Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Ignaz Aurel Feßler
Feßler, Ignatius Aurelius, Exkapuziner und Apostat, verdient als lehrreiche Illustration der josephinischen Aufklärung einige Beachtung. Er war 1755 zu Czurendorf in Ungarn geboren und verbrachte seine Jugendjahre in Preßburg und Raab. Seine Mutter hatte eine besondere Vorliebe für die Lutheraner, deren religiöse Versammlungen sie oft in Gesellschaft ihres Sohnes besuchte. Dem Einfluss dieser Frau ist auch die religiöse Verschwommenheit zuzuschreiben, welche Feßler sein ganzes Leben lang anhaftete. Schon auf dem Gymnasium zu Raab gab er Proben seiner verkehrten Geistesrichtung durch „Abfassung eines Gebetbüchleins“, in welchem „nicht ein einziges Gebet zur Mutter des Herrn oder zu irgend einem Heiligen war“. Auch trat damals schon jene geistige Hoffart hervor, welche ihn allen Belehrungen und Ermahnungen unzugänglich machte.
Mit 17 Jahren trat Feßler in den Kapuzinerorden und erhielt den Namen Innocentius. Unzufrieden mit seinem Beruf, dachte er bald an die Rückkehr in die Welt, verblieb aber zuletzt „ohne innige Religiosität“ im Orden und legte 1774 die Gelübde ab. Sehr klar hatte ihn der ehrwürdige greise Pater Peregrinus durchschaut, welcher voraussagte, daß Innocentius in der Folge dem Orden manche Trübsale zuziehen würde. Im Juli 1774 wurde er in das Kloster Besnjiö gesandt, welches er später mit dem Konvent von Großwardein vertauschte. Der Umgang mit Kalvinisten, besonders dem Freiherrn Podmanitzky und der sogen. Polackelschneiderin Sophie und die Lektüre antikirchlicher und unanständiger Schriften erschütterten Feßler in seinem Glauben und machten ihn auch empfänglich für die Lockungen der Sinnlichkeit. An dem Studium der Theologie fand er kein Gefallen; um so mehr ergab er sich heimlich der Lesung deistischer und atheistischer Schriften, welche ihm den Glauben vollends raubten.
Als er zur Fortsetzung seiner Studien in das Kloster Schwächat bei Wien geschickt wurde, machte er durch Vermittlung des Arztes Dr. Stoll die persönliche Bekanntschaft des berüchtigten Eybel, dessen Schriften er sich schon früher verschafft hatte, und wurde von diesem bei dem gleich gesinnten Abt Rautenstrauch eingeführt. Von solchen Männern ins einer Opposition gegen die Kirche bestärkt und mit kirchenfeindlichen Schriften heimlich versehen, warf der unselige Mönch noch den letzten Rest des Glaubens von sich; als er 1779 die Priesterweihe empfing, war er bereits „in der Kälte des Unglaubens erstarrt“. Trotzdem zelebrierte er die heilige Messe und verwaltete das Amt eines Beichtvaters in Mödling, während er keine Gelegenheit vorüber gehen ließ, über die katholische Kirche, ihre Dogmen, besonders über die Klöster die Lauge seines Spottes zu ergießen und seine Mitbrüder als Fanatiker und Intriganten hinzustellen.
Im J. 1781 kam er zur Vollendung seiner Studien nach Wien. Sein Benehmen, namentlich auch sein Verkehr mit Frauenzimmern kam endlich zu den Ohren seiner Vorgesetzten, und man gedachte ihn durch Versetzung in ein ungarisches Kloster seiner gefährlichen Umgebung zu entreißen; allein Feßler kam seinen Obern zuvor. Er erlangte von Kaiser Joseph II., dessen Gunst er durch seine Schrift „Was ist der Kaiser?“ erworben hatte, die Erlaubnis, in Wien zu bleiben, und erhielt 1784 eine Anstellung als Professor der orientalischen Sprachen und der alttestamentlichen Exegese an der Universität Lemberg. Hier hielt er „ohne Glauben“ und „ohne Religion“ Vorlesungen über das Alte Testament und auch über Dogmatik und Polemik.
