Die Verklärung Jesu Christi auf dem Berg Tabor
Sechs Tage hernach (1) nahm Jesus den Petrus, Jakobus und Johannes mit sich auf einen hohen Berg, um zu beten. Und während er betete, ward er vor ihnen verklärt (2); sein Angesicht glänzte wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie der Schnee. Und siehe, es erschienen Moses und Elias in Herrlichkeit und redeten mit ihm von seinem bevorstehenden Tode in Jerusalem (3). Petrus und seine Gefährten waren (während Jesus betete) eingeschlafen. Beim Erwachen sahen sie Jesu Herrlichkeit und die Männer, die bei ihm waren, und Petrus sprach zu Jesus: „Herr, hier ist gut sein! Willst du, so wollen wir drei Hütten bauen, dir eine, dem Moses eine und dem Elias eine.“ Denn er wußte nicht, was er sagte (4), weil sie sehr erschrocken waren. Als er aber noch redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke (5), in die Moses und Elias hinein gingen, und eine Stimme erscholl aus der Wolke: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe; ihn höret!“ Und da die Stimme erscholl, war Jesus allein; die Jünger aber fielen auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. Jesus aber trat hinzu, rührte sie an und sprach: „Stehet auf und fürchtet euch nicht!“ Als sie nun ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand mehr als Jesus allein.
Da sie vom Berge herab stiegen, befahl ihnen Jesus: „Saget niemand von dieser Erscheinung (6), bis der der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.“ Sie schwiegen darum; doch fragten sie untereinander, was das bedeute: „bis er von den Toten auferstanden sein würde“. Jesus aber fragten sie: „Warum sagen denn die Schriftgelehrten, Elias müsse zuvor (vor dem Messias) kommen?“ (7) Er antwortete ihnen: „Elias wird zwar zuvor kommen und alles wieder herstellen. Ich sage euch aber: Elias ist schon gekommen; sie haben ihn aber nicht erkannt, sondern mit ihm gemacht, was sie wollten. Ebenso wird auch der Menschensohn von ihnen zu leiden haben.“ (8) Da verstanden die Jünger, daß er von Johannes dem Täufer zu ihnen geredet hatte.
Tabor – der Berg der Verklärung
Als Berg der Verklärung bezeichnet die Überlieferung den Tabor, der 10 km östlich von Nazareth, am nordöstlichen Ende der großen Ebene Esdrelon, wie ein großartiger Altar Gottes, 235 m über Nazareth, 305 m unmittelbar über die Ebene Esdrelon, 562 m über das Mittelländische Meer, 823 m über den See Genesareth sich erhebt und alle umliegenden Berge überragt. Vom Westen gesehen hat er die Gestalt eines abgestumpften Kegels, von Südwest, etwa von Naim aus, die einer gewaltigen Halbkugel. Das Plateau auf dem Gipfel mißt bei 800 m von West nach Ost, etwa 400 m von Nord nach Süd und hat etwa 2 km im Umfang…
Die Überlieferung, die den Tabor für den Berg der Verklärung hält, ist solid beglaubigt. Der hl. Petrus spricht in seinem zweiten Brief von dem „heiligen Berg“ und setzt dessen Kenntnis bei seinen Lesern voraus. Gewiß haben die begnadigten Apostel nach der Auferstehung des Herrn den Christen die Stätte der Verklärung kund getan, und gewiß stand diese Stätte dann auch in Verehrung. Nun aber können wir die Tradition, die den Tabor bestimmt als Schauplatz der Verklärung bezeichnet, schon ins 3. Jahrhundert zurück verfolgen. Es zeugt dafür um 240 Origenes (9), um 350 der hl. Cyrill, Bischof von Jerusalem (10), um 386 die hl. Paula (11) und im Jahre 404 der hl. Hieronymus (12). …
Aus dem biblischen Bericht, daß zwischen dem Bekenntnis Petri und der Verklärung „sechs Tage“ verflossen seien, kann man einen Gegenbeweis gegen die Tradition nicht entnehmen. Denn der Tabor liegt von Cäsarea Philippi nur 20-22 Stunden entfernt, war also in sechs Tagen selbst dann erreichbar, wenn nicht die allernächste Route eingeschlagen wurde. Ebenso sind die Gründe, die zum ersten Mal den Geographen Karl Ritter (13) bestimmten, den großen Hermon vor dem Tabor den Vorzug zu geben, nicht stichhaltig. Denn von der Behauptung, daß der Tabor bis nach der Zerstörung Jerusalems stets eine Festungsstadt auf seinem Gipfel getragen, ist nur so viel sicher, daß Antiochus d. Gr. 218 v. Chr. dort Verschanzungen anlegte, die jedoch zur Zeit Christi zerfallen und verlassen waren, da im Jüdischen Kriege (67 n. Chr.) Josephus zu den Befestigungen, die er auf dem Tabor binnen 40 Tagen anlegte, alles Material von unten hinauf schaffen musste. Auch war kein Wasser oben, während doch wenigstens Zisternen vorhanden sein mussten, falls dort eine Stadt oder auch nur ein bewohntes Kastell stand. Aber auch selbst wenn zur Zeit Jesu sich menschliche Wohnungen auf dem Tabor befunden hätten, so fanden sich doch sicher, wie Keppler mit Recht hervorhebt, „auf dem ausgedehnten Plateau, das eine halbe Stunde im Umkreis mißt, oder an den Bergwänden einsame Punkte genug, wo jener Vorgang ohne fremde Zeugen sich abspielen konnte.“
(1) Die Verklärung wird von den drei Synoptikern berichtet, und 2. Petr. 1,16 nimmt darauf Bezug. Nach diesen Berichten hat man sie aufzufassen als ein äußeres Faktum, nicht als eine bloß innere Vision, als ein bloßes Traumgesicht oder gar als eine optische Täuschung. Ebenso wenig läßt sich der Bericht als Mythos (Strauß) erklären, entstanden aus der Tendenz, an Jesus die Verklärung desMoses in erhöhter Weise zu wiederholen. Die Verklärung des Moses und die Verklärung Christi liegen gar nicht auf einer Linie. Dieses Faktum mit all seinen Einzelheiten kann nur aus übernatürlichen Ursachen, also nur als ein eigentliches Wunder erklärt werden, wie es schon 2. Petr. 1,16 geschieht, um Jesu göttliche Macht und Würde zu beweisen. – Etwas allgemeiner sagt der hl. Lukas (9,28): „Ungefähr acht Tage danach“; er rechnet den Tag von Cäsarea Philippi und den Tag der Verklärung mit.
