Das Abendland
Papst Nikolaus I. verteidigt die Ehe
Lothar II., der jüngere Bruder des Kaisers Ludwig II., war ein Jahr mit der Königin Theutberga, der Tochter des Grafen Boso und Schwester des Abtes Hucbert von St. Moritz, verheiratet. Auf einmal faßte aber der König eine sündhafte Neigung zu einer gewissen Waldrada. Um die letztere heiraten zu können, erfand er die falsche Anklage, daß seine Gemahlin vor ihrer Vermählung Blutschande mit ihrem eigenen Bruder, dem Abt Hucbert, begangen habe. Die Königin Theutberga rechtfertigte sich zwar glänzend, aber die dadurch herbei geführte Aussöhnung mit ihrem Gemahl dauerte nicht lange. Die rechtmäßige Königin wurde bald wieder verstoßen und ins Gefängnis geworfen, wo alles aufgeboten wurde, um sie selbst zu einem Schuldbekenntnis zu zwingen. In ihrer Verlassenheit wandte sich die Königin an den heiligen Vater in Rom und erklärte im voraus alle ihre bisherigen Aussagen als durch die Todesangst erpreßt und unwahr. Der Kaiser aber gewann für seine Absichten die zwei Erzbischöfe Günther von Köln und Thiedgaud von Trier. Im Kaiserpalast zu Aachen versammelten sich im Januar des Jahres 860 vier Bischöfe und zwei Äbte, erklärten die Ehe des Königs mit Theutberga für ungültig und die zweite Vermählung mit Waldreda für erlaubt. So ward Lothar die verhaßte, kinderlose Königin los und heiratete die Waldreda, mit der er schon bisher zusammen gelebt hatte.
Allein auf dem Heiligen Stuhl zu Rom saß ein Mann, der keine menschliche Rücksicht kannte, wenn es sich um die Verteidigung eines göttlichen Gesetzes handelte. Im Jahre 863 berief der heilige Papst eine Versammlung nach Metz und sandte zwei Bevollmächtigte dorthin. Diese waren aber schwach genug, durch die Bischöfe sich irre leiten zu lassen und auf die Seite des Königs zu treten.
Doch der heilige Vater besaß die Weisheit, die Schleichwege der Bösen zu entdecken, und den Mut, die Schuldigen zu strafen. Die Bischöfe und Gesandten suchten zwar ihr Verhalten zu rechtfertigen; allein schon hatte der heilige Vater eine Versammlung nach Rom befohlen, um auf derselben die Verhandlungen der Metzer Versammlung zu prüfen. Dahin waren auch die beiden Bischöfe Günther und Thiedgaud als Gesandte des Kaisers gekommen. Hier legte der Papst die unerhörte Ruchlosigkeit des Verfahrens zu Metz dar und entsetzte die beiden Bischöfe und seine eigenen zwei Bevollmächtigen für immer ihres Amtes. Die enttäuschten Bischöfe eilten, statt sich dem Urteilsspruch des heiligen Papstes zu unterwerfen, zu Kaiser Ludwig II. dem Bruder Lothars, nach Benevent. Dieser ließ sich durch die Mitteilung, daß die Bischöfe als Gesandte des Kaisers verurteilt und damit beschimpft worden seien, so in Zorn versetzen, daß er im Jahre 864 mit einem starken Heer nach Rom zog. Als der heilige Papst Nikolaus davon Kunde erhielt, ordnete er ein allgemeines Fasten und Bittgänge in Rom an; aber er blieb unerschütterlich fest, als die Soldaten Ludwigs in die Stadt eindrangen und eine Prozession angriffen. Zwei Tage lang blieb der heilige Papst ohne Nahrung in der St. Peterskirche eingeschlossen. Aber ein Fieber und schwere Unglücksfälle im Heer brachten den Kaiser zur Besinnung. Seine Gemahlin veranlaßte eine Zusammenkunft Ludwigs mit dem Papst, der ihn über seine Verurteilung der beiden Erzbischöfe aufklärte. Daraufhin verließ der Kaiser die Stadt Rom, nahm sich der unwürdigen Bischöfe nicht weiter mehr an und blieb auch in gutem Einvernehmen mit dem Papst.
