Die Bekehrung des heiligen Paulus durch Gnade
Die Herrlichkeit der Gnade bei der Bekehrung
Die Bekehrung des heiligen Paulus fällt in das Jahr 34 (andere meinen später) nach Christi Geburt, in das Jahr nach der Himmelfahrt des Herrn und in die Zeit der ersten allgemeinen Christenverfolgung durch das Judentum in Palästina.
Wie die Wiege des jungen Jahres von rauhen Stürmen umtost wird, so auch die Anfänge des Christentums. Kaum begann es nach der Herabkunft des Heiligen Geistes sich auszubreiten und gegenüber der Synagoge mächtig zu werden, da folgte auch der Rückschlag der Verfolgung, zuerst gegen einzelne Apostel, dann gegen alle Gläubigen Christi. Ihr vornehmstes blutiges Opfer war der hl. Stephanus und dessen glänzende Entschädigung die Bekehrung des hl. Paulus.
Der Ort der Bekehrung des hl. Paulus war nicht Jerusalem, sondern hoch oben im Nordosten des Heiligen Landes Damaskus, die Hauptstadt von Syrien, an den Ausläufern des Antilibanon und dem Saum der Syrischen Wüste, im Flussgelände des Barada und einem herrlichen Kranz von grünenden Gärten gelegen, das von den Morgenländern die Perle des Morgenlandes, das Halsband der Schönheit, das Gefilde der Paradieses-Pfauen, das Muttermal auf der Wange der Welt genannt wird.
Bei und in Damaskus spielte sich das Welt bewegende Ereignis der Bekehrung des hl. Paulus ab. Drei Orte erinnern noch jetzt daran. Vor der Stadt auf dem gegenwärtigen christlichen Friedhof, wo die alte Straße nach Jerusalem ging, soll die Stelle sein, an welcher der Heiland Paulus erschienen ist; sodann zeigt man das Haus in der „geraden Straße“ (Apg. 9, 11), die Wohnung des Juden Judas, wo Saulus einkehrte, und endlich die Wohnung des Ananias, der Saulus taufte. Der letzte Ort ist der beglaubigste von allen.
Die Herrlichkeit der Gnade in der Bekehrung
Der erste Zug der Herrlichkeit der Gnade bei der Bekehrung des hl. Paulus ist die vollständige Unentgeltlichkeit und Unverdientheit dieser Gnade.
Niemand kann die zuvorkommende Gnade der Bekehrung verdienen oder sich durch gute Werke eigentlich auf sie vorbereiten. Der hl. Paulus nun brachte nicht bloß keine guten Werke zur Bekehrung mit, sondern viele Missverdienste. Er selbst sagt von sich, daß er gotteslästerlich, gewalttätig gewesen sei (1. Tim. 1, 13), daß er mehr als viele Altersgenossen für die Überlieferungen der Väter geeifert (Gal. 1, 14), daß er über die Maßen die Kirche verfolgt habe (Gal. 1, 13), so daß er nicht würdig sei, ein Apostel zu heißen (1. Kor. 15, 9), er, der erste der Sünder (1. Tim. 1, 15). In der Tat war er in der eben genannten Christenverfolgung eine der rührigsten und eifrigsten treibenden Kräfte. Jung von Tarsus nach Jerusalem gekommen und von Pharisäer-Geist glühend, hatte er dem Todesurteil über Stephanus beigestimmt und hatte bei der Vollziehung die Kleider der Steiniger gehütet (Apg. 7, 58); damit nicht zufrieden, drang er in die Häuser der Christen ein, schleppte Männer und Weiber in das Gefängnis und ließ sie geißeln (Apg. 8, 3; 22, 4 u. 19; 26, 10f.); ja nach der Verwüstung der Gemeinde von Jerusalem stürmte er, Wut und Verderben schnaubend, selbst in die Diaspora nach Damaskus mit Haftbefehlen von Seiten des Synedriums, um alle Christen in die Gefängnisse von Jerusalem überzuführen (Apg. 9, 1f.). Die Synagogen in der Diaspora nämlich erkannten die Gerichtsbarkeit des Synedriums in Jerusalem an. Ananias, der Saulus taufen sollte, erschrak bei dem Befehl, den er von Gott erhielt, sich zu Saulus zu begeben, und sagte: „Von vielen habe ich gehört, wieviel Übles dieser Mann deinen Heiligen in Jerusalem zugefügt hat, und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle gefangen zu nehmen, die deinen Namen anrufen“ (Apg. 9, 13f.)
