Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Photius
Photius, Patriarch von Konstantinopel, wurde um das Jahr 820 in Konstantinopel aus einer vornehmen Familie geboren, die den Patriarchen Tarasius (gest. 806) zu den Ihrigen zählte und im zweiten Bilderstreit mutig für den Bilderkult eintrat. Von seinem frühesten Bildungsgang wissen wir nichts. Noch in jungen Jahren trat Photius selbst als Lehrer auf, und die Tätigkeit im Dienst der profanen und theologischen Gelehrsamkeit füllt die erste Periode seines Lebens aus. Zu dieser darf auch die Zeit gerechnet werden, in welcher er hohe Staatswürden bekleidete.
Die zweite, viel bewegte und hochbedeutsame Periode seines Lebens begann mit seiner am 24. Dezember 857 erfolgten Erhebung auf den Patriarchenstuhl von Neu-Rom, von dem Ignatius, der jüngste Sohn des Kaisers Michael I., durch Bardas, den allmächtigen Minister Michaels III., gewaltsam entfernt worden war…
Erstes Anathem über Photius (863)
Der Versuch, seine Wahl zu legitimieren, scheiterte an dem unbeugsamen Widerstand des abgesetzten Patriarchen, dessen wahrhaft königlicher Charakter sich von dem der meisten sonst beteiligten Persönlichkeiten wie der Glanz eines lichten Sternes von den Schatten einer dunklen Nacht abhebt. Er findet seine ebenbürtige Parallele in der leuchtenden Erscheinung des Papstes Nikolaus I., der von Anfang an die Situation beherrschte; als Schatten erscheinen daneben die Fehler der päpstlichen Legaten, die auf der Synode des Jahres 861 in der Apostelkirche zu Konstantinopel sich zur Anerkennung des neuen Patriarchen bewegen ließen. Der betreffen Synodalbeschluss wurde jedoch auf einer römischen Synode verworfen, die zugleich über Photius das Anathem aussprach (863). Dieses Vorgehen des Papstes hatte zunächst nur eine ideale Bedeutung; denn die realen Verhältnisse gestalteten sich immer günstiger für Photius und seine Kirchenpolitik. Zwar ging die Aussicht, durch eine Koalition abendländischer Bischöfe gegen den Papst unterstützt zu werden, bald verloren, weil Kaiser Lothar, gegen welchen Nikolaus I. in Ehesachen eingeschritten war, sich dem Papst unterwarf.
Die bulgarische Frage
Eine andere bedeutsamere Stütze erhielt Photius durch die Wendung, welche die bulgarische Bekehrungs-Angelegenheit annahm. Der Bulgarenfürst Bogoris war durch griechische Missionare bekehrt worden (864), ein Umstand, der die Hoffnung auf Einverleibung Bulgariens in das Patriarchat von Konstantinopel geweckt hatte. Um seine politische Selbständigkeit dem Reich gegenüber zu wahren, wandte sich aber Bogoris 866 an den Papst und tat den ersten Schritt zur Einverleibung der Bulgaren in den römischen Patriarchalverband, den Nikolaus mit seinen berühmten Responsa ad consulta Bulgarorum beantwortete.
Photius wusste die dadurch geschaffene Lage geschickt auszunutzen und erließ als erstes Kriegsmanifest gegen die lateinische Kirche eine Enzyklika an die drei übrigen orientalischen Patriarchen, worin fünf Anklagen dogmatischen und disziplinären Inhaltes gegen die Lateiner erhoben wurden (866). Diese Anklagen betrafen das Sabbatfasten, die 40tägige Fastenzeit, die Priesterehe, die Firmung durch Priester, endlich die Lehre von dem Ausgang des heiligen Geistes vom Vater und vom Sohn. Photius hatte sich in der Annahme nicht geirrt, daß jene Abwendung der Bulgaren von dem griechischen Klerus schmerzlich empfunden würde. Nun wurden auf zwei Synoden, von denen die spätere sich durch Fälschungen den Anschein einer ökumenischen Synode zu geben verstand, die lateinischen Missionare in Bulgarien exkommuniziert und die Absetzung des Papstes verfügt, deren Vollziehung dem Kaiser Ludwig II. übertragen wurde.
