Die Briefe des heiligen Paulus an Timotheus
Timotheus war der Sohn eines heidnischen Vaters und einer jüdischen Mutter, die sich zum Christentum bekehrt hatte, aus Lycaonien, einer Provinz in Kleinasien, gebürtig. Von seiner Mutter Eunice und Großmutter Lois (2.Tim. 1,5) erhielt er eine fromme Erziehung, und war schon Christ, als Paulus auf seiner zweiten großen Bekehrungsreise nach Lystra kam, und ihn da fand (Apostelg. 16,1ff) Da ihm die dortigen Christen ein gutes Zeugnis gaben, beschloß Paulus, ihn zu seinem apostolischen Begleiter zu machen, und gab ihm zugleich auf Antrieb des heiligen Geistes die geistliche Weihe zum Priester und Bischof (1. Tim. 4,14; 2. Tim. 1,6). Von nun an war Timotheus der beständige Begleiter des Apostels, und wenn er sich auch zu Zeiten von ihm trennte, geschah es nur, um Aufträge des Apostels an die gestifteten Gemeinden zu vollziehen, über ihren Zustand Erkundigungen einzuholen, sie in ihren Bedrängnissen zu trösten und im Glauben zu stärken (1. Thess. 3,1-5); Apostelg. 19,22; 1. Kor. 4,17).
Der erste Brief an Timotheus
Als Paulus das erste Mal gefangen in Rom saß, und die Briefe an die Philipper, Kolosser und an Philemon schrieb, finden wir ihn in der Umgebung desselben (Phil. 1,1; Kol. 1,1; Philem. 1). Einige Zeit vor der Befreiung des Apostels scheint er selbst in Rom gefangen gesetzt worden zu sein; denn im Brief an die Hebräer, den Paulus wahrscheinlich zu dieser Zeit schrieb, meldet der Apostel (13,23), daß Timotheus frei gelassen sei und kommen werde, sie mit ihm zu besuchen. Ob Paulus wirklich nach seiner Entlassung aus der ersten römischen Gefangenschaft die Hebräer, d.i. die Christen des jüdischen Landes mit Timotheus besucht habe, oder ob er nur sein früheres Vorhaben, wieder nach Mecedonien (Phil. 1.25-26; 2,24) und Kleinasien (Philem. 22) zu kommen, ausgeführt habe, ist nicht bekannt; dahin aber vereinigen sich fast alle ältere und neuere Schriftforscher, daß er zu dieser Zeit mit Timotheus in Ephesus war, und diesen Gehilfen dort, um Unordnungen abzuhelfen, zurück ließ, während er sich selbst nach Macedonien wandte (1.Tim. 1,3ff.). Von diesem Land, vielleicht von der Stadt Philippi aus, scheint Paulus seinen ersten Brief an Timotheus nach Ephesus geschrieben zu haben, um dem geliebten Mitarbeiter jene weisen Vorschriften zur Führung seines Oberhirten-Amtes zu geben, wie wir sie in diesem Brief lesen. Der Brief ist eine unerschöpfliche Quelle der Belehrung, der Ermahnung und des Trostes für Alle, denen das erhabenste aller Ämter, das geistliche Hirtenamt, anvertraut ist. Da die beiden folgenden Briefe ähnlichen Inhalts sind, hat man seit den ältesten Zeiten die drei Schreiben (*) unter dem Namen Pastoral- oder Hirtenbriefe zusammengefaßt.
(*) Anm.: gemeint sind die zwei Briefe an Timotheus und ein Brief an Titus
Der zweite Brief an Timotheus
Als Paulus sich das erste Mal gefangen in Rom befand (Apostelg. 28,30-31), war seine Lage nicht besonders drückend. Er leidet zwar (Kol. 1,24; Phil. 2,27), aber er kann ungehindert das Evangelium verkündigen und beruhigende Nachrichten von sich geben (Ephes. 6,19-20; Kol. 4,8). Er fürchtet nicht verurteilt zu werden, sondern hofft vielmehr in Bälde (Phil. 2,24) den Gläubigen wieder geschenkt zu werden, und bestellt sich, seine Befreiung sicher erwartend, schon eine Herberge in Kolossa (Philem. 22). Als der Apostel den vorliegenden Brief schrieb, befand er sich ebenfalls in einer Gefangenschaft zu Rom (2.Tim. 1,8 u.16 u. 17; 2,9); aber seine Lage ist eine ganz andere, als in der ersten Gefangenschaft. Er leidet um des Evangeliums willen wie ein Verbrecher (2,9); seine Reden finden vielen Widerstand (4,14); er war schon in der augenscheinlichsten Lebensgefahr (4,17) und hat sich von Allen verlassen gesehen (4,16); er ist von der Nähe eines gewaltsamen Todes überzeugt (4,6), und findet nur Trost in dem Gedanken ewiger Belohnung (4,6-8,18; 1,12). Daraus haben ältere und neuere Schriftforscher mit Grund geschlossen, daß der zweite Brief des heiligen Paulus an Timotheus nicht in der ersten, sondern der zweiten Gefangenschaft desselben zu Rom kurz vor seinem Tode im Jahre 66 oder 67 nach Christus verfaßt worden sei. Der Apostel ladet darin den Timotheus zu sich nach Rom ein (4,8) und setzt seine Ermahnungen und Lehren über das christliche Hirtenamt fort. Heitere Ruhe im Angesicht des Todes, zärtliche Fürsorge für seinen geliebten Timotheus, Bekümmernisse um das Christentum und zugleich triumphierendes vertrauen auf den Sieg desselben sprechen sich deutlich in diesem Schreiben aus. –
aus: Joseph Franz Allioli, Die Heilige Schrift des alten und neuen Testamentes, 6. Band, 1838, S.277 – S. 278; S. 295