Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Josephinismus
Joseph II., röm.-deutscher Kaiser 1765 bis 90 * 13.3.1741 in Wien, † 20.2.1790 ebd.; deutscher König seit 27.3.1764, seit 1765 Mitregent seiner Mutter Maria Theresia, 1780 Alleinregent in den österreichischen Erblanden. Praktizierender Katholik, aber von seinen Erziehern (bes. Bartenstein) aufklärerisch erzogen, früh mit Voltaires Schriften vertraut. Seine Bestrebungen waren auf die Herstellung einer streng zentralistischen österreichische Monarchie gerichtet. Der Kirche gegenüber kam jenes System, das kirchenrechtlich als Febronianismus, staatsrechtlich als Polizeistaat bezeichnet werden kann, so weit zur Geltung, daß es nach ihm den Namen Josephinismus erhielt, obgleich es schon vor ihm (Maria Theresia) und über Österreich (Deutschland, Frankreich, Toskana, Portugal) verbreitet war; freilich griff es nirgends so tief in das kirchliche Leben ein wie in Österreich von der Zeit Josephs II. an bis 1850.
Es erscheint darin dem obersten Staatszweck, dem möglich größten (materiell gefaßt!) Glück aller Untertanen, alles, auch die Kirche, dienstbar gemacht; sie wird Staatsanstalt, eine Art moralisierende Obrigkeit. Das Staatsoberhaupt beansprucht für sich die Gesetzgebung über alle externa religionis, ja über alles, was in der Kirche „nicht von göttlicher, sondern nur von menschlicher Erfindung und Einsetzung ist! Bzw. dafür gehalten wird, „die Abstellung aller Missbräuche, die weder Grundsätze des Glaubens, noch des Geistes, noch der Seele betreffen“, besonders „die geistliche Zucht der Klerisei und der kirchlichen Orden“, kurz „alle Gegenstände, die nicht dogmatische und innerliche, die Seele allein angehende Dinge betreffen“ (Staatsminister Kaunitz an Nuntius Garampi 12.12.1781).
Diese Ideen wurden von den amtlich eingeführten Kirchenrechts-Büchern (Rautenstrauch, Riegger) theoretisch verfochten, von den Beratern Maria Theresias (Kaunitz, Sonnenfels, van Swieten) nach Zurückdrängung der Jesuiten ach praktisch durchzuführen versucht, aber erst von Joseph II. in etlichen 100 hastig heraus gegebenen Hofdekreten verwirklicht. Während das Toleranzpatent vom 13.10.1781 durch Einräumung des privaten „Privatexerzitiums“ der Religion an die Protestanten der Augsburger und Helvet. Konfession und an die Griech.-Orientalen die äußere Stellung der noch immer öffentlich allein berechtigten katholischen Kirche wenig veränderte, griffen andere Dekrete in deren innerstes Leben ein. Dem Papst wurde eine unmittelbare Jurisdiktion über die kaiserliche Lande aberkannt, ein Placet für alle seine Erlasse, selbst Glaubenserlasse, neu eingeschärft (26.3. u. 2.4. 1781), die Bulle Unigenitus und die Abendmahlsbulle verboten (4.5.1781), päpstliche Dispensen einzuholen untersagt (14.4.1781), vielmehr die Bischöfe beauftragt, Dispensen möglichst selbst zu erteilen (4.9.1781), ja, die Ehe als bürgerlichen Vertrag erklärt und im einzelnen geregelt (16.1.1783). Mit Handschreiben vom 30.10.1781 (weitere 1785 bis 86) wurde die Aufhebung von Klöstern, die „zum Besten der bürgerlichen Gesellschaft nichts Sichtbares leisten“, verfügt und tatsächlich 738, in Ungarn 138 Klöster aufgelöst; der Erlös ihrer vielfach verschleuderten Güter wurde zur Bildung eines Religionsfonds bestimmt (28.2.1782), aus dem neue Pfarreien gegründet und die übrigen Kulterfordernisse bestritten werden sollten.
In der Tat wurden 1783 bis 87 in Niederösterreich 107 Pfarren und 148 Lokalien, in Oberösterreich 63 Pfarren und 41 Lokalien, in Steiermark 200 neue Seelsorge-Stationen, in Böhmen 81 Pfarreien und 314 Lokalien neu errichtet; hier wie in der 1783 vollzogenen, nach der bisherigen Zersplitterung übrigens zweckmäßigen Neubegrenzung und Neugründung von Diözesen ging der Staat fast völlig selbständig vor. Durch Aufhebung der Exemtion (11.9.1782), Loslösung von ausländischen Obern (24.3.1781), Abschaffung des Chorgesangs (21.7.1786), Ersatz der lebenslänglichen Äbte durch 3jährlich gewählte Prioren und Bestellung von Kommendatar-Äbten (25.3.1786 u. 13.5.1785), Beschränkung der Novizenzahl (20.5.1781) wurden auch die übrig bleibenden Klöster schwer getroffen. Dazu kamen Verbote der Terziaren (13.1.1782), Umwandlung der Bruderschaften und Marianischen Kongregationen in eine einzige neu begründete „von der tätigen Liebe des Nächsten“ zu Zwecken der Armenpflege (9.8. u. 27.11.1783). Die bischöflichen Seminarien wurden aufgehoben, dafür General-Seminarien für alle größeren Provinzen errichtet und für Welt- und Ordens-Geistliche als pflichtgemäß erklärt (30.3.1783 u. 21.8.1786), der theologische Unterricht durch unkirchliche Lehrbücher (Schröckh, Riegger, Eybel, Gmeiner, Pehem u.a.) und Lehrer beeinflußt. Staatliche Gottesdienst-Ordnungen verboten manche Brevier-Lektionen (Gregor VII.: 15.6.1782), Wallfahrten ohne Geistliche und die meisten Przessionen (21.3.1784 bzw. 7.10.1782), die privilegierten Altäre (7.8.1787), feierliche Begräbnisse (2.4.1785), ja (ganz vorübergehend) das Begraben in Särgen, regelten die Stolordnungen (25.1.1782) für Niederösterreich), die Zahl der Altäre (7.1.1785), Schmuck und Beleuchtung der Kirchen (14.5.1785), das Aussetzen und Küssen von Reliquien (28.4. 1784, 19.5.1784 u. 27.12.1787), schrieben für die Predigten, die der Kontrolle wegen schriftlich aufzubewahren waren (4.2.1783), Stoff (Impfwesen, Diätetik,, Konskription, Landwirtschaft) und Form vor.
Friedrich II. Spottwort vom „Bruder Sakristan“ war nur zu berechtigt. Doch ist nicht zu verkennen, daß Joseph II. auf eifrige, geordnete Seelsorge bedacht war sowie auf Heranbildung eines geistig und sittlich hochstehenden Klerus. In seinem Dringen auf geläuterte Formen der Volksfrömmigkeit verletzte er freilich auch manche berechtigte Pietäts-Äußerungen…
Nach seinem Tode wurde manches auch in Österreich geändert (Generalseminarien beseitigt, Liturgie frei gegeben u.a.), das josephinische System aber dauerte noch fort (vgl. Hofdekret v. 17.3.1791 u. 3.3.1792). Die josephinischen Verordnungen in publico-ecclesiasticis blieben noch ca. 60 Jahre in Kraft, mit ihnen das nüchterne Kirchenregiment und der Staatsbeamtensinn in weiten Kreisen des Klerus, bis auch hier das wachsende kirchliche Bewusstsein den Josephinismus wenigstens im Klerus verdrängte. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. V, 1933, Sp. 572 – Sp. 574