Erzbischof Günther fügte sich aber nicht, sondern suchte durch Briefe an verschiedene Bischöfe dieselben gegen den heiligen Papst aufzureizen. Doch wie ein Fels stand der heilige Nikolaus den Bischöfen und ihren Verbündeten gegenüber fest.
Die Lage der Königin Theutberga war aber immer noch keine gute. Als sie, um den vielen Bedrängnissen am Königshof zu entgehen, selbst den Papst bat, ihre Ehe zu trennen und ihr den Eintritt in ein Kloster zu gestatten, weigerte sich der heilige Papst entschieden, ihren Wunsch zu erfüllen. Es handelte sich ja um die Heiligkeit der Ehe und die Verteidigung des göttlichen Gesetzes. Der Papst war schon nahe daran, über den ehebrecherischen König den Bann auszusprechen, als diesen der Tod ereilte.
Eine andere Eheangelegenheit, in der der Papst ebenfalls das göttliche und kirchliche Recht verteidigen musste, war die der Engeltrude, der Gemahlin des Grafen Boso, wahrscheinlich eines Bruders der Königin Theutberga. Engeltrude hatte sich nämlich um die Mitte des Jahres 857 von einem Liebhaber entführen lassen und sich mit ihm in verschiedenen Gegenden Frankreichs umher getrieben. Der heilige Papst Nikolaus nahm sich des Grafen Boso ebenso kräftig an, wie er für die Königin Theutberga eingetreten eingetreten war. Nachdem mehrere Mahnbriefe vergeblich gewesen waren, beauftragte er eine Versammlung von Bischöfen zu Mailand im Jahre 860, die Engeltrude vorzuladen und wenn sie nicht erschiene, von der Kirche auszuschließen. Dieses Urteil wurde auch gefällt und vom Papst bestätigt.
Eine dritte Eheangelegenheit war die der Judith, einer Tochter des westfränkischen Königs Karls des Kahlen. Dieselbe war mit dem Grafen Balduin von Flandern entflohen, da ihr Vater eine Heirat mit jenem nicht zugeben wollte. Auch sie wurde von den westfränkischen Bischöfen aus der Kirche ausgeschlossen. Graf Balduin wandte sich aber an den Papst, der erklärte, daß die Prinzessin ein Recht habe, sich ihren Gatten frei zu wählen. Der heilige Vater bemühte sich darum, auch ihre Eltern für diese Ehe zu gewinnen. Dem Erzbischof Hinkmar von Reims aber befahl er, das Urteil der fränkischen Bischöfe wieder aufzuheben. Daraufhin willigte Karl der Kahle endlich in die Heirat seiner Tochter mit dem Grafen Balduin ein. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 304 – S. 307
Der Protestant Gregorovius konnte nicht umhin, den Heldencharakter des Papstes anzuerkennen. Er schreibt: „Die Haltung Nikolaus I. Gegenüber diesem königlichen Skandal war groß und sicher; die priesterliche Gewalt erschien in ihm als eine heilsame, die Tugend rettende, das Laster züchtigende Sittenmacht und als wahrhaft notwendig in barbarischer und eiserner Zeit, wo es keine öffentliche Meinung gab, welche auch die Fürsten richtet.“
Nur schade, daß dies Gericht der öffentlichen Meinung in Bezug auf sittliche Vergehen und namentlich auf Ehebruch in vielen Kreisen sehr duldsam und nachsichtig geworden ist.
Und wenn sich übrigens die öffentliche Meinung über die Verwerflichkeit des Ehebruches gebildet und erhalten hat, so verdanken wir das der beharrlichen Energie der Päpste. Sie senkten die Lehren des Christentums über die Ehe so tief in die Herzen der Völker hinein, daß alle die Misshandlungen, welche man ihr antat, es nicht vermochten, die Überzeugung von der Heiligkeit des Ehebandes aus dem menschlichen Bewusstsein zu tilgen. –
aus: Andreas Hamerle C.Ss.R., Geschichte der Päpste, II. Band, 1907, S. 272