Indifferentismus gegenüber der Wahrheit
Glauben wir wirklich alle an einen Gott ?
Fünfte Konferenz
Wir kommen nun, meine Herrn, zu dem inhaltlosesten und zu dem interessantesten der Schlagwörter, die wir zu betrachten haben; zu dem Schlagwort, das in allen Melodien abgesungen wird, nämlich:
Behauptung: Wir glauben Alle an einen Gott
Indessen prüfen wir dieses berühmte, oder besser, berüchtigte Schlagwert noch etwas näher: „Wir glauben alle an einen Gott“ Ist das wahr?
In dieser Allgemeinheit, wie es da steht, nein! Meine Herren, der Ausdruck: wir glauben an etwas, ist ursprünglich und eigentlich nicht gleichbedeutend mit dem Ausdruck: wir glauben etwas. Ich glaube an Gott, sagt mir viel mehr, als: ich glaube einen Gott, oder: ich glaube einem Gott. Ich glaube an einen Gott, drückt nach dem ersten Verständnis derer, die dieses Wort zuerst gesprochen haben, und am Ende doch am besten wußten, was sie damit andeuten wollten, eine Verbindung mit Gott durch den Glauben aus. Und weil sich das Tote nie mit dem Lebendigen zur Einheit verbinden kann, so ist damit der lebendige Glaube, d. h. nicht nur ein sinniger Glaube, sondern ein solcher bezeichnet, der den Menschen bewegt und drängt, immer inniger und inniger durch ein entsprechendes Leben in Heiligkeit mit Gott sich zu vereinigen. Kann man nun sagen, daß wir Alle an einen Gott glauben? In diesem Sinne einmal nicht. Gebe es der Allmächtige, daß es von uns gesagt werden könnte, und wir alle durch einen solchen Glauben auf das unauflöslichste mit der höchsten und ewigen Wahrheit in Allem unzertrennbar verbunden würden, mit ihm und in ihm selig würden! Aber nehmen wir das Wort in der gewöhnlichsten Bedeutung. Wir glauben alle einen Gott. Was soll dieses Wort ein heißen? Manchmal sagen dieses Wort auch solche, die sich bei einer anderen Gelegenheit rühmen, Atheisten zu sein. Nun zur Ehre des menschlichen Herzens glaube ich nicht, daß es constante Atheisten gibt. Es kommen manchmal Fälle in dem Leben vor: Leid, Verlust von Kindern, von Freunden, des Vermögens, wo derjenige, der das Dasein Gottes geleugnet hatte, niederkniet, um zu beten. Und namentlich ist es Tatsache, daß mit wenigen Ausnahmen, wenigstens im letzten Augenblick auch der Verhärtetste und Ungläubigste sehnsuchtsvoll zu dem Wesen hinauf blickt, das er geleugnet hatte. Aber Manche tuen so, als wären sie Atheisten, und setzen eine Art Ruhm darein, und auch diese sprechen: „Wir glauben alle an einen Gott“. Merkwürdig. Doch wie dem auch sei, was soll denn dieses eigentlich heißen? Nur zweierlei Bedeutung kann es haben. Entweder heißt es so viel als: „Wir glauben alle an einen und denselben Gott“, oder so viel, als: „Wir glauben alle an einen einzigen Gott“. Einen dritten Sinn wüßte ich wenigstens nicht zu finden.
Ist diese Aussage wahr?
Nun wir sahen schon vor zwei Jahren, wie falsch der erste Sinn sei. Es wird nützlich sein der Vollständigkeit wegen, es hiernach einmal zu berühren. Allerdings, der Gott, an den wir glauben, ist immer der Eine, einer und derselbe. Aber der Gott, wie ich ihn in meinem Glauben auffasse, kann sehr verschieden sein von dem Gott, wie ihn ein Anderer in seinem Glauben auffaßt. Wenn ich also sage: Wir glauben alle an einen und denselben Gott, so behaupte ich, daß alle Menschen sich dieselbe Vorstellung von dem Einen Gott machen, und dieselbe Überzeugung von dem Einen höchsten Wesen haben, d. h. denselben Glauben von dem unendlichen Herrn bekennen. Ist das wahr? „Nein, meine Herren. Ich rede hier eigentlich gar nicht von den Pantheisten. Diese schämen sich zwar als Atheisten zu gelten und wehren sich gewaltig gegen den Einwurf, den man ihnen macht, als ob sie Gottesleugner seien, im Gegenteil, sie meinen, sie haben die reinste Vorstellung von der Gottheit. Gleichwohl frage ich, ist der Gott, an den die Pantheisten glauben, der Gott der Christen? Sicherlich nicht. Er ist nicht einmal etwas Persönliches, nicht etwas Vollendetes, er ist nicht etwas Überweltliches, sondern in der Welt, mit der Welt, durch die Welt, er ist die Welt.
