Der Glaube an den Gekreuzigten Jesus Christus
Obwohl das Leiden und Kreuz Jesu Christi den Heiden von jeher als eine Torheit galt und sie sich derselben als eines Erweises zu bedienen pflegten, wenn sie das Christentum eine falsche und widersinnige Religion erklärten, so bleibt es uns des ungeachtet die beste und kräftigste Probe für seine untrügliche Wahrheit, die beste Waffe, um der Heiden eitles Götzentum, so wie alle andern ungöttlichen Sekten nieder zu schlagen. Daher nennt der heilige Augustin dies Geheimnis „eine große Stütze unseres Glaubens“ und der heilige Bonaventura „die Stärke und Grundveste der christlichen Religion.“ (Tratct. 17. in Joan. – Stimuli p. 1. Cap. VI.)
Siehe! Einen von seinen Feinden gefangen genommenen, der Gewalt der Gottlosen überlassenen, allen Qualen und Lästerungen preisgegebenen Menschen erkennen wir als unsern Gott, den Schöpfer Himmels und der Erde, und setzen auf ihn als unsern einzigen Retter und Seligmacher alle Hoffnung und Vertrauen. Und wenn die Ungläubigen dagegen einwenden: wie möchte er, der dem Pöbel zum Gespött diente und eine Beute schmählichen Todes war, ein Retter der Menschen, ein Lebensbringer und wahrer Gott sein können? So erwidern wir: eben deswegen muss Jesus das ohne Zweifel sein, wofür wir ihn halten. Sei`s nun, daß wir die Sache nach seinem Plane und Wege oder von unserm Standpunkt aus betrachten, so ist es einleuchtend, daß unser Glaube wohl begründet und wahrhaft ist.
Der Heiland nämlich, der sich für den Sohn Gottes ausgab und von den Menschen als solchen anerkannt und angebetet werden wollte, wählte, um zu diesem Ziel zu gelangen, die allerseltsamsten Mittel, welche allem Anschein nach nur geeignet waren, sein Vorhaben zu vereiteln. Statt seine menschlichen Bedürfnisse und Schwachheiten zu verbergen, zeigte er sie ganz frei und offen, und wir sehen ihn hungernd, dürstend, schlafend, trauernd und ängstlich; er nennt sich gern den Menschensohn; er geht im Ölgarten der Rotte, die ihn gefangen zu nehmen kam, freiwillig entgegen und gibt sich ihren Händen dar, obwohl er auch jetzt wie früherhin seinen Feinden hätte entgehen können und seine Überlegenheit durch das wundersame Niederstrecken derselben bei seinem Ausruf: „Ich bin es!“ gezeigt hatte; er leidet nicht nur die härtesten Qualen und den grausamsten Tod, sondern es ist auch sein Wille und Strebeziel, solches zu leiden, wie seine betreffenden Weissagungen und Wünsche bezeugen.
So muss er denn in der Tat – das ist klar – eine göttliche Macht in sich getragen haben, die im Stande war, alle Hindernisse zu besiegen und selbst den schwächsten und verächtlichsten Dingen Kraft und Glorie mitzuteilen. So muss Jesus Christus gewiß und wirklich Gott sein, da er, um diesen Glauben in den Gemütern zu begründen, sich frei und absichtlich solcher Mittel bedient, welche nach dem Urteil der Menschen und dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge so augenfällig diesem Glauben im Wege standen.
Betrachten wir dann die Sache vom Standpunkt der Menschen, so finde ich hier wieder in dem Kreuz und Leiden einen gar mächtigen Grund für den Glauben an den Heiland. Wie wäre es wohl möglich, daß Leute von noch so wenig Verstand und Einsicht, daß so viele gelehrte und ausgezeichnete Personen, Fürsten und Könige und die ersten Geister der Welt einen aufgehängten, mit Schmerzen überladenen und in Schmach versenkten Menschen für den wahren Gott ansehen und von ihm Heil und Seligkeit erwarten, falls nicht irgend ein großer, gewichtiger Grund zu solchem Glauben darin verborgen läge? Kann sich Verblendung bis dahin des menschlichen Geistes bemächtigen und ihn in so dichte Finsternisse verhüllen?
Nein, gewiss nicht; den Gekreuzigten, welcher den Griechen eine Torheit war, den Letzten der Menschen, wie ihn der Prophet nennt (Isai. LIII, 3), anbeten, scheint freilich, wenn man bloß auf den äußeren Schein sieht, ein Zeichen des Unverstandes zu sein: da indes Männer von tiefer Weisheit und vorzüglicher Wissenschaft dies doch wirklich seit so vielen Jahrhunderten getan, da so viele Millionen an Jesum geglaubt haben und wir noch heute an ihn glauben, bereit, in diesem Glauben zu leben und zu sterben und unser Blut dafür zu vergießen: so erhellt, daß hier Gottes Finger ist, daß dieser Gekreuzigte, der so gewaltigen Eindruck auf uns macht, etwas Anderes noch und Größeres, als er von Außen erscheint, daß er in der Tat Gott selbst sein müsse.
Alexander der Große, Caligula, Domitian und all jene andern Fürsten, die, mit den höchsten menschlichen Ehren nicht zufrieden, als Götter angebetet werden wollten, haben mit all ihrer Macht und all ihren Mitteln solche Verehrung von ihren Untertanen nicht erlangen können: und siehe, ein armer, elender Mensch, der Leute Spott und die Verachtung des Volkes, der wie der aller ärgste Verbrecher der Welt an einem Schandpfahl inmitten zweier Räuber stirbt, der sollte sich, ohne wirklich Gott zu sein, diesen Ruf und göttliche Verehrung allenthalben auf Erden erwerben und eine lange Reihe von Zeiten erhalten? Das wäre eine Unmöglichkeit.
„So haben wir denn zu glauben, – fragt der heilige Bernard – daß der, der da gegeißelt, angespien, gekreuzigt wird, Gott sei? Wie konnte dies wohl dem Menschengeschlecht, dem ganzen Erdkreis beigebracht werden? Und dennoch ist es geschehen, die Welt ist so leicht, so mächtig dessen überführt worden, daß mir selbst die Menge der Glaubenden alle Zweifel, den ich etwa noch an dieser Wahrheit hatte, benimmt. Jünglinge und Jungfrauen, Greise und Kinder haben eher tausend Tode sterben, als nur auf einen Augenblick von diesem Glauben ablassen wollen.“ (Serm. 3. in vigil. Nativit.)
Es ist demnach das Leiden und Sterben Jesu Christi eine Stütze unseres Glaubens, ein deutlicher Beweis von der höheren Macht und Gottheit des Erlösers. Ich übergehe die Zeugnisse, welche nebenbei die dasselbe begleitenden Wunder geliefert haben: die außerordentliche Verfinsterung der Sonne und die grauenvollen Finsternisse, die während drei Stunden Himmel und Erde umnachteten, das Erdbeben und die übrigen Erscheinungen, bei deren Anblick der Hauptmann und seine Leute ganz ergriffen an die Brust schlugen und sprachen: In Wahrheit, der Sohn Gottes war dieser. (Matth. XXVII, 54. – Luk. XXIII, 48) Sagen wir es mit ihnen, freudiglich und von der Kraft der Erweise durchdrungen, und bekennen laut vor allen Geschöpfen, daß der Gekreuzigte in der Tat wahrer Gott sei, daß wir ihn als unsern Schöpfer und Herrn und als denjenigen erkennen, der allein uns retten und selig machen kann, außer dem wir keinen Andern erwarten. –
aus: de Saint-Jure SJ, Das Buch der Auserwählten, 1851, S. 134 – S. 138