(2) Der Glanz der göttlichen Wesenheit Jesu durchdrang und verklärte die leibliche Umhüllung. Der Heiland antizipierte für kurze Zeit jenen Verklärungs-Zustand, in dem er sich seit seiner Auferstehung stets befindet. Nur Kraft der unendlich verdienstreichen Selbstentäußerung (Phil. 2,6-8) des göttlichen Heilandes war seiner heiligten Menschheit ein steter Zustand der Entzückung und Verklärung versagt. – Zur Sache vgl. auch Seitz, Das Evangelium vom Gottessohn 219ff.
(3) In Moses, dem großen Gesetzgeber, und Elias, dem größten der Propheten, ist der ganze Alte Bund vertreten, um Jesus vor den Augen seiner Jünger feierlich Zeugnis zu geben und die Wahrheit darzustellen, daß der Neue Bund die Erfüllung des Gesetzes und der Propheten ist. Auf diese Erscheinung folgt ganz bald der Abschied Jesu von Galiläa, um zur Vollendung seiner Tätigkeit und zur Vollbringung seines Opfers nach Judäa zu gehen. Die Verklärung sollte die Jünger gegen all die Prüfungen und Versuchungen, die nun an sie heran traten, im voraus stärken; darum redeten auch Moses und Elias mit Jesus über sein bevorstehendes Leiden und Sterben. – Nach dem hl. Thomas erschien Elias in seinem wirklichen Leibe und Moses wohl in ähnlicher Weise, wie auch die Engel erscheinen, in irgend einem angenommenen Körper. (S. th. 3, q. 45, a. 3 ad 2; vgl. S. th. 1, q. 51, a. 2 et 3; Gutberlet, Das Buch Tobias 164ff)
(4) Daß nämlich die, welche er in solcher Herrlichkeit sah, dieser Hütten nicht bedürften. Er war eben von der Erscheinung ganz überwältigt.
(5) Die lichte Wolke war ein aus dem Alten Bunde bekanntes Zeichen der Gegenwart Gottes, wozu hier noch die Stimme des Vaters kommt, die wie am Anfang des öffentlichen Auftretens Jesu bei der Taufe und nachher unmittelbar vor seinem Leiden (Joh. 12,28) ihn auch ausdrücklich und feierlich als seinen wahren und eingebornen Sohn erklärte. Welch tiefen Eindruck dieses Ereignis in den Herzen der Apostel zurückließ, sehen wir aus dem gegen 35 Jahre später angesichts der neronischen Verfolgung geschriebenen zweiten Brief des hl. Petrus (1,16ff): „Nicht folgten wir gelehrten Fabeln, als wir euch mit der Kraft und Gegenwart unseres Herrn Jesu Christi bekannt machten, sondern wir waren Augenzeugen seiner Herrlichkeit. Denn er empfing von Gott dem Vater Ehre und Herrlichkeit, als aus hoch herrlichem Glanze die Stimme über ihn erscholl: dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe; ihn sollt ihr hören! Diese Stimme, die vom Himmel erscholl, haben wir gehört, da wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren.“
(6) Die drei Jünger, die Zeugen der Verklärung waren, sollten persönlich gestärkt werden für die Erfahrungen, die gerade sie beim Leiden des Hern am Ölberg erleben sollten.
(7) Die Erscheinung des Elias hatte sie an die alte Weissagung von dessen Wiederkunft vor der Ankunft des Messias erinnert, und nun wunderten sie sich, daß diese Weissagung noch nicht erfüllt und der Messias doch schon erschienen sei. Sie unterschieden nicht zwischen der ersten Ankunft Christi, der ein Prophet im Geiste und der Kraft des Elias, und der zweiten, der Elias selbst vorher gehen sollte.
(8) Er ist so nicht bloß der Vorläufer meiner Predigt, sondern auch meines Leidens.
(9) In Psalm. 88, 13.
(10) Catech. 12,10.
(11) S. Hier., Epist. 46, al. 44,12.
(12) Epist. 108, al. 86; Epitaph. Paulae n. 13.
(13) Erdkunde XVI 395. –
aus: Schuster u. Holzammer, Handbuch zur Biblischen Geschichte, Zweiter Band, Das Neue Testament, 1910, S. 296 – S. 300
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