Hier ließ er sich auch als Mitglied der Freimaurerloge „Phönix zur runden Tafel“ aufnehmen. Die Entlassung aus dem Orden erhielt er am 9. Dezember 1787. Schon bald seiner „Amtsstudien“ und „aller Theologie wie alles Katholizismus überdrüssig“, versuchte er sich auf dem Gebiet der Belletristik und wollte in seinem Marc Aurel „das Bild eines weisen und gerechten Regenten“ zeichnen. Aber schon im Januar 1788 legte er seine Stelle nieder und entwich heimlich aus Lemberg, weniger aus Furcht vor einem fiskalischen Prozess wegen seines Trauerspiels „Sidney“, als vielmehr, wie die gewiss unverdächtige Wiener Kirchenzeitung des aufgeklärten Abtes Wittola S. 680 eingesteht, weil er „einen seinem Beruf nicht anständigen Leichtsinn erblicken ließ“, und wegen „Schulden, die er nicht zu zahlen wußte“.
Der Flüchtling begab sich nach Breslau und nahm später eine Stelle als Hauslehrer bei dem reformierten Fürsten von Schönaich-Carolath an. Um dieselbe Zeit suchte er auch bei dem Bischof von Agram und bei dem Coadjutor von Mainz, Freiherr von Dalberg, um Verleihung einer Pfarrei nach, wurde aber abschläglich beschieden. Die gleichzeitige Aufforderung seines ehemaligen Guardians, Pater Cölestinus, in den Orden zurückzukehren, wies Feßler ab.
Um seinen Bruch mit der katholischen Kirche zu vollenden, trat er 1791 äußerlich zum Luthertum über; innerlich blieb er ungläubiger Deist wie vorher. Im folgende Jahr nahm er sich ein Weib, von welchem er sich 1802 nach zehnjähriger unglücklicher Ehe wieder trennte, um bald wieder eine neue Ehe einzugehen. Seit 1796 wohnte Feßler in Berlin. Er beschäftigte sich mit literarischen Arbeiten und bearbeitete im Auftrag der Loge Royal York deren Statuten. Schon früher hatte er den „Evergetenbund“ gestiftet, der sich indes bald wieder auflöste. Sein Übertritt zum Protestantismus hinderte die preußische Regierung nicht, ihn zum „Rechtskonsulenten in geistlichen und Schulangelegenheiten“ für die rein katholischen polnischen Provinzen Neu-Ost- und Südpreußen (1798 bis 1807) zu ernennen. Eine Erholungsreise in Deutschland machte ihn mit den protestantischen Celebritäten bekannt.
Sehr nachteilig für die finanziellen Verhältnisse Feßlers, der ein Landgut in der Nähe von Berlin bewirtschaftete, waren die Kriegsereignisse, in deren Folge auch sein Gehalt sistiert (=vorläufig eingestellt) ward. Von den Freimaurern und anderen Freunden unterstützt, wurde er 1809 aus seiner Not durch die Berufung zum Professor an der Alexander-Newsky-Akademie zu Petersburg mit einem Gehalt von 2500 Rubeln errettet. Aber schon 1810 fand er sich genötigt, seine Professur nieder zu legen, da man ihn atheistischer Grundsätze beschuldigte. Kaiser Alexander ernannte ihn mit Beibehaltung seines Gehaltes zum Mitglied der Gesetzgebungs-Kommission. Feßler nahm seinen Wohnsitz in Wolsk, Saratow und zuletzt in Sarepta; hier trat er mit den Herrnhutern in Verbindung. Seine äußeren Verhältnisse gestalteten sich wieder ungünstig, besonders da ihm sein Gehalt nicht verabfolgt ward. Doch 1817 erhielt er alle Rückstände ausbezahlt und wurde von Alexander zum Amt eines „evangelischen Bischofs“ ausersehen.
Sein innerer Entwicklungsgang hatte jetzt einen Abschluss gefunden. Nachdem er der katholischen Wahrheit den Rücken gekehrt, fiel er aus einem falschen System in das andere, bis er endlich in einer vagen Gefühlsreligion, nach dem Muster der alle Dogmen verwischenden Briefe Schleiermachers über Religion, Befriedigung für seine religiösen Bedürfnisse zu finden vermeinte. Er amtierte nun als „geistlicher Präses“ des Konsistoriums von Saratow bis zu dessen Aufhebung und wurde 1833 als Generalsuperintendent und Kirchenrat der lutherischen Gemeinden in Petersburg angestellt. Er starb am 15. Dezember 1839 in einem Alter von 83 Jahren. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 4, 1886, Sp. 1386 – Sp. 1388