Heiligenkalender
6. August
Das Fest Verklärung unseres Herrn Jesus Christus
Die merkwürdigste Versammlung in der ganzen Weltgeschichte wurde im dreiunddreißigsten Jahre nach Christi Geburt auf dem Tabor in Galiläa gehalten. In dieser Versammlung war gegenwärtig Jesus Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch in wunderbarer Schönheit; sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider waren weiß wie Schnee: es war gegenwärtig in überirdischer Herrlichkeit der hl. Moses, der fünfzehn Jahrhunderte früher die Heeresmacht des stolzen Pharao in den Fluten des roten Meeres vernichtet und das Volk Israel aus der Sklaverei bis an den Eingang in das gelobte Land geführt hatte: es war gegenwärtig der hl. Elias in himmlischem Glanz, welcher vor neunhundert Jahren die Kinder Israels zum Vertrauen auf die Barmherzigkeit des allmächtigen Gottes und zur Hoffnung auf den verheißenen Erlöser begeistert hat: es waren gegenwärtig die drei großen Apostel des Neuen Bundes Petrus, Jakobus und Johannes, welche in der Folge für Jesus Christus ein glorreiches Zeugnis abgelegt haben: es war gegenwärtig, in einer geheimnisvollen Wolke verborgen der himmlische Vater selbst, begleitet von den Chören der Engel. Der große Zweck dieser erhabensten Versammlung war nach der Auslegung der Theologen ein dreifacher:
1. Jesus Christus präsidierte in dieser Versammlung als der höchste Fürst und Gesetzgeber der ganzen Welt, gemäß der Weissagung des hl. Isaias: „Der Herr ist unser König, der Herr ist unser Gesetzgeber.“ (Isai. 33) In dieser Eigenschaft wurde Jesus anerkannt von Moses, der die Gesetze des Alten Bundes verkündet und die Vorbereitung des auserwählten Volkes auf die Ankunft des großen Königs begonnen hatte: anerkannt von Elias, welcher die Erfüllung des alttestamentlichen Gesetzes und die Sehnsucht nach dem verheißenen Messias gepflegt hatte: beglaubigt von dem ewigen Vater selbst durch die Erklärung: „Dieser ist mein viel geliebter Sohn, Ihn höret.“
Jesus ist aber der höchste königliche Gesetzgeber der ganzen Menschheit nicht bloß dadurch, daß Er in seinen Glaubens- und Sittenlehren ihr ein so süßes Joch und eine so leichte Bürde auflegt, sondern vorzugsweise dadurch, daß Er durch sein blutiges Opfer am Kreuz und durch sein immer währendes Opfer auf dem Altare von ihr den Fluch der Sünde und die Schrecken des Todes hinweg nimmt und mit seinen sakramentalen Gnaden die Kraft und Freudigkeit des Lebens aus dem Glauben vermehrt. Deshalb wurde in dieser hehren Versammlung Jesus auch in seiner hohenpriesterlichen Eigenschaft von Moses und Elias anerkannt, indem sie mit Ihm „redeten von seinem Ausgang, den er vollenden werde in Jerusalem“, d.h. von seinem Leiden und Tode auf Kalvaria. Solches bestätigte der himmlische Vater durch die Erklärung seines höchsten Wohlgefallens an diesem Opfer: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem Ich mein Wohlgefallen habe: Ihn höret.“ Denn da das Priestertum das Vorrecht des Erstgeborenen ist, so bezeichnet Gott der Vater, indem Er Ihn „Sohn“ nennt, seine Eigenschaft als Hohenpriester, der die Erlösung der Welt vollenden werde. Und über diese grundlegende Wahrheit des Christentums wurden die drei Apostel auf dem Tabor wunderbar belehrt, bevor Jesus den Heiden überliefert, gegeißelt, angespien und gekreuzigt wurde, um alles Ärgernis, das sie ohne diese Belehrung hätten nehmen können, zu verhindern.