Ist das der Begriff, den wir von Gott haben? Also die Pantheisten glauben nicht an denselben Gott wie wir. — Glauben vielleicht die Mohammedaner an denselben Gott? Der Mohammedaner stellt sich von dem Gott, an den er glaubt, vor, daß er die Welt fatalistisch regiere, und dem Menschen von Ewigkeit her sein Los schon so vorgezeichnet habe, daß derselbe diesem nicht entgehen könne. Leider hat diese Lehre auch ein Bekenntnis, das sich christlich nennt, adoptiert. Mohammed lehrt von diesem Gott, daß er seinen treuen, tapferen Kriegern für Mohammed`s Lehre ein Paradies geben würde, das hier auf Erden schon polizeiwidrig wäre. Ist das nun derselbe Gott, an den wir Christen glauben? Sicherlich nicht. Also ist wiederum der Satz nicht wahr, daß wir alle an denselben Gott glauben.
Gehen wir noch weiter. Die Juden – wenn ich sage das Wort Juden, vereinige ich niemals damit einen verächtlichen Begriff, nein, sondern das ist der Name, der ihnen gebührt – die Juden glauben auch an einen Gott. Man sollte meinen, daß die Vorstellungen, die sie haben, dieselben sind, wie wir sie von unserem höchsten Herrn und Wesen in uns tragen. Und doch, ist dem nicht also: Wir glauben bekanntlich an einen dreieinigen Gott, wir glauben, um einen Ausspruch des großen Athanasius hier anzuwenden, daß die göttliche Natur selbst nicht öde, sondern fruchtbar und ein Licht ist, das da leuchtet, und eine Quelle, die da lebendig strömt; wir glauben, daß in Gott trotz der Einheit des Wesens eine Entfaltung den Personen nach vorhanden ist, oder mit anderen Worten: wir glauben an eine Dreifaltigkeit, d. i. an einen Vater, Sohn und heiligen Geist, Einen Gott. Daran glauben die Juden nicht. Glauben wir also an denselben Gott? Nein. –
Sogar unter den Christen sind manche Fraktionen der Ansicht, daß dieser Gott den Menschen nicht frei geschaffen habe, daß der Mensch aus des Schöpfers Hand wie eine Art Maschine hervorgegangen sei, auf der, um das Kraftwort des Urhebers dieser Lehre zu gebrauchen, bald Gott reitet, und bald wieder der böse Geist. Ist das derselbe Gott, an den wir glauben? Nein. –
Sie sehen mithin, meine Herren, daß dieser Grundsatz: „Wir glauben alle an einen Gott“ in diesem Sinn falsch ist, als glaubten wir alle an denselben Gott.
Der Glaube an einen Gott genügt nicht!
Was sollen wir denn dazu sagen, wenn man dieses Schlagwort in der Bedeutung nimmt: „Wir glauben alle an einen einzigen Gott“. Gesetzt dies wäre vollkommen richtig und wahr, so würde dieser Glaube doch nimmer genügen. Wenn auch wirklich alle Menschen diesen einen einzigen Gott auf gleiche Weise anerkennen, anbeten und verherrlichen würden, so würde dieses Eine Bekenntnis für die wahre Religion wohl unerläßlich, aber nicht vollständig genug sein. Was notwendig ist, das ist noch immer nicht genügend. Außer diesem Einen Satz lehrt, wie wir bereits erwogen, das Christentum noch viele andere. Die Apostel, die sich die Mühe gegeben haben, uns 12 Artikel zu schreiben; sie hätten zu diesen Indifferentisten in die Schule gehen sollen, sie hätten dann die Sache viel einfacher gehabt. Arme Apostel! wozu habt ihr so viel gepredigt? wozu euer Leben hingegeben? es hätte ja genügt, der Welt zu sagen: Es gibt einen einzigen Gott, was sie freilich schon früher wußte.