Das war aber das Ende der Wege, auf denen der junge Saulus in blinder Wut einher stürmte, Wege der Verblendung, der Sünde, der Todfeindschaft gegen das Christentum. Er wollte sie vollenden und krönen durch die fluchwürdige Tat der blutigen Vertilgung einer hoffnungsvollen Christengemeinde. Gerade da aber erwartete ihn der Engel der Gnade und der göttlichen Erbarmung; er berührte mit mächtigen Strahl sein herz, als er mit grimmigem Blick und mit grausiger Hand ausfuhr, die schuldlosen Opfer seines Hasses zu fassen. So streckt die Wüste, die Stätte der Öde und die Behausung unheimlicher Sandstürme, ihre fahle Hand hinein in die grünende Umrahmung des Stadtbildes von Damaskus, macht aber plötzlich, wie empfindlich berührt von den „eisernen Dornen“ der Rose von Damaskus, Halt und verwandelt sich in ein Paradieses-Gefilde.
Der zweite Zug der Herrlichkeit der Gnade in der Bekehrung des hl. Paulus liegt in der siegreichen Macht, mit der sie das Werk an dem Heiligen vollführte. Vor allem plötzlich und in einem Augenblick. Die Umwandlung war nicht das Ergebnis längeren Nachdenkens, Abwägens und der Überwindung zäher Zweifel. Wie ein Donner fällt ihn die Stimme an, und wie ein Blitz trifft ihn der Anblick Jesu und schmilzt wie Wachs sein hartes, stolzes Herz, blendet ihn äußerlich, erleuchtet ihn im Innern, wirft ihn hin und erhebt ihn, wandelt ihn aus einem Wolf in einen Hirten, aus einem Feind und Verfolger in einen begeisterten Jünger und Apostel. Alles war das Werk eines Augenblicks (Apg. 9, 3f.) So fährt oft in den Tagen des Winters und des Vorfrühlings mit scharfem Strahl die Sonne zwischen die Wetterwolken, die grimmig aneinander geraten, scheidet sie gebieterisch und sendet auf die Erde, die in Finsternis und Graus gebettet war, einen Frühlings-Strahl von Licht und Wonne. –
Dann bekehrte die Gnade den Saulus ganz und vollständig, von Grund seines Herzens und Wesens. Das ist bündig und kernig ausgedrückt in den Worten des hl. Paulus: „Herr, was willst du, daß ich tun soll?“ (Apg. 9, 6) Es ist darin die unbedingteste, ehrfurchtsvollste und großmütigste Unterwürfigkeit, Bereitwilligkeit und Hingabe für jede Willensäußerung des Herrn ausgesprochen. –
Die Gnade bekehrte den hl. Paulus endlich für immer. Fürderhin gab es keine Unterbrechung, keinen Rückschritt, keinen Aufenthalt, kein zaghaftes Versuchen und Zaudern. Unaufhaltsam, ganz und sicher, trotz aller Schwierigkeiten, Mühen und Leiden verfolgte er, nach dem Besten und Höchsten strebend, seinen Beruf, so daß er selbst sagen konnte: „Den guten Kampf habe ich gekämpft, die Laufbahn vollendet, den Glauben bewahrt“ (2. Tim. 4, 7; „Sicher bin ich, daß weder Tod noch Leben…, weder Gewalten… noch irgend eine andere Kreatur uns wird trennen können von der Liebe Gottes, die da ist in Jesus Christus, unserem Herrn“ (Röm. 8, 38f.). Die Gnade blieb Paulus treu und Paulus der Gnade, und so vollendeten sie gemeinsam das glorreiche Werk. Es war eine große und wunderbare Gnade, die dem hl. Paulus in seiner Bekehrung zu teil wurde. Unter allen Gnaden gibt es keine herrlichere als die Gnade zum Apostelberuf. Der hl. Paulus teilt sie mit den andern Aposteln. Aber bei keiner Apostel-Berufung offenbart die Gnade so ihre ganze Fülle und Herrlichkeit, ihre huldvolle Zuvorkommenheit, ihre wunderbare Gewalt, ihre göttliche Macht und Nachhaltigkeit wie bei der Berufung des hl. Paulus.
