Hoheit des Rosenkranzgebetes in Rücksicht auf dessen Urheber
Auszug aus einer Marienpredigt von Antonio Vieira SJ
Warum hält der Gesang der Seraphim inne? (Offb. 8,1)
Die Seraphim, die unter allen Engelscharen alle an Weisheit und Liebe überragen und den höchsten Platz am Throne der göttlichen Majestät einnehmen, sie loben und preisen immerdar Gott, und singen und wiederholen unaufhörlich die Worte: Heilig! Heilig! Heilig! (Isai. 6,3), der Prophet Ezechiel und der heilige Johannes in seiner geheimen Offenbarung. – Da erzählt der Heilige etwas recht Seltsames, etwas, dessen Verständnis nicht leicht ist.
Der Heilige sagt, dieser Gesang der Seraphim habe etwas inne gehalten, so daß im ganzen Himmel eine Stille ward bei einer halben Stunde (Offenb. 8,1). Und während dieser zeit erschien ein Engel, der hatte ein goldenes Rauchfaß in den Händen, und es wurde ihm Rauchwerk gegeben, damit er von den Gebeten aller Heiligen auf den goldenen Altar legen sollte, der vor dem Throne Gottes ist. Und es tieg auf der Rauch des Rauchwerkes (a.a.o. 3). So weit das Gesicht des Heiligen, wobei es Vieles zu erwägen gibt.
Erstens: warum hält der Gesang der Seraphim inne, wenn die Gebete der Menschen dargebracht werden? Konnten denn die einen Gebete nicht gehört werden, so lange als die anderen dargebracht wurden, besonders wenn sie dargebracht wurden im Rauchwerk? Die Kirche bittet um die große Gnade, daß die Gebete unter dem Gesang der Eingel Eingang finden möchten (Praefat. De B. Virg. Maria). Welches ist also der Grund, daß der Gesang der Engel innehält, wenn Gott unsere Gebete dargebracht werden? Die Gebete, so entgegnen viele Schriftausleger (Celada und Silveira), die Gebete, welche die Menschen auf Erden Gott darbringen, gefallen ihm so wohl, daß er, um bloß diese zu hören, die Musik des Himmels still schweigen läßt.
Eine sinnvolle und recht trostvolle Antwort für die Andächtigen; – doch um allgemein zu sein, dazu ist sie nicht hinreichend für alle Umstände und Beziehungen der Schriftstelle. Die Schriftstelle redet nicht im Allgemeinen von allen Gebeten, sondern nur von einigen Gebeten. Und wenn dieser Vorzug nicht allen Gebeten, sondern nur einigen zu Teil wird, – was sind das für Gebete? Ich behaupte: es ist das Rosenkranz-Gebet, und ich will dieses aus der Schriftstelle und ihren Beziehungen beweisen.
Denn erstens sind es vervielfältigte Gebete, und Gebete von derselben Art: vieles Rauchwerk, was sich bloß beim Rosenkranz-Gebet findet. Zweitens währte die Stille im Himmel bei einer halben Stunde, und dieses ist gewöhnlich die Zeit, die auf das Abbeten des sRosenkranzes verwendet wird; dieses kann also – nicht von anderen umfangreicheren oder kürzeren Gebeten verstanden werden. Drittens, eine so so seltsame Ehrfurcht, die konnten die Seraphim nur gegen das Rosenkranz-Gebet haben, da dessen Urheber die allerheiligste Dreifaltigkeit ist.
Alles, was die Seraphim im Himmel singen, besteht einzig und allein im Leben der allerheiligsten Dreifaltigkeit, was sie daher, ohne das Feierlied zu verändern, immer und dreimal wiederholen: Heilig! Heilig! Heilig! Dieses bekennen einstimmig die beiden Kirchen, die lateinische durch einen heiligen Augustinus. Die griechische durch einen heiligen Gregorius von Nazianz. Da aber das Rosenkranz-Gebet ein Werk der allerheiligsten Dreifaltigkeit ist, so schweigen die Engel mit Recht, wenn im Himmel das Rosenkranz-Gebet vernommen wird; denn die Engel wissen, daß sie die allerheiligste Dreifaltigkeit weit mehr dadurch loben und preisen, daß sie verstummen, als dadurch, daß sie singen.