Nein, meine Herrn! Dieser Glaube an Einen Gott allein genügt nicht. Wir sagten, daß der Glaube an einen Gott zugleich eine völlige Unterwerfung des Geistes und Herzens unter diesen Einen Gott ausdrückt. Wenn also, wie wir sehen, dieser Eine Gott sich in dem Christentum geoffenbart hat, so verlangt eben der wirkliche Glaube an ihn, daß man diese Stimme Gottes, wie sie tönt, ganz annehme. Es fordert, daß wir alles glauben, was Gott im Christentum wirklich mitgeteilt hat; daß uns jedes Wort, welches aus dem Munde des Höchsten hervorgegangen ist, als verbindende Wahrheit, als Leuchte, als, unser Brot erscheine und vorkomme; daß auch nicht das kleinste Teilchen der Reden des ewigen Lehrers von uns verachtet oder verworfen werde, und wir folglich nicht etwa eine Wahrheit annehmen, eine andere aber nicht, sondern, daß wir willig alle Wahrheit annehmen, wie sie die unendliche Wahrheit ausgesprochen hat. Ist das nun der Fall? Nein. Bei den allermeisten, die dieses Schlagwort gebrauchen, durchaus nicht, also ist dieses Schlagwert eine bloße Redensart, um nicht zu sagen: eine Lüge.
Was bedeutet „Glauben“?
Meine Herrn! Analysieren wir, um dieses noch mehr einzusehen, einen kleinen Augenblick den Begriff des Glaubens selbst. Glaube im Allgemeinen heißt die Anerkennung einer Wahrheit auf das Wort, und das Ansehen eines Anderen hin. Der Glaube also gibt uns die Erkenntnis einer Sache nicht aus innerer Evidenz der Sache, denn dann glaube ich sie nicht mehr, dann weiß ich sie, – sondern auf das Zeugnis eines Anderen hin, das mir vollgültig erscheint. Die historischen Wahrheiten alle beruhen auf Glauben. Ich war nicht dabei, und habe es nicht gesehen, als Catilina sich in Rom verschwor, oder als Julius Cäsar in der Curie des Pompejus ermordet wurde; dennoch glaube ich es. Warum? Weil eine solche Wolke von Zeugen vor mir steht, daß sich meine eigene Vernunft verleugnen müßte, wenn ich deren Bürgschaft nicht annähme. Es ist also nicht die innere Evidenz der Sache, nicht ein innerer Grund der Wahrheit, sondern, das äußere Zeugnis, auf dem Jemandes Glaube beruht. Die Vernunft hat dabei allerdings die Befugnis, die Zeugen gewissermaßen zu verhören und zu prüfen; sie hat, wenn anders ihre Beipflichtung ihrer würdig sein soll, ein volles Recht, und die Pflicht zu sehen, ob diese Gewährsmänner auch Glauben verdienen, und ob ihr Wort so gewichtig ist, daß man sich der Zustimmung nicht entziehen kann, ohne sich der Wahrheit zu entziehen. Das allerdings. Aber, insofern sie glaubt, hat die Vernunft nicht in die Sache selbst erst einzudringen, und die inneren Gründe derselben zu durchforschen; sonst unterwirft sie dasjenige, was ihr als Glaube, vorgestellt wird, ihrem Urteil, und setzt ihr Urteil über denjenigen, der diese Wahrheit ihr mitgeteilt hat. Wenden wir das Gesagte auf Gott und den Glauben an seine Offenbarung an; setzen wir den Fall, der Ewige habe diesen oder jenen Satz ausgesprochen; ich habe ein Recht ja, wenn man will, bisweilen sogar eine Art Pflicht zu sehen, ob es wirklich Gott ist, der also gesprochen hat, ob die Zeugen derartig sind, daß sie mir die Wahrheit nicht nur verkündigen können und verkündigen wollen, sondern auch wirklich verkündigen. Das kann ich. Aber sobald ich eindringe in die Sache selbst, mich hinein vertiefe, um sie dann erst nach meinem Befund anzuerkennen oder anzufechten, so leugne ich die Autorität des offenbarenden Gottes, und stelle meine Vernunft über dieselbe; ich richte eine Lehrkanzel und einen Richterstuhl aus, vor dem das Zeugnis Gottes sich verantworten soll. Ist das noch Glaube? Nein. Diese Wahrheit ist von unendlicher Richtigkeit, namentlich in Bezug auf die Geheimnisse.
