Pius IX. über die Aufgabe des Papstes und des Konzils
Auszug aus dem
Apostolischen Schreiben des heiligen Vaters Pius IX., in welchem das zu Rom abzuhaltende und im Jahre 1869 am Tage der unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter zu eröffnende ökumenische Konzil angekündigt wird.
Pius Bischof,
Knecht der Knechte Gottes.
Zum künftigen Gedächtnisses.
Des ewigen Vaters eingeborner Sohn, welcher wegen der überaus großen Liebe, mit der er uns geliebt, von seinem himmlischen Throne herab gestiegen ist, um das gesamte Menschengeschlecht vom Joch der Sünde, von der Knechtschaft des Satans und von der Nacht des Irrtums, worin es durch das Stammvaters Schuld schon lange elendiglich schmachtete, in der Fülle der Zeiten zu befreien; und der, ohne die Herrlichkeit des Vaters zu verlassen, sich aus der unbefleckten und heiligsten Jungfrau Maria mit einer sterblichen Hülle bekleidete, hat die vom Himmel gebrachte Lehre und Zucht des Lebens geoffenbart und sie durch so viele wunderbare Werke bezeugt und sich selbst als Geschenk und Sühnopfer Gott für uns hingegeben zum lieblichsten Geruch. Ehe er aber nach Überwindung des Todes triumphierend zum Himmel auffuhr, um zur Rechten des Vaters zu sitzen sandte er seine Apostel in die ganze Welt, auf daß sie das Evangelium predigten jeder Kreatur, und gab ihnen die Gewalt, die mit seinem Blut erkaufte und gegründete Kirche zu regieren, welche „eine Säule und Grundfeste der Wahrheit ist“ (Tim. 3, 15), die, mit himmlischen Schätzen bereichert, den sicheren Weg des Heils und das Licht der wahren Lehre allen Völkern zeigt und „wie ein Schiff auf der hohen See dieser Welt dahin fährt, so daß sie, wenn die Welt untergeht, Alle, welche sie aufnimmt, unversehrt bewahrt.“ (S. Maxim. Serm. 89) Damit aber die Regierung dieser Kirche immer recht und in der Ordnung vor sich gehe, und das ganze christliche Volk allzeit in Einem Glauben, in Einer Lehre, Liebe und Gemeinschaft verharre, hat er sowohl verheißen, daß er selbst bis zum Ende der Zeiten beständig bei ihr sein werde, als auch aus Allen den Einen Petrus auserwählt, welchen er zum Fürsten der Apostel, zu seinem Statthalter hier auf Erden, zum Haupt, Fundament und Mittelpunkt seiner Kirche gesetzt hat, damit er sowohl mit dem Rang der Ordnung und der Ehre, als mit dem Umfang der vorzüglichsten und vollsten Autorität, Gewalt und Jurisdiktion, die Lämmer und Schafe weide, die Brüder stärke und die ganze Kirche regiere, und sei „der Pförtner des Himmels, der Richter über das, was zu binden und zu lösen ist, so daß auch im Himmel die Entscheidung seiner Urteilssprüche gültig bleibe“ (S. Leo, serm. 2). Und weil die Einheit und Unversehrtheit der Kirche und ihre von dem nämlichen Christus eingesetzte Regierung beständig fest bleiben muss, darum verharrt und lebt fort in den Römischen Päpsten, den Nachfolgern Petri, welche auf diesen Römischen Stuhl Petri gesetzt sind, in ganzer Fülle die eigene oberste Gewalt des Petrus über die ganze Kirche, seine Jurisdiktion und sein Primat.
Daher haben die römischen Päpste, von der in der Person des heiligen Petrus durch Christus den Herrn selbst aus göttlicher Kraft ihnen verliehenen Gewalt und Sorge, die ganze Herde des Herrn zu weiden, Gebrauch machend, niemals unterlassen, alle Anstrengungen zu machen, alle Maßregeln zu treffen, damit vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang alle Völker, Geschlechter und Nationen die evangelische Lehre erkennen, und, auf den Wegen der Wahrheit und der Gerechtigkeit wandelnd, das ewige Leben erlangen möchten. Alle aber wissen, mit welchen unermüdlichen Sorgen die römischen Päpste bestrebt waren, die Hinterlage des Glaubens, die Zucht des Klerus, dessen heilige und gelehrte Unterweisung, sowie die Heiligkeit und die Würde der Ehe zu schützen, die christliche Erziehung der Jugend beiderlei Geschlechtes täglich mehr zu befördern, die Religion, die Frömmigkeit und die Ehrbarkeit der Sitten unter den Völkern zu pflegen, die Gerechtigkeit zu verteidigen und für die Ruhe, die Ordnung, die Wohlfahrt und die Interessen auch der bürgerlichen Gesellschaft Sorge zu tragen.