Doch aus welchem Grund? Was sie aussprechen, indem sie singen, das sind ihre Worte, und das, was sie hören, indem sie verstummen, das sind Gottes Worte, und gleichwie die Engel mit demütigem und ehrfurchtsvollem Schweigen die unendliche Hoheit der göttlichen Worte anbeten, so erkennen sie die Unähnlichkeit ihrer Worte. Und wenn, indes die Worte des Rosenkranzes aufgezeichnet oder vernommen werden, im Himmel die Stimmen der Seraphim verstummen, und auf Erden die Stimme des Täufers, – wie wird nicht dieses zweifache, merkwürdige Schweigen anderen Gebeten Stillschweigen auferlegen? Wenn die anderen Gebete, – wer auch ihr Urheber, und so heilig er auch sei, – Gott wohl gefallen und ihn loben und preisen wollen: – so mögen sie ihn dadurch loben und preisen, daß sie verstummen und sich in das Rosenkranz-Gebet verwandeln. –
Ich weiß wohl, Jene, die für andere Gebete eingenommen sind, glauben entweder, es walte darin eine größere Kraft der Worte, oder ein höherer Ausdruck der Gefühle und Empfindungen, oder eine nachdrücklichere und dringendere Verpflichtung zu Opfern, Gelübden und Verheißungen und zur Liebe Gottes. Allein die Sucht nach Neuem, die Abneigung, das Nämliche vielmals zu wiederholen, und die leere Einbildung, wenn man nur wenig ausspreche, da könne man nicht viel sagen: – das ist es sicherlich und in der Regel eher, – was diejenigen, die besonders andächtig sein oder scheinen wollen, – gegen den Rosenkranz einnimmt.
Doch womit läßt sich dieser Irrtum beweisen und beseitigen? Eben damit, was ich eben ausgesprochen und mit sonst nichts. – Solche mögen erwägen, daß Gott der Urheber des Rosenkranz-Gebetes ist, und sie werden sogleich ihren Irrtum einsehen. Ich frage: kann Jemand zu dem, was Gott gesagt und gelehrt, noch etwas beifügen und beisetzen, und es besser aussprechen? Gewiß nicht. Doch aus welchem Grund? Der Kirchenlehrer Tertullian legt Beides überzeugend und scharfsinnig dar. Wo derjenige, der lehret, Gott ist, da kann Niemand noch mehr erdenken oder sprechen; denn wenn Gott lehrt, da sagt er Alles aus (Tertull. De anima)
Erwägt dieses „Alles“ und jenes „erdenken“ wohl und ernst. So sehr auch die Menschen streben mögen, dazu, was Gott gelehrt, noch etwas zu erdenken; sie sind doch nicht im Stande ; und der Grund ist: wenn Gott lehrt, dann sagt er Alles; und außer diesem „Alles“ gibt es nichts. Nachdem Gott das Vaterunser und Ave Maria erdacht, da mögen ein heiliger Ambrosius, ein heiliger Anselmus, ein heiliger Bonaventura, eine heilige Brigitta und alle anderen Heiligen neue Gebete erdenken; – es können – so salbungsvoll sie auch seinen, – menschliche Gedankengebilde nimmer auch im entferntesten den göttlichen gleichkommen. Seht, ob der heilige König das anrät, was ich ausspreche: Preiset den Herrn, rufet ans einen Namen: machet kund unter den Völkern, was er erfand (1. Paralip. 16,8). wenn uns denn der heilige König ermuntert, wir sollten zu Gott beten – wie? Da sagt er uns zugleich, wir sollten das verkünden, was er erfunden? Allerdings; denn es gibt Gebete, die von Menschen und Gebete, die von Gott erfunden sind; – und diese sind es, die verkündet werden sollen.
Damit indes mein Vortrag nicht fruchtlos sein möge, so will ich aus dem gesagten zwei Schlüsse ziehen. Ich habe gesagt, das Rosenkranz-Gebet, – weil es von Gott erdacht und gelehrt wurde, hat eine Würde, die über alle Gebete von Menschen und Engeln unendlich erhaben ist. Und daraus gehen zwei besondere Vorrechte hervor, Vorrechte, die diesem Gebete eigen sind und sich bei keinem anderen Gebete finden, noch finden können. Doc welches sind diese Vorrechte? Das erste besteht darin, daß Jene, welche den Rosenkranz beten, in Ansehung dessen, um was sie Gott bitten, nicht irren können; das zweite darin, daß ihnen Gott das, um was sie ihn bitten, nicht zu versagen vermag.
Erwäget nun ernst den einen und den anderen Teil dieses Schlusses; und wenn irgend einer davon, und noch mehr, wenn beide wahr sind; – dann wird es Niemand geben, der, wenn er anders auf Gott hofft, und von ihm etwas hofft, sich einer Gnade, die zwei so große Güter in sich schließen, – berauben wollte… –
aus: Antonio Vieira SJ, Sämmtliche Marienpredigten, Zweiter Teil, 1860, S. 288 – S. 292
Die gesamte Predigt findet sich hier: Hoheit des Rosenkranzgebetes in Rücksicht auf dessen Urheber.
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