Hat Gott uns Geheimnisse geoffenbart?
Wir sahen bereits, daß Geheimnisse an und für sich möglich sind. Meine Herren! Was ist denn, möchte ich beinahe sagen, für uns ohne alles Geheimnis? Wie weit sieht denn die menschliche Vernunft, wie sie einmal jetzt im Konkreten sich zeigt? Wer erklärt uns denn das Geheimnis der Verbindung der Seele mit dem Leib? Man hat mancherlei, mitunter recht wunderliche Hypothesen darüber gemacht, aber vollständig, und in ihren letzten Tiefen erklärt ist sie noch lange nicht. Wer enträtselt uns denn das Geheimnis des Gedankens selbst, und wie der Gedanke entsteht? Wir wissen es nicht. Wer das Geheimnis des Lebens? Wir definieren das Leben, ja aber das innerste Wesen und den letzten Grund desselben schauen wir nicht; das hat sich der liebe Gott vorbehalten.
Also schon in den natürlichen Dingen gibt es ja Geheimnisse. Wie ich mich erinnere, machte ich die Herren vor zwei Jahren aufmerksam, daß selbst in der Mathematik Geheimnisse sind. Ich will gar nicht von den ersten Begriffen dieser Wissenschaft anfangen, die selbst noch ziemlich viel Licht bedürfen. Die Mathematik lehrt mit Evidenz, daß es eine Linie geben kann, die sich der anderen immer mehr nähert, und die sie dennoch niemals berühren wird. Ist das kein Geheimnis? Geheimnisse hat vor Allem der Unglaube. Meine Herren! wenn ich sagen würde: Diese Spiegelkapelle ist aus Zufall entstanden, und der Wind hat die Steine von den Bergen um Prag herum hergeführt, und die Moldau war so gütig, gleich den Mörtel anzufeuchten, und der Wind hat dann die Steine auf einander getürmt und hat sie so geformt, und das Glas ist so hinan geflogen; so würde jeder sagen: Das ist ja absurd. Ich gebrauche bescheidener Weise bloß das Wort: Geheimnis; denn so erklärt der Unglaube die Entstehung der Welt. Um wie viel mehr also muß der vernünftige Denker zugeben, daß es Geheimnisse geben kann, welche die Natur Gottes und die Werke seiner Liebe umhüllen. Wenn Gottes Wesen in sich so groß wäre, wie mein begreifender Verstand, so wäre er wahrlich recht klein; denn dasjenige, was meine Natur überragt, kann ich eben nur nach Analogie meiner beschränkten Seinsweise auffassen.
Sobald sich daher Gott darin gefällt, uns seine Geheimnisse zu offenbaren, und aus seinem für uns undurchdringlichen Dunkel in etwas hervor zu treten, dann hat der Mensch die unendliche Majestät nur anzubeten, und den Unergründlichen gleichsam unergründlich zu lieben. Eine andere Aufgabe, als zu fragen: ob denn Gott wirklich diese Geheimnisse geoffenbart oder nicht, hat die Vernunft eigentlich nicht. Sie darf sich allerdings mit Demut in die Abgründe hinein wagen, aber nicht um die Geheimnisse je nach ihrem Spruch und Urteil anzunehmen oder zu verwerfen, sondern um, so viel ihr möglich ist, das Geheimnis zu verstehen und daran sich zu erquicken. Will die Vernunft mehr, so handelt sie gegen die Natur des Glaubens, der doch so tief in ihr begründet ist. Wir können, um noch klarer darüber zu reden, wenn uns Mysterien geoffenbart werden, verschiedene Analogien und Gleichnisse suchen, damit wir jene mehr einsehen; wir können forschen, ob sich dieses Geheimnis nicht auf irgend eine Weise anschaulicher machen läßt, und ob nicht in uns oder in anderen Wahrheiten irgend ein Anknüpfungspunkt vorhanden ist, von dem aus wir die Geheimnisse mehr, inniger, lebendiger aufzufassen vermögen. Das ist wahr.
