christus in seinem hohenpriesterlichen Gebete für die Kirche gebetet: „Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, sowie auch wir… Heilige sie in der Wahrheit: Dein Wort ist Wahrheit… Ich heilige mich selber für sie, damit auch sie geheiligt seien in der Wahrheit (Joh 17,11 u. 17, 19). Ist doch die Kirche das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, ein Volk der Erwerbung (1 Petr 2, 9). Haucht doch Christus der Kirche als ihr Haupt fort und fort Unversehrtheit ein (Ignatius Martyrer) und beseelt und regiert sie sein Geist, der heilige Geist, der Geist der Wahrheit, der sie in alle Wahrheit einführt und bei ihr bleibt in Ewigkeit. Ist sie doch die Eine Mutter und Jungfrau zugleich, unbefleckt wie eine Jungfrau und liebend wie eine Mutter (Clemens alex. pæd. 1, 6), die unversehrte und reine Braut, die keine Befleckung zuläßt (Cyprian de unit. eccl. c. 6), das Haus, der Tempel, die Stadt Gottes, darin die apostolische Lehre stets rein und unbefleckt bewahrt worden ist (Irenäus adv. haeres. III, 3) und bewahrt wird, das Haus Gottes auf dem Felsen, unerschütterlich, nicht zu überwältigen von der Macht der Hölle.
Und diese Kirche, der mystisch fortlebende Christus und sein ehrwürdiger Leib, sollte den Irrtümern der modernen Zivilisation nicht die katholische Wahrheit entgegen halten, aus Rücksicht für den Zeitgeist, der keine dogmatischen Definitionen will, weil er nicht dogmenfreundlich, sondern dogmenfeindlich ist? Die Kirche, die stets reine und unversehrte, die in der Wahrheit geheiligte, sollte Irrtümer, die man laut und offen als Lehren hinstellt, welche auch Katholiken sich aneignen und bekennen dürfen, nicht als das, was sie sind, als Irrtümer aufdecken und von ihren Gliedern zurückweisen?
Sie sollte dem Lug- und Trugwesen von Seite solcher nicht begegnen, welche sich zwar auch Katholiken nennen, aber trotz dieses ehrwürdigen Namens und sogar unter Berufung auf diesen Namen, also unter dem Schild der Katholizität, sich zu Anschauungen bekennen, die dem katholischen Glauben fremd sind, mit ihm nicht harmonieren, ihm widersprechen? Die Kirche sollte aus welch immer für Rücksichten jenen gegenüber schweigen, die unter katholischem Namen, und diesen Namen in den Vordergrund stellend, gegen das Oberhaupt der Kirche sich empören, seinen vollen und höchsten Jurisdiktionsprimat, seine höchste und volle Lehrgewalt verwerfen, den Primat oder den Stuhl zu ehren vorgeben, aber den lebendigen Träger des Primates, den lebendigen Inhaber des Stuhles Petri, den Statthalter Christi entehren? Die Kirche, die keine Befleckung duldet, die in der Wahrheit geheiligte, die wahrhaftigste Mutter der Gläubigen, sollte eine so ins Ungeheure getriebene, eine so gefährliche, eine so seelenverführerische Heuchelei nicht entlarven, nicht klar, bestimmt und offen aufdecken zum Schutz ihrer Kinder, die man verführen will? …
Die Kirche sollte eine Uneinigkeit in der Lehre dulden, die, Dank der modernen Wissenschaft, ihren Presseerzeugnissen und ihren öffentlichen Erklärungen, einen sehr bedrohlichen Charakter angenommen hat, bereits tief in‘s praktische Leben eingedrungen ist, die Geister entzweit, selbst Kleriker von Klerikern trennt und zum Werkzeuge gemacht worden ist, die Ehrfurcht und den Gehorsam gegen den apostolischen Stuhl in den Herzen der Gläubigen zu untergraben, die Autorität des päpstlichen Lehrwortes auf das Tiefste herabzudrücken und der Tendenz des Zeitgeistes entsprechend das separatistische Nationalkirchentum zu pflegen und zu fördern? Nachgiebig gegen Männer, die welche auf ihre eigene Meinung, ihre kritische Forschungen und unwiderlegliche Beweise, wie sie es nennen, mehr halten, als auf das Lehrwort des Papstes und selbst auf die Beschlüsse eines Konzils, die sie schon zum Voraus für den Fall verdächtigt haben, daß dieselben nicht nach ihrem Sinne ausfallen würden – sollte die Kirche noch länger ihre Tradition, ihre stete Lehre und Übung verachten und verspotten lassen, ohne Mitleid mit jenen Tausenden und Tausenden ihrer getreuen Kinder, die dadurch schwer geärgert werden?
Die Kirche, die katholische, sollte den Namen katholisch, diesen Ehrennamen, ihren Namen, den ihr allein zukommenden Namen noch länger von sogenannten Auchkatholiken mißbrauchen, entehren, beschimpfen lassen? Nein, nein, die Kirche Jesu Christi, unseres Gottes, diese heilige Kirche, wird das nicht tun. Sie duldet zwar unter dem Weizen auch Unkraut und duldet Vieles, aber nie heißt sie das gut und nie schweigt sie zu dem und nie übt sie das, was wider den Glauben und die Moral streitet.‘ (‚Ecclesia Dei, inter multam paleam multaque zizania constituta, multa tolerat, et tamen, quae sunt contra fidem vel bonam vitam, non approbat, nec tacet, nec facit.‘ (S. August. ep. 119 ad Januar. cap. 19)).
Wohl wahr: Die Heiligkeit der Kirche fordert nicht, daß alle ihre Glieder schon gleich subjektiv heilig seien: aber das fordert sie, daß die Kirche als Anstalt alles tue, um Irrungen im Glauben und im Leben abzuhalten und abzuweisen und ihre Glieder zu immer größerer Heiligkeit zu führen. In dem Augenblicke, in welchem die Kirche als Anstalt religiöse Irrtümer dulden würde, die bereits in alle Schichten der Gesellschaft gedrungen sind, und die ganze Kirche nach Innen zu beschädigen und nach Außen hin in Verruf zu bringen drohen, in dem Augenblicke, wo die Kirche solche religiösen Irrtümer duldet, hörte sie auf, heilig zu sein. Der Flecken der Unreinheit würde sie selber treffen, sie hörte auf, die reine makellose Braut Jesu Christi zu sein, und all die Schönheit und all der Reiz und all der Schmuck, durch welche sie die Völker der Erde anzieht, wäre dahin. Doch das ist unmöglich; denn die Kirche ist wesentlich heilig und als Kirche bleibt sie durch die Jahrhunderte der Jahrhunderte, was sie wesentlich ist, die immerdar heilige, die unvergänglich heilige. Darum wird sie den Schmutz entfernen, mit dem eine hochmütige Wissenschaft ihre Glieder beflecken will; sie wird ihren Namen, den katholischen Namen, durch eine schärfere Fassung der Kriterien der Katholizität den Auchkatholiken gegenüber zu Ehren bringen, und indem sie ihr unbeflecktes Panier angesichts der Völker erhebt, wird sie alle verbesserlichen und edleren Elemente an sich ziehen, und man wird von diesem Tage nicht mehr von Auchkatholiken zu reden haben, sondern nur von Katholiken und Akatholiken. –
aus: Matthias Joseph Scheeben: Das ökumenische Concil vom Jahre 1869, Bd. 2, 1870, S. 184 – S. 187