Heiligenkalender
7. Oktober
Die heilige Ositha Jungfrau und Märtyrerin
König Frithewald und Wilteburga in England, selbst zur Frömmigkeit geneigt, sandten ihre Tochter frühzeitig in ein Kloster und ließen sie daselbst gottesfürchtig erziehen. Die heilige Editha, eine Schwester des Königs Alfrid, stand jenem Kloster als Äbtissin vor. Wie sie selbst einen heiligen Lebenswandel führte, so befliß sie sich, auch Ositha zu aller Tugend anzuleiten. Ositha zeigte Liebe und Eifer zu allem Guten. Das Beispiel ihrer heiligen Oberin und anderer Gott verlobten Jungfrauen schwebte ihr beständig vor Augen, und nach diesem suchte sie ihr Leben einzurichten.
Einst gab Editha der kleinen Ositha ein Buch mit dem Befehle, dasselbe der hl. Äbtissin Modovenna in ihr Kloster Streveshal zu überbringen. Ositha musste über eine kleine Brücke gehen, und als sie auf derselben sich befand, erhob sich ein heftiger Wind, welcher sie ergriff und von der Seite einer Magd, die ihr zur Begleitung beigegeben worden war, hinweg riß und in den Fluss hinab stürzte. Sobald Editha und Modovenna hiervon Nachricht bekommen hatten, eilten beide voll Angst an den Fluss, sahen aber nichts mehr von ihr. Daher nahmen sie voll des Vertrauens ihre Zuflucht zum Gebet, und nach Vollendung desselben rief Modovenna mit lauter Stimme: „Ositha! Ositha! Im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit, komm aus dem Wasser hervor!“ und sieh, welches Wunder! Ositha kam mitten im Fluss augenblicklich hervor und rief: „Da bin ich, meine Frau! Da bin ich !“ Sie schwamm bis an das Gestade, in der Hand das Buch haltend, welches sie überbringen sollte. Beide heilige Äbtissinnen weinten vor Freuden und dankten Gott wegen eines so augenscheinlichen Wunders. Ositha aber fühlte sich dadurch angetrieben, ihren Eifer in dem Dienst Gottes, dem sie ihr Leben auf ein neues schuldig zu sein erkannte, zu verdoppeln. Nach einigen Jahren wurde sie von dem Vater aus dem Kloster an den Hof zurück berufen. Sie bemerkte daselbst gar bald die vielen Gefahren, ihre Unschuld zu verlieren, wußte sich aber so zu verhalten, daß sie dieselbe unversehrt bewahrte.Die Mittel, welche sie hierzu gebrauchte, waren vorzüglich das Gebet, die Abtötung ihrer selbst und die öftere heilige Kommunion. Auf dem Wege der Tugend, den sie im Kloster zu wandeln begonnen hatte, verharrte sie standhaft und ließ sich durch die Vergnügen des Hoflebens nicht verlocken.
Infolge der Zeit geschah es, daß der mächtige König Siger der Ost-Angelachsen Ositha zur Ehe begehrte. Die Eltern willigten ohne Bedenken ein; Ositha aber, welche sich schon vorher durch ein Gelübde zur jungfräulichen Reinigkeit verbunden hatte, konnte durch alle Vorstellungen zur Einwilligung nicht gebracht werden. Endlich gebrauchten ihre Eltern Gewalt, und Ositha wurde gezwungen, das Jawort zu geben. Die Verehelichung wurde mit königlicher Pracht vollzogen. Die königliche Braut aber schickte unter Seufzern und Tränen ihre innigsten Gebete zu Gott und bat inständigst um seinen mächtigen Schutz in Betreff ihrer Reinigkeit. Gott gab ihr die besondere Gnade, daß sie ihren Gemahl unter allerlei Vorwänden von der Verletzung ihres Gelübdes verletzt glücklich abzuhalten wußte. Es kam unversehens ein Bote mit der Meldung, welche den König Siger anders wohin berief. Kaum hatte sich dieser entfernt, da begab sich Ositha heimlich vom Hofe hinweg, floh in ein Kloster, ließ sich dort die Haare abschneiden und das Ordenskleid anlegen. Und nun nahm sie ihre Zuflucht mit größter Zuversicht zu Gott, demütigst bittend, er wolle das Herz ihres Gemahls derart lenken, daß sie aus dem Kloster, in welches sie eingetreten war, aus Liebe zur Reinigkeit nicht mit Gewalt heraus geholt würde. Ihr Gebet wurde erhört; denn als Sigerius den Hergang umständlich vernommen hatte, bezeigte er zwar einen empfindlichen Schmerz über den Verlust seiner so liebenswürdigen Gemahlin, wollte sie aber nicht von ihrem Vorhaben abhalten, sondern wünschte ihr Glück zu dem Stand, den sie erwählt hatte; ja, er baute ihr sogar ein besonderes Kloster (Chich) und versah dasselbe mit reichlichen Einkünften, damit sie dort mit allen, die ihrem Beispiel folgen wollten, Gott desto ruhiger dienen könnte.
In dem neu erbauten Kloster war Ositha für ihre Mitschwestern ein Vorbild aller Tugenden im Leben wie im Tode. Da begab es sich, daß ein dänischer Seeräuber mit einigen Schiffen unweit von dem Kloster landete und mit den Seinigen an das Land stieg. Wo der Barbar hinkam, wurde alles durch Raub und Plündern, durch Feuer und Schwert verheert. Mit wahrer Wut stürzten sich die Räuber auf das Kloster und drangen Ihr Hauptmann, hingerissen von Osithas Schönheit und ihre königliche Abstammung bewundernd, verlangte sie zur Ehe. Die keusche, Gott verlobte Jungfrau, beteuerte ohne jede Zaghaftigkeit, daß sie sich niemals mit ihm in eine Ehe einlassen könne noch wolle, sowohl weil sie eine Christin und er ein Heide sei, als auch weil sie sich schon mit dem himmlischen Bräutigam verlobt habe. Der Barbar wollte nicht ablassen; er drang mit Liebkosen und Versprechen lange Zeit in sie. Da er aber merkte, daß alles umsonst seie, verwandelte sich seine Liebe in Wut; mit fürchterlichen Drohungen begehrte er nun, sie solle, wenn sie sich nicht verehelichen wollte, doch wenigstens den Glauben an Christus verlassen, sonst würde sie keine Stunde mehr zu leben haben. Die heilige Ositha, erfreut über die Gelegenheit, Christus zuliebe ihr Leben zu opfern, rief unerschrocken, daß sie bereit sei, eher zu sterben, als den Glauben an Jesus zu verlassen. Voll Zorn zog der Seeräuber das Schwert enthauptete sie im Jahre 653. –
aus: Wilhelm Auer, Kapuzinerordenspriester, Goldene Legende Leben der lieben Heiligen Gottes auf alle Tage des Jahres, 1902, S. 802 – S. 804