Aber uns zu Richtern über die Geheimnisse machen wollen, hieße soviel als die menschliche Vernunft über die ewige Vernunft sehen, was absurd wäre. Warum habe ich dieses gesagt? Darum, meine Herren, weil daraus und aus der Natur des Glaubens folgt, daß Geheimnisse uns an sich keine Berechtigung geben, sie nicht zu glauben. Man nennt oft den Vernunftglauben denjenigen, der alle Geheimnisse weggefegt. Man bezeichnet den Rationalismus als eine Lehre, in der, wie man vorgibt, gar keine Geheimnisse mehr Platz finden – als ob nicht Gott selbst in seiner Ewigkeit und in seinem ganzen Sein ein unergründliches Geheimnis wäre. Wenn also auch alles, was das Christentum lehrt, Mysterium wäre, wir wären dennoch nicht befugt, auch nur einen Satz davon zu leugnen, wofern nur die Zeugnisse von der Art sind, daß wir sagen müssen: Gott habe wirklich solches geoffenbart.
Das ganze Christentum ist ein Geheimnis
Meine Herrn, ich deutete schon oben an, daß gerade die Geheimnisse uns die Majestät Gottes am herrlichsten verkündigen, daß dieses Dunkel unsere Sehnsucht nach Licht weckt, und daß diese Höhe uns um so tiefer in den Staub kehrt, wohin wir vor Gott dem Herrn gehören.
Gerade diese Geheimnisse machen das Leben des Christentums aus, das ganze Christentum selbst ist ein Geheimnis, aber ein Geheimnis nicht das verfinstert, sondern das erleuchtet, nicht das kalt macht, sondern das erwärmt; und ohne seine Mysterien hätten wir nicht jene Heiligkeit, und nicht alle diese Früchte, welche diese Lehre auf Erden hervorgebracht hat.
Wegen Kürze der Zeit übergehen wir hier den Punkt, daß die Pflicht, alles ohne Ausnahme zu glauben, was Gott geoffenbart hat, auch aus der Natur der Geheimnisse selbst folgt. Es wäre, meine Herren, freilich außerordentlich interessant zu zeigen, wie die Geheimnisse des Christentums in einander verkettet sind; obschon ich damit nicht behaupten möchte, daß eines aus dem anderen mit logischer Notwendigkeit sich ergibt. Gott mag es wissen, ich bescheide mich, meine Unwissenheit hierin zu bekennen; ich zweifle vielmehr daran, daß die Taten seiner Liebe in ein menschliches System gebracht werden können.
Das Geheimnis der Gottheit Christi und der Dreifaltigkeit
Auch ist mir wenigstens noch kein System bekannt, das alle Geheimnisse, von dem ersten bis zum letzten, aus einem einzigen Prinzip herleitet. Indessen das ist gewiß, daß sie mit einander innig zusammenhängen, daß ein Geheimnis das andere noch mehr erklärt und unterstützt; teilweise eines das andere gewissermaßen ausführt und vollendet. Wenn man daher eines leugnet, – so kommt man in die Gefahr, die anderen gar nicht zu verstehen, daher auch nicht glauben zu können, wie sie geoffenbart sind, und am Ende alle zu leugnen. Ich will ein kleines Beispiel geben. Es läßt sich das Christentum ohne die Lehre von der Gottheit Jesu Christi nicht begreifen; die Gottheit Jesu Christi aber ist unmöglich, wenn es keine Dreieinigkeit gibt; wenn nicht Gott Vater, Sohn und heiliger Geist Ein Gott ist, so ist unmöglich, daß der Sohn Mensch geworden ist. Wenn aber der Sohn nicht Mensch geworden ist, so ist seine ganze Lehre Täuschung, denn er hat gesagt: er sei Gottes Sohn; er hat sich darauf berufen, ist dafür gestorben. Sie sehen also, wie das Geheimnis der Menschwerdung wesentlich ist für das Christentum, und das Geheimnis der Menschwerdung gar nicht gedacht werden kann ohne das Geheimnis der Dreieinigkeit.
