Heiligenkalender
6. Oktober
Der heilige Bruno Ordensstifter
Heute verehren wir mit freudiger Bewunderung einen großen Mann dessen Leben von dem unsrigen sehr verschieden war. Wir lieben die Welt: ihre Reize und ihre Lügen; wir denken selten an Gott, und noch seltener ist dieser Gedanke die wirkliche Triebfeder unseres Tun und Lassens: während dieser Heilige nur Einen Gedanken, nur Ein Interesse kannte – Gott allein zu lieben und Ihm allein zu dienen – und deshalb eine abgelegene Wüste aufsuchte, den ritterlichen Kampf wider den Satan und das Fleisch auskämpfte und sich von allen irdischen Banden frei machte.
Bruno, um 1032 aus einem adeligen Geschlecht zu Köln am Rhein geboren, zeigte schon als zarter Knabe einen männlichen Ernst. Unter dem schützenden Auge gottliebender Eltern entfaltete sich seine großartig angelegte Natur zur schönsten Blüte, so daß ihm die Zeitgenossen die Ehrennamen: „Dichter, Philosoph, Theologe“ beilegten, und der Ruhm seines Wissens und seiner Klugheit in allen Ländern Europa`s widerhallte. Seine höheren Studien vollendete er zu Tours, Paris und Reims mit Auszeichnung und wurde schon als junger Priester zum Domherrn von Reims ernannt, wo er als Lehrer und als oberster Leiter sämtlicher Bildungs-Anstalten ausgezeichnet wirkte. Sein gottinniger Lebenswandel, seine klare und salbungsvolle Lehrweise, seine mächtige Begeisterung für die geoffenbarte Wahrheit belebte wie warme Frühlingsluft die jugendlichen Herzen der Studierenden, so daß sehr Viele derselben durch ihre Wissenschaft und Frömmigkeit Zierden der katholischen Kirche wurden.
Im Jahre 1069 erschlich sich ein gewisser Manasses durch Ränke und Bestechungen die Würde des Erzbischofs von Reims, verwaltete anfänglich sein Amt mit klugem Eifer, ernannte den hoch verdienten Bruno zu seinem Kanzler und verstand es, die tüchtigsten Männer zu gewinnen. Als er aber sein Ansehen fest gegründet glaubte, legte er die Larve ab, sättigte seine Habsucht mit Gütern der Kirchen und Klöster, umgab sich mit Soldaten und weltlichen Schmeichlern, verachtete und tyrannisierte die Geistlichen. Bruno bot seine Liebe, seine Klugheit, seinen Mut auf, um solche Gräuel vom Heiligtum und solche Ärgernisse vom Volke abzuwehren; aber seine Anstrengungen mussten der Bosheit unterliegen, und der Hass desjenigen, den er durch seine treueste Liebe retten wollte, vertrieb ihn aus Reims. In dieser Verstoßung von der Welt erkannte er einen Wink der göttlichen Vorsehung, den schon lang gehegten Plan auszuführen, sich in einen verborgenen Winkel der Erde zurück zu ziehen und dort in Buße, Gebet und Betrachtung zu leben.
Gerade um diese Zeit – 1082 – soll Bruno Augenzeuge eines schauerlichen Ereignisses in Paris gewesen sein. Dort starb plötzlich ein berühmter, wegen seines tadellosen Wandels geschätzter Professor. Als vor der Beerdigung die Geistlichen und Schüler am offenen Sarg die kirchlichen Tagzeiten sangen, und der Lektor jene Worte aus Job (13,23) las: „Antworte mir: wie große Missetaten hab` ich denn?“ richtete der Tote sich auf, rief mit lauter Stimme: „Ich bin angeklagt“, und sank wieder leblos zurück. Entsetzt ließ man die Leiche stehen bis zum andern Tage. Wieder wurden vor zahlreichem Volk die Tagzeiten gesungen, und bei der gleichen Stelle richtete sich der Tote abermals auf, indem er jammervoll ausrief: „Ich bin gerichtet.“ Die Anwesenden flohen, zitternd vor Schrecken, aus der Kirche. Am dritten Morgen strömte die ganze Stadt zusammen. Während der Kirchengebete erhob sich der Tote wieder, schrie im Tone der Verzweiflung: „Durch das gerechte Urteil Gottes bin ich verdammt“, und sank leblos zurück. Nun begrub man ihn. Unbeschreiblich war der Eindruck dieses Ereignisses.