Auch haben die Päpste, wo sie es für zeitgemäß hielten, nicht unterlassen, zumal in höchst schweren Zeitwirren und Bedrängnissen unserer heiligsten Religion und der bürgerlichen Gesellschaft, allgemeine Konzilien zu berufen, um mit den Bischöfen der ganzen katholischen Welt, welche der Heilige Geist gesetzt hat, die Kirche zu regieren“ (Akt. 20, 28), sich zu beraten und mit vereinten Kräften Alles das in weiser Fürsorge festzustellen, was namentlich zur Definition der Dogmen, zur Besiegung der herrschenden Irrtümer, zur Verteidigung, Klarstellung und Entwicklung der katholischen Lehre, zum Schutz und zur Wiederherstellung der Kirchenzucht, und zur Besserung der verderbten Sitten der Völker führen könnte.
Nun ist es aber Allen bekannt und offenkundig, von welchem schrecklichen Sturm die Kirche jetzt gerüttelt und von wie vielen und großen Übeln auch die bürgerliche Gesellschaft heimgesucht wird.… Daher ist zu Unserm und Aller Guten höchsten Kummer und zum niemals genug zu beklagenden Schaden der Seelen die Gottlosigkeit, das Sittenverderbnis und die zügellose Ungebundenheit, die Seuche schlechter Meinungen jeder Art, aller Laster und Verbrechen, die Verletzung göttlicher und menschlicher Gesetze überall so verbreitet, daß nicht nur unsere heiligste Religion, sondern auch die menschliche Gesellschaft auf bejammernswerte Weise in Verwirrung gebracht und gequält wird.
Bei dieser Wucht von Bedrängnissen also, wovon Unser Herz nieder gedrückt wird, verlangt es Unser oberstes, von Gott Uns übertragenes Hirtenamt, daß Wir immer mehr alle Unsere Kräfte aufbieten, um die Schäden der Kirche auszubessern, um für das Heil der ganzen Herde des Herrn zu sorgen, um die verderblichen Anläufe und Bestrebungen derjenigen zu unterdrücken, welche, wenn es je geschehen könnte, die Kirche selbst und die bürgerliche Gesellschaft von Grund aus zu zerstören suchen.
Zwar haben wir mit Gottes Hilfe seit dem Beginn Unseres obersten Pontifikates niemals abgelassen, nach der Pflicht Unseres hoch wichtigen Amtes in mehrfachen Konsistorial-Allokutionen und Apostolischen Schreiben Unsere Stimme feierlich zu erheben und die Sache Gottes und seiner von Christus dem Herrn Uns anvertrauten, heiligen Kirche mit allem Eifer standhaft zu verteidigen, die Rechte dieses Apostolischen Stuhles, der Gerechtigkeit und der Wahrheit zu verfechten, die Nachstellungen feindseliger Menschen aufzudecken, die Irrtümer und falschen Lehren zu verdammen, die Sekten der Gottlosigkeit in die Acht zu erklären, und für das Wohl der ganzen Herde des Herrn eifrig zu wachen und zu sorgen.
In diesem ökumenischen Concilium ist natürlich Alles das mit der genauesten Prüfung zu erwägen und festzustellen, was zumal in diesen höchst schwierigen Zeiten auf die größere Ehre Gottes, die Unversehrtheit des Glaubens, die Zierde des Gottesdienstes, das ewige Heil der Menschen, die Zucht des Welt- und Ordens-Klerus und dessen heilsame und tüchtige Bildung, die Beobachtung der Kirchengesetze, die Besserung der Sitten, die christliche Erziehung der Jugend und auf den gemeinsamen Frieden und die Eintracht Aller zuvörderst Bezug hat. Und mit angestrengtestem Eifer ist auch dafür zu sorgen, daß unter Gottes gütigem Beistand alle Übel von der Kirche und von der bürgerlichen Gesellschaft entfernt, daß die unglücklichen Irrenden auf den rechten Weg der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des Heils zurück geführt werden, daß nach Ausmerzung der Laster und Irrtümer Unsere erhabene Religion und ihre heilsame Lehre auf dem ganzen Erdkreis wieder auflebe und täglich mehr sich ausbreite und herrsche, und so Frömmigkeit, Ehrbarkeit, Rechtschaffenheit, Gerechtigkeit, Liebe und alle christlichen Tugenden zum höchsten Nutzen der menschlichen Gesellschaft kräftig gedeihen und aufblühen. Denn Niemand wird jemals bestreiten können, daß die Kraft der katholischen Kirche und ihrer Lehre nicht bloß das ewige Heil der Menschen im Auge habe, sondern auch dem zeitlichen Glück der Völker und ihrer wahren Wohlfahrt, Ordnung und Ruhe, sowie auch dem Fortschritt und der Tüchtigkeit der menschlichen Wissenschaft Nutzen bringe, wie dies die Jahrbücher der heiligen und der Profan-Geschichte durch die glänzendsten Tatsachen deutlich und offen zeigen und beständig und augenscheinlich beweisen. –
aus: Matthias Joseph Scheeben: Das ökumenische Concil vom Jahre 1869, Erster Band, 1870, S. 5 – S. 9