Das Geheimnis des allerheiligsten Altarsakramentes
Ein anderes Geheimnis im Christentum ist dasjenige, was allerdings für die, die es kennen, das trostvollste und höchste ist: Die Gegenwart Jesu Christi im allerheiligsten Sakrament. Es ist dieses ein Geheimnis, möchte ich sagen, noch mehr der göttlichen Liebe, als der göttlichen Allmacht. Nehmen wir nun dieses Geheimnis weg, oder ziehen wir es in Zweifel, so müssen wir behaupten, daß der größte Teil der Menschen und zwar vielleicht auch der edelste im Götzendienst befangen ist, daß das Werk der Erlösung an allen diesen gar nicht ausgeführt worden ist, und die unendliche Kraft, welche die Märtyrer in den Tod führte, und das Herz keusch und rein macht, auf einem groben Irrtum beruht. Ist solches denkbar?
Sie sehen also schon aus diesen zwei Beispielen, daß man nicht an einem Stein rütteln darf, ohne das gesamte Gebäude zu gefährden, daß man nicht irgend etwas los bröseln kann, ohne daß der ganze Tempel Gottes leicht zusammenbricht, und daß, wenn einer konsequent denkt,- (fast danke ich Gott, daß dieses nicht immer geschieht, sonst würde die Wahrheit aus Manchen längst ganz verschwunden sein) – er unmöglich ein Geheimnis, das Gott geoffenbart hat, leugnen könne, ohne zur Leugnung auch der übrigen versucht zu sein. Wenn eine Wahrheit dasselbe gültige Zeugnis wie eine andere hat, warum soll ich sie in Zweifel ziehen? Warum soll denn eine Stelle der heiligen Schrift, die gerade so klar ist, wie eine andere, nach meinen Begriffen gedreht werden müssen und diese andere nicht? Wenn z. B. Christus spricht: „Das ist mein Leib“, so ist das ebenso klar gesagt, als wenn Johannes lehrt: „Und Gott war das Wort“; ich sehe nicht ein, wie ich die eine nach meiner schwachen Einsicht umwandeln darf, und die andere in dem Sinne annehmen soll, wie sie alle Welt im Christentum annimmt. Also auch aus der Natur der geoffenbarten Lehren geht hervor, daß man alle glauben müsse, die geoffenbart sind. Meine Herren, ich muß es Ihnen überlassen, diesen Punkt näher zu erörtern. Sie werden ein wunderbares Licht hierin finden; Sie werden da einen Bau sehen, vor dem Sie in Freude und Entzücken niederfallen werden, so fest und herrlich sind die christlichen Geheimnisse zusammen gefügt Dieser Einklang ist etwas so Großes, daß er uns sagt: Ihn hat kein bloßer Mensch ersonnen; das sind Gottes Gedanken, die er der Erde mitgeteilt hat. –
Glauben ist eine moralische Handlung
Endlich aber folgt aus der Natur des offenbarenden Gottes selbst, daß wir alle Geheimnisse und alle Lehren, die er geoffenbart hat, ohne Ausnahme annehmen müssen, so zwar, daß, wenn wir auch nur eine leugnen, wir von der wahren Unterwerfung unter Gott, und folglich von der wahren Religion abfallen. Meine Herrn, vergessen wir nicht, daß die Religion nicht nur ein Rat ist, nicht nur etwas, wohin unsere Natur uns zieht, nicht bloß ein Gefühl der Billigkeit, sondern eine Pflicht und zwar eine Pflicht, begründet in unserem Verhältnisse zu dem, der uns das Dasein gegeben hat, die heiligste Pflicht, der Grund aller Pflichten, ohne die ich mir eigentlich gar keine Pflicht denken kann.