Bruno, von sechs gleich gesinnten Freunden begleitet, suchte den wegen seiner Heiligkeit berühmten Abt Robert von Molesmes auf und begab sich auf dessen Rat zum Bischof Hugo von Grenoble, welcher ihm zur Ausführung seines heroischen Vorhabens das abgelegene Bergtal Chartreuse (Karthause) schenkte, und dort ein Kirchlein errichtete. Hier bauten sie kleine Hütten, in denen je zwei und zwei, nach Art der alten Einsiedler wohnten, unter beständigem Stillschweigen durch Gebet und Handarbeit – besonders durch Bücher-Abschreiben – Gott dienten; nur zum Chorgebet um Mitternacht und zur Vesper am Nachmittag kamen sie in der Kirche und am Sonntage zum Mittagessen in einem Speisesaal zusammen. Ihre Lebensweise war voll Entbehrungen und auf das durchaus Notwendige beschränkt. Schnell vermehrte sich trotz der außerordentlichen Strenge die Zahl dieser Einsiedler, die notwendigen Bauten wurden erstellt und so die festen Fundamente des Kartäuser-Ordens gelegt. Eine geschriebene Regel wurde erst später nach den ursprünglichen Übungen verfaßt und von Papst Innozenz XI. im Jahre 1688 kirchlich gut geheißen.
Kaum war diese Stiftung eingerichtet, da erhielt Bruno von Papst Urban II., der in Reims sein Schüler gewesen war, die dringende Aufforderung, nach Rom zu kommen und in seiner Nähe der heiligen Kirche seine Kräfte zu widmen. Schmerzlich war für ihn und die Brüder sein Abschied von der geliebten Karthause; doch er brachte das Opfer mit den schönen Worten: „Ich muss gehen. Was würden die äußeren Werke der Abtötung und aller Schein der Demut frommen, wenn ich eigensinnig dem Statthalter Jesu Christi den Gehorsam verweigerte.“ Der Papst nahm ihn freundlich in seinen Palast auf und beehrte ihn mit dem vollsten Zutrauen in den wichtigsten Angelegenheiten. Allein mit dem geräuschvollen Hofleben konnte sich sein stiller Sinn unmöglich befreunden: auch die Brüder, welche ihm gefolgt waren, klagten ihm, daß sie in dieser Stadt die gottgeheiligte Lebensweise nicht wie in der Einöde beobachten können. Der Papst, welche ihre Rückkehr nach der Karthause nicht gestattete, schlug einen Mittelweg ein und wählte Bruno zum Erzbischof von Reggio; aber der Heilige war zur Annahme dieser Würde nicht zu bewegen. Endlich erhielt er die Erlaubnis, sich in eine Einöde des waldreichen Kalabriens zurück zu ziehen. Der Graf Roger von Sizilien schenkte ihm die schwer zugängliche Wildnis la Torre, baute ihnen eine Kirche und Zellen und sorgte für ihre geringen Bedürfnisse. Bruno erwies sich dankbar für diese Wohltat durch ein Wunder.
Als nämlich die Lombarden den Fürsten Richard von Aversa, einen nahen Verwandten des Roger, ungerechter Weise in Capua gefangen hielten, sammelte dieser ein Heer und zog vor die Stadt, um den Gefangenen zu befreien. Sein Hauptmann Sergius, welcher zweihundert Griechen kommandierte, hatte sich von den Lombarden bestechen lassen, im Getümmel der Schlacht zu ihnen überzugehen. In der Nacht vor dem Entscheidungskampf erschien Bruno dem Roger und sprach: „Steh auf, ergreife die Waffen und rette dein und deiner Soldaten Leben!“ Der Graf gehorchte, rief seine Kriegsobersten und befahl unter die Waffen zutreten, um zu sehen, ob das Gesicht nur eine Täuschung gewesen sei. Voll Schrecken ergriff Sergius die Flucht, und Roger entdeckte zu seinem Erstaunen die geplante Verräterei.
Das Kloster la Torre entwickelte sich mächtig unter Bruno`s weiser Leitung, der stets der Erste und der Letzte, der Vater und der Diener war und auch in Sizilien noch die Seele der großen Karthause blieb. Er stand mit den bedeutendsten Männern seiner Zeit in schriftlichem Verkehr und förderte wirksam die Interessen der heiligen Kirche durch die Macht seines Geistes und seines Ansehens. Der Herr nahm ihm die Last seiner Arbeiten und Opfer von den Schultern und rief ihn zum himmlischen Feierabend am heutigen Tage 1101. Seine Verehrung wurde erst durch Papst Leo X. 1514 kirchlich gut geheißen und sein Leichnam 1515 in la Torre ganz unversehrt aufgefunden. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 741 – S. 743