Exkommunizierung von Photius durch Papst Hadrian II. (869)
Zugleich entfaltete Photius eine fieberhafte Tätigkeit, um die Bulgaren von den Lateinern abwendig zu machen und die Sympathien, welche die Griechen den Lateinern noch entgegenbringen mochten, zu zerstören. Die zielbewusste Aktion war im besten Zuge, als Kaiser Basilius I. nach Ermordung Michaels III. den Thron bestieg (867 bis 886). Wie so oft in der byzantinischen Geschichte, zog der politische Umsturz auch eine Umwälzung der kirchlichen Verhältnisse nach sich. Basilius ließ Photius aus verschiedenartigen, wohl aber vorwiegend politischen Erwägungen fallen, und Ignatius wurde wieder in sein Amt eingesetzt (23. November 867). Bald wurde auch Photius durch Papst Hadrian II. auf einer römischen Synode (869) exkommuniziert, und noch in demselben Jahr begann die antiphotianische Synode in Konstantinopel, welche den Charakter der entschiedensten Reaktion an sich trägt. Gegen Photius und dessen Anhänger ging sie sehr scharf vor; insbesondere wurden die von ihm Geweihten in den Laienstand zurückversetzt.
In einem Punkt waren aber Photius und seine Gegner einig. Nach der eigentlichen Synode wurde über Bulgarien verhandelt, und die Entscheidung fiel gegen den Anschluss Bulgariens an Alt-Rom, den übrigens Bogoris auch faktisch aufgegeben hatte, weil er in Rom nicht genug Entgegenkommen gefunden zu haben behauptete. Jener Beschluss ließ die Entwicklung einer wahren Freundschaft mit Rom nicht aufkommen und brachte selbst unter dem Patriarchen Ignatius, der jederzeit den Primat des Papstes anerkannt hatte, eine neue Trennung in bedenkliche Nähe.
Photius zweite Erhebung auf den Patriarchenstuhl (877)
Photius war nicht der Mann, um sich und seine Sache nach der Niederlage für verloren zu halten; seine eigene Energie im Bund mit den Bemühungen seiner Freunde, sowie untertänige Bitten beim Kaiser führten ihn nach Konstantinopel zurück. Es ward ihm sogar die Erziehung Leos, des Thronfolgers anvertraut, und er konnte im Magnaura-Palast Schule halten. Ignatius` Tod räumte das letzte Hindernis gegen Photius` Restituierung weg, und er bestieg 877 zum zweiten Mal den Patriarchalstuhl. Sein Plan ging nun dahin, alle Maßregeln, welche gegen ihn und seine Anhänger ergriffen worden waren, rückgängig zu machen und gegen seine Feinde zu richten. Er begann mit der Absetzung vieler Bischöfe, welche durch Freunde des Photius ersetzt wurden. Sodann suchte er den neuen Papst für sich zu gewinnen.
Johannes VIII., der die Energie eines Nikolaus I. nicht besaß und in Italien von den Sarazenen bedrängt wurde, ließ sich zur Nachgiebigkeit bestimmen und erklärte sich bereit, Photius unter gewissen Bedingungen als Patriarchen von Konstantinopel anzuerkennen. Photius berief alsbald eine Synode, die von der griechisch-schismatischen Kirche als die achte allgemeine Synode angesehen wird (879 bis 880). Um auf dieser Synode zum Ziel zu gelangen, fälschte Photius die päpstlichen Briefe und vermochte auf dem Konzil selbst auch die päpstlichen Legaten, die Bischöfe Paulus und Eugenius, sowie den Kardinalpriester Petrus zur Anerkennung seiner Person. Der Papst schrieb gleich nach der Rückkehr der Legaten günstige Briefe an Kaiser Basilius und an Photius, ward aber durch seinen neuen Gesandten, den Bischof und späteren Papst Marinus, der 869 als Diakon in Konstantinopel entschieden gegen Photius aufgetreten war, eines Besseren belehrt und sprach im Jahr 881 von Neuem das Anathem über letzteren aus. Zwischen Photius und den Nachfolgern Johannes` VIII. blieb das nämliche Verhältnis bestehen.