2. Jesus offenbarte sich in dieser Versammlung als den Urheber und Spender der himmlischen Glorie und Seligkeit. Denn unmittelbar, bevor Jesus den Berg der Verklärung bestieg, hatte Er von dem großen Lohne gesprochen, den Er seinen treuen Nachfolgern an dem Tage geben werde, an welchem Er in der Herrlichkeit des Vaters wieder kommen werde, um zu richten die Lebendigen und die Toten. Er hatte noch beigefügt, daß Einige von seinen Jüngern den Tod nicht verkosten würden, bevor sie den Menschensohn in seinem Reiche gesehen hätten. Und dieses Trostwort erfüllte Er auf dem Tabor, indem Er sich den drei Aposteln in seiner ewigen Herrlichkeit und übernatürlichen Schönheit zeigte und sie zugleich schauen ließ seine längst aus dem Erdenleben abgerufenen Diener Moses und Elias, in verklärter Glorie. Petrus, Jakobus und Johannes schauten wirklich durch die Lichtfülle des Tabor hinüber in das Jenseits, in das Geheimnis der Ewigkeit, nach dessen Aufhellung das Menschenherz ein so sehnsüchtiges Verlangen hat. Denn Moses und Elias kamen aus dem Lande der Seligen und bekundeten durch ihr persönliches Erscheinen, daß es jenseits des Grabes ein unsterbliches Leben und eine gerechte Vergeltung gibt, daß dort eine süße Vereinigung Derjenigen stattfindet, die hienieden Eines Sinnes waren und in Einer Liebe die Wege Gottes wandelten, wären sie auch ihrem Erdenleben nach tausend Jahre und über tausend Meilen von einander getrennt gewesen; daß alle Guten, mögen ihre Namen uns bekannt oder unbekannt sein, Väter und Mütter, Kinder und Enkel, Freunde und Verwandte, welche diesseits in der Liebe zu Gott vereinigt waren, Alle jenseits sich in seliger Freude wieder finden. Somit zeigte Jesus den Aposteln in dem glanzvollen Erscheinen des Moses und des Elias, daß auch sterbliche Menschen der himmlischen Verklärung sich erfreuen werden.
3. Jesus wollte seine geliebten Apostel und alle Gläubigen der Zukunft durch des Moses und Elias Gegenwart in dieser Versammlung anspornen und ermutigen, die Leiden und Mühsale dieses Lebens standhaft zu ertragen, fest haltend an der gewissen Hoffnung, daß ihre verklärten Brüder ihnen stets bereit zur Seite stehen, daß ihr Lohn für das treue Ausharren groß und glorreich sein werde. Denn das Erscheinen des Moses und Elias, die mit Jesus über die Vollendung des Werkes redeten, dem sie einst die ganze Zeit und Kraft ihres Lebens geopfert hatten, enthält für die katholische Christenheit die trostvolle Zusicherung, daß der zur Rechten des Vaters sitzende Jesus, mit den verklärten Heiligen vereint, der streitenden Kirche auf Erden allzeit nahe ist in ihrem Kampf mit den Pforten der Hölle.
In der freudigen Erinnerung an dieses wichtige Erlebnis auf dem Tabor schreibt deshalb der hl. Petrus ins einem zweiten Brief (1,16): „Wir folgten nicht gelehrten Fabeln, als wir euch mit der Kraft und Gegenwart Christi bekannt machten, sondern wir waren Augenzeugen seiner Herrlichkeit, als Er von Gott dem Vater Ehre und Glorie empfing durch die Stimme, welche aus hoch herrlichem Glanze über Ihm erscholl: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem Ich Wohlgefallen habe, Ihn höret.“ Und auch der hl. Johannes spricht den wonnigen Eindruck dieses Erlebnisses aus mit den Worten: „Wir haben gesehen seine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater, voll Wahrheit und Gnade.“ (Joh. 1,14) Dieselbe glaubensinnige Zuversicht bestimmte den Papst Kalixtus III. 1457 zur Einsetzung des Festes der Verklärung Christi, um besondere Hilfe vom Herrn zu erlangen gegen die Bedrängnisse von Seiten der Türken, welche viele Kirchen in Asien und Afrika schon zerstört hatten und nach der Einnahme von Konstantinopel (1453) die Kirche des Abendlandes bedrohten. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 583 – S. 584
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