Was war nun aber die Ursache dieser großen und herrlichen Gnade? Die erste und eigentliche Ursache ist nichts anderes als das Erbarmen des dreieinigen Gottes, des Vaters der Barmherzigkeit und alles Trostes, der stets die Seelen seinem Sohn zugesellt; des Heiligen Geistes, dessen Begnadigung alle Herzen offen stehen und dem tatsächlich nichts widersteht; des Sohnes, des göttliche Heilandes, der durch sein Erscheinen und seine Ansprache sich selbst zum Werkzeug und Vermittler der Gnade machte. Jesus wollte in dieser Bekehrung den ganzen Reichtum seiner Erbarmungen offenbaren, er wollte seine Kirche in der schweren Zeit der Verfolgung aufrichten und trösten, er wollte in Saulus, seinem Todfeind, einen unverfänglichen und unwiderlegbaren Zeugen seiner Auferstehung und göttlichen Macht dem Judentum und der Heidenwelt aufstellen. –
Eine zweite, entfernte Ursache war, wie der hl. Augustin in mehreren seiner Reden bemerkt, das Gebet des hl. Stephanus, der im Augenblick des Todes für seine Feinde Gott um Erbarmen anflehte. Die Bekehrung des hl. Paulus war die glorreiche Erstlingsfrucht des christlichen Martyriums und der erste Beweis, daß aus dem Blut der Märtyrer die Saat des Christentums sprießt. –
Wenn endlich in Saulus selbst von irgend einer Ursächlichkeit, von irgend einem Entgegenkommen oder einer Bereitschaft für die Gnade die Rede sein kann, so ist es ohne Zweifel die Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Entschiedenheit seiner Charakteranlage. Er selbst sagt, seine Feindschaft gegen das Christentum sei aus Unwissenheit hervor gegangen (1. Tim. 1,1 3); er habe gemeint, gegen den Namen Jesu so handeln zu müssen, Gott einen Dienst damit zu erweisen (Apg. 26, 9; Joh. 16, 2); durch die göttliche Erscheinung aber anders belehrt, habe er nicht widerstanden (Apg. 26, 19). So wie er ein entschiedener, ganzer Feind und Verfolger der Christen gewesen war, wurde er nun ein entschiedener, ganzer Verteidiger und Vorkämpfer der Kirche Christi. Es war nichts Geteiltes in ihm, nie und nimmer war Paulus ein Halbmensch, über alles haßte er die Unwahrheit und Gleichgültigkeit in der Sache, die er zur seinen machte. Das war eine treffliche Bereitung für das, was die Gnade aus ihm schaffen wollte. Es brauchte nur der gnadenreichen Wendung auf das entgegen gesetzte Ziel und Saulus war Paulus. Es ist verhältnismäßig leichter, aus einem ehrlichen Feind einen Freund zu machen, als aus einem lauen und unentschiedenen Christen einen Eiferer. Allein auch das ist der Gnade nicht unmöglich. –
aus: Moritz Meschler SJ, Aus dem katholischen Kirchenjahr, Erster Band, 1919, S. 127 – S. 132