Vergessen wir dann zweitens nicht, daß zu dieser Religion, wie wir schon sagten, der Glaube notwendig ist, daß folglich auch der Glaube an dieser verpflichtenden Kraft der Religion selbst Teil hat, daß er mithin für den Menschen ein Gesetz Gottes ist, und daß Glauben eine moralische Handlung, wie Nichtglauben etwas Unmoralisches wird. Das sagt uns schon die bloße Vernunft (Wenn daher Gott irgend etwas offenbart, und wir glauben nicht, so verletzen wir eine Pflicht; so begehen wir eine Handlung, die von dem Gewissen und von dem Sittengesetz verworfen wird; so leugnen wir, sei es auch nur in Einem Falle, die Autorität des befehlenden Gottes, und wir verletzen die höchste Majestät des Schöpfers des Himmels und der Erde. Es ist dieses ein ähnlicher Grund, wie ihn der heil. Apostel Jakobus in Bezug auf das Sittengesetz anführt, wenn er sagt: „Wer in Einem fehlt, hat alle Gebote übertreten, weil er nämlich das Ansehen des gebietenden Herrn verletzt hat. Wie es daher nicht genügt z. B. Niemanden zu töten und Niemanden zu bestehlen, wenn man nicht auch keusch dabei ist; wie es nicht hinreicht, Niemanden zu verleumden, wenn man dabei den Sonntag entheiligt; wie man noch nicht gerechtfertigt ist, wenn man Vater und Mutter ehrt, aber mehrere Götter in seinem Herzen hegt und pflegt, oder den Namen Gottes lästert; genügt es auch nicht, nur einen oder den anderen, diesen oder jenen Offenbarungssatz anzunehmen, es müssen alle geglaubt werden, weil alle verpflichtend für uns sind.
Glaube ist ein Gesetz und Verpflichtung
Wer also nur einen einzigen Glaubensartikel, von dem er mit Bestimmtheit weiß und wissen kann, er sei geoffenbart, leugnen will, der beschränkt sogleich das absolute und höchste Recht Gottes über den ganzen Menschen. Er sagt dem Herrn: „Bis hierher folge ich Dir, weiter nicht“; er kündigt den Gehorsam dem höchsten Gesetzgeber auf, und schreibt diesem vor, was er ihm hätte offenbaren sollen und was nicht; das liegt auf der Hand.
Deswegen hat Christus der Herr nicht gelehrt: Wir glauben an einen Gott, sondern er hat seinen Jüngern gesagt: „Gehet hin, lehret alle Völker, und lehret sie Alles beobachten, was ich euch gesagt habe.“ Und wiederum: „Gehet hin und predigt das Evangelium jeglichem Geschöpf“, d. i. nicht diesen oder jenen Satz, sondern das Evangelium, die gute Botschaft aus der Höhe, und er fügt die Sanktion bei: „Wer glaubt und getauft wird, wird selig; wer nicht glaubt, wird verdammt werden.“ Diese Sanktion hätte keinen rechten Sinn, wenn nicht der Glaube nach Christi Wort ein Gesetz und eine Verpflichtung wäre.
Wir müssen alles glauben, was Gott geoffenbart hat
Wollen wir also, meine Herrn, wirklich Gott dem Herrn dienen, wollen wir wahrhaft Religion haben, so müssen wir alles glauben, was Gott geoffenbart hat. Nicht ein Pünktlein seiner Reden soll uns entgehen, nicht ein Strichlein sollen wir leugnen, sondern wo Gott gesprochen hat, da müssen wir uns beugen. Gott hat nichts Unnützes geoffenbart, und der Mensch lebt von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt; jedes ist der Ausdruck seiner Weisheit und seiner Liebe, seiner Erbarmung, seiner Freigebigkeit, seiner Heiligkeit; jedes Wort ist für uns Wahrheit, die den Verstand erleuchtet und sichert, und die das Herz erquickt und tröstet. Der Glaube ist der Stab, mit dem wir durch dieses ganze Leben sicher gehen; der Glaube der Grund aller unserer Hoffnung, und die Hinterlage alles dessen, wonach wir uns sehnen, und was wir erwarten. Es ist nur Ein Herr und nur Ein Glaube, geben wir dem Einen Herrn diese Ehre, geben wir ihm diesen Einen vollen Glauben, und bekennen wir ihn aus ganzer Seele. Amen. –
aus: Theodor Schmude SJ, Conferenzen über den religiösen Indifferentismus, 1863, S. 51 – S. 64