Dogmatischer Gegensatz zur lateinischen Kirche durch Photius` Schrift über den Heiligen Geist
Papst Stephan V. wies nochmals Photius` Angriffe gegen Marinus zurück. Das Papsttum empfand immer mehr, welchen Rückschlag der Verfall der fränkischen Monarchie und des karolingischen Kaisertums, das der unfähige Karl der Dicke zu Grabe trug, auf die gesamten kirchlichen und kulturellen Verhältnisse ausübte. Eine Periode tiefen Verfalls, wie ihn die abendländische Kirche nur einmal erlebte, war im Anzug. Das byzantinische Reich war der einzig überbleibende Hort der Kultur, und niemand war sich dessen besser bewusst als Photius selbst. Er entfaltete während der folgenden Jahre eine intensive Missionstätigkeit gegenüber Russen und Sarazenen, der man seine Anerkennung nicht versagen kann.
Relegierung von Photius in ein Kloster (886)
Zu gleicher Zeit bildete er den dogmatischen Gegensatz zur lateinischen Kirche weiter aus in seiner Schrift von der Mystagogie des heiligen Geistes. Von dem Polemiker Nicetas von Byzanz, der auch gegen die Armenier und gegen den Islam auftrat, wurde er hierin unterstützt. Diese Glanzperiode seines öffentlichen Lebens fand einen jähen Abschluss mit dem Tode des Kaisers Basilius. Leo der Weise, der frühere Schüler des Photius, der schon bei Lebzeiten seines Vaters eine tiefe Abneigung gegen seinen ehemaligen Lehrer gefasst hatte, setzte diesen bald nach seiner Thronbesteigung ab und relegierte ihn in ein Kloster (886). Von da an verschwindet Photius aus der Geschichte; dieser Schlag scheint ihn bei seinem vorgeschrittenen Alter ganz niedergebeugt zu haben. In die Wiederanknüpfung der Beziehungen mit den Päpsten und in das Verfahren gegen die photianischen Bischöfe griff er nicht mehr ein. Auch keine schriftstellerische Arbeit stammt aus der Zeit nach seiner zweiten Absetzung. Sein Tod ereignete sich um das Jahr 891. Die griechische Kirche fing erst später an, sein Fest am 6. Februar zu feiern.
Die romfeindliche Bewegung durch Photius herbeigeführt
Als Patriarch war Photius der ausgeprägteste Vertreter der byzantinischen Feindschaft gegen Rom und die lateinische Kirche; hat er doch den ersten entscheidenden Ausbruch jener trennenden Bewegung zwischen dem Morgen- und dem Abendland herbeigeführt, die mit der Gründung Konstantinopels ins Leben trat, durch die christologischen Kämpfe, noch intensiver durch den Bilderstreit, genährt wurde und zwei Jahrhunderte nach ihm in dem definitiven Riss zwischen der griechischen und der lateinischen Kirche ihren Abschluss fand. Der Persönlichkeit des Photius, so mächtig sie war, darf allerdings diese Wirkung nicht allein zugeschrieben werden.
Photius war in seinen kirchlichen Tendenzen das Kind seiner Zeit, ein Träger der griechischen Selbstgefälligkeit, die sich über die Barbaren unendlich erhaben wähnte und gegen das Abendland in politischer wie in kirchlicher Beziehung sich abzuschließen bestrebte… Sein persönlicher Ehrgeiz, der ihn antrieb, entgegen der früher angerufenen Autorität des Papstes seinen Patriarchalsitz zu behaupten, verband sich mit dem Stolz der ganzen Nation, der schon die Errichtung des abendländische Kaisertums empfindlich verletzt worden war und durch die versuchte Eingliederung der neu bekehrten Bulgaren in den römischen Patriarchalverband einen tödlichen Stoß erhalten hatte. Die gereizte Stimmung des Volkes ermöglichte es Photius, den ersten großen Schlag gegen Rom zu führen. Die persönlichen und dynastischen Interessen der Kaiser Basilius und Leo traten allerdings seinen Tendenzen in den Weg. Er wurde abgesetzt, wieder eingesetzt, um abermals abgesetzt zu werden.
Die romfeindliche Bewegung starb nicht
Ja er starb im Exil; aber die romfeindliche Bewegung stieg nicht mit ihm ins Grab; der beste Beweis dafür, daß er sich mehr in ihren Dienst als sie in den seinigen sich gestellt hatte. Die Art und Weise, wie er ihr diente, offenbart einen Charakter der vor dem Richterstuhl unparteiischer Geschichtsforschung keine Gnade finden kann. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 9, 1895, Sp. 2082 – Sp. 2087