Worin besteht die Bosheit der Todsünde

P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung

Worin besteht die Bosheit der Todsünde ?

Teil 1

1. Die Todsünde ist eine schwere Beleidigung Gottes, unseres höchsten Herrn.

Die Bosheit einer Beleidigung ist um so größer, je höher der Beleidigte und je niedriger der Beleidiger steht; ferner, je kränkender die Art der Beleidigung ist, und je verwerflicher die Beweggründe sind, welche dazu antreiben. Alle diese Umstände nun, welche die Bosheit einer Beleidigung vergrößern, treffen bei der Todsünde in einem unbeschreiblich hohen Grade zusammen und machen dieselbe zu einem bodenlosen Abgrund von Bosheit. Denn wer ist zunächst der Beleidigte? Es ist Gott, der Ewige und Unendliche, Gott, der Schöpfer, Erhalten und Lenker aller Dinge (Röm. 11,36); der König der Könige, dessen Thron der Himmel, dessen Fußschemel die Erde (IS. 66,1) ist, vor dem selbst die himmlischen Geister in heiliger Ehrfurcht erzittern; Gott, der allweise und allheilige Gesetzgeber, auf dessen Wink Sonnen leuchten und erlöschen, Gestirne erscheinen und verschwinden, Gott, dem Millionen von vernunftlosen Geschöpfen mit unverbrüchlicher Pünktlichkeit gehorchen. –

Und was ist der Mensch, der Beleidiger? Ein schwaches, armseliges Geschöpf, „das dahinwelkt wie eine Blume des Feldes“ (Ps. 102,15), dessen Leben ist wie „ein Dunst, der eine kleine Weile sichtbar ist und dann verschwindet“ (Jak. 4,15). Was ist der Mensch? „Erdenstaub“ (Sir. 17,31), ein elender Wurm (Job 25,6) und eine Speise der Würmer. –

Und worin besteht die Beleidigung, die du, armseliger Erdenwurm, dem Allerhöchsten durch die schwere Sünde zufügst? Du mißachtest das Gebot, das er in übergroßer Liebe dir ins Herz geschrieben, das er durch seinen eingeborenen Sohn dir geoffenbart und durch seine Stellvertreter dir verkündet hat, das heilige und gerechte Gebot, das er dir gegeben, damit du ewig glücklich werdest. Du verschmähst die unschätzbare Belohnung, die er dir für die treue Beobachtung desselben verheißt, verschmähst ihn selber, der dein übergroßer Lohn sein will; du spottest gleichsam seiner Drohungen, spottest der ewigen Höllenqual, der gerechten Strafe deines Ungehorsams. Du empörst dich in wahnsinnigem Übermut gegen ihn, deinen höchsten Herrn, wirfst sein sein Joch ab und sprichst, wenn auch nicht mit Worten, so doch durch die Tat: „Ich will dir nicht dienen.“ (Jerem. 2,20) O der Bosheit, der unbeschreiblichen Bosheit! Was treibt dich an, o Mensch, so gegen deinen Herrn und Gott zu handeln? Ist es der Besitz aller Schätze der Erde? Ist es der Genuß aller Freuden? Ist es die Weltherrschaft, die du durch die Sünde zu erlangen hoffst? Wäre auch dieses der Preis deiner Auflehnung, selbst dann wäre deine Bosheit grenzenlos. Denn was sind alle irdischen Güter gegen Gott, das unendliche Gut? Weniger als ein Tropfen gegen den unermeßlichen Ozean, weniger als ein Stäubchen gegen das ganze Weltall. Es wäre also selbst in diesem Falle eine unsägliche Mißachtung Gottes, wenn du ihn jenen Erdengütern nachsetzest. Allein dem ist nicht also. Nein, nein, die bloße Lust eines Augenblickes, ein schnöder Gewinn, eine eitle Ehre, eine trügerische Vorspiegelung des Satans genügt dir, um auf den Besitz Gottes zu verzichten und ihm den Gehorsam aufzukündigen, ihn angesichts aller Engel und Heiligen so gänzlich zu mißachten! Welcher Triumph muss es nicht für den Fürsten der Finsternis sein, wenn er dich verleiten kann, deinem Herrn und Gott so zu trotzen! O Mensch, bedenke dies wohl und urteile selbst, ob eine größere Bosheit denkbar sei als die deine, wenn du dich erfrechst, eine Todsünde zu begehen. (1)

(1) Den Ursachen, welche die Todsünde zu einer so schweren Beleidigung Gottes gestalten, verdient noch besonders die beigezählt zu werden, daß man durch dieselbe Gott als letztes Ziel aufgibt und, statt in ihm, in einem Geschöpf seine Glückseligkeit sucht. So setzt der Sünder in gewisser Weise das Geschöpf an die Stelle Gottes, er stürzt, soviel an ihm liegt, Gott von seinem ewigen Throne, um ein elendes Geschöpf auf den denselben zu erheben. (…) In diesem Sinne ist die Todsünde eine Art Abgötterei (…) Diesen Sinn hat auch der bekannte Ausspruch des hl. Bernhard: „Der Sünder vernichtet durch seinen verkehrten Willen, soviel an ihm liegt, Gott selbst.“ Ipsum Deum perimit (Sermo 3 in Pasch.) – Zur Beleuchtung dieses Gegenstandes mag es nicht unnütz sein, die läßliche Sünde der Todsünde gegenüber zu stellen. Auch durch die läßliche Sünde wendet sich der Mensch einigermaßen von Gott ab und zum Geschöpf hin, indem er in einer minder wichtigen Sache dem Willen Gottes zuwider handelt und in dem Geschöpf eine unerlaubte Befriedigung sucht. Allein etwas anderes ist es, irgend eine Gott mißfällige Befriedigung im Geschöpf zu suchen, ohne Verzicht zu leisten auf die höchste Befriedigung, auf die ewige Seligkeit, die im Besitz Gottes besteht, und etwas anderes,, sich eine Befriedigung zu gestatten, die eine tatsächliche Verzichtleistung auf die ewige Glückseligkeit ist. Ersteres geschieht bei der läßlichen, letzteres bei der Todsünde darum ist diese auch eine Abwendung von Gott als dem letzten Ziel, jene hingegen nicht. (S. Thom. 1. 2. q. 72. a. 5; De Malo q. 7. q. 1. etc.) Wohl geht nicht durch jede schwere Sünde die Hoffnung verloren, und selbst für denjenigen, der gegen den Glauben und Hoffnung schwer gesündigt hat, ist noch eine Bekehrung möglich; aber welch ein Unterschied ist zwischen dem wirklichen Anrecht auf den Himmel, das durch die Todsünde verloren geht, und der bloßen Hoffnung auf Wiedergewinnung dieses Anrechts! Wie manchen ereilt vor der Bekehrung der Tod und mit ihm die ewige Verdammnis!

Quelle: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 333-334

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