Indifferentismus gegenüber der Wahrheit
Wie kann man sagen: Alle Religionen sind gleich wahr?
Auszug aus der dritten Konferenz
Man gibt zu, daß eine Religion gut und nützlich, ja auch notwendig ist. Aber es ist, als täte es Manchen sogleich leid, daß sie das zugeben müssen; um also die Frage etwas zu verwirren, so stellen sie nicht selten den Satz auf:
»Alle Religionen sind gleich«
Man hat irgend einen Monarchen des vorigen Jahrhunderts deswegen sehr gelobt, weil er in seinen Staaten Jeden nach seiner façon selig werden ließ. Das kommt ungefähr auf dasselbe Schlagwort hinaus. Geschichtlich ist es freilich erwiesen, daß dieses Seligwerden lassen doch nicht ganz stattgefunden habe und daß in dem frivolen Monarchen, den Sie alle kennen, jener Ausspruch eben nur eine Redensart war, wie manches andere.
Die Frage lautet: Gleich oder Gleichgültig
„Alle Religionen sind gleich“ – Zuerst, meine Herren! konstatieren wir wiederum, daß dieser Satz sehr an Dunkelheit leidet, obschon er sehr klar zu sein scheint. Ich wenigstens verstehe nicht recht, was die vielfache Zahl bedeuten soll: Alle Religionen. Streng genommen ist die Religion das Verhältnis des Menschen zu Gott, die Abhängigkeit des Menschen von seinem Schöpfer. Nun wüßte ich wirklich nicht einmal grammatikalisch recht zu sagen, wie von Abhängigkeiten die Rede sein kann.
Religion ist die Erkenntnis und ist Liebe der ewigen Wahrheit und des höchsten Gutes. Nun kann ich wohl von Erkenntnissen reden, wenn die Objekte der Erkenntnis verschieden sind; aber wenn eines und dasselbe Objekt da ist, dann kann ich wohl graduell mehr oder weniger erkennen; aber ich habe doch nur eine Erkenntnis des Einen -: und die Liebe hat bekanntlich ohnedies keinen Plural. Wir finden also schon hier eine kleine grammatikalische Schwierigkeit.
Indessen man hat das Wort Religion wahrscheinlich in einem etwas anderen Sinn genommen, nämlich in der Art und Weise, wie man seine Abhängigkeit von Gott kund gibt, und das angeführte Schlagwort soll ungefähr so viel heißen, als: „Alle Arten und Weisen, wie man Gott erkennt und liebt und ihm dient, sind gleich“. So scheint es einen Sinn zu haben. Jetzt verstehe ich aber wiederum nicht, was das Wörtchen „gleich“ heißen soll. Sollen jene Arten Gott zu verehren unter sich gleich sein? oder bedeutet der Ausdruck „gleich“ so viel wie „gleichgültig“ und ist dann der Sinn: „Es ist, sei es in Bezug auf den Menschen oder sei es in Bezug auf Gott gleichgültig, auf welche Art man denselben verherrlicht?“ Der dreifache Sinn dieser Redensart ist jedenfalls unbestimmt gelassen. Nehmen wir den ersten. Alle Arten und Weisen, Gott zu dienen, sollen unter sich gleich sein, das heißt notwendig so viel, als gleich wahr oder gleich falsch; sonst wüßte ich nicht, was übrig bleibt.
Ist die wahre Religion für Gott gleichgültig?
Sagt man: sie sind alle gleich falsch, so hieße dieser Salz so viel als: Es gibt gar keine Religion; denn diejenige, die nicht wahr ist, die ist überhaupt nicht; und man hat dann vergessen hinter dem Gleichheitszeichen eine Null zu setzen und zu sagen: Alle Religionen sind gleich Zero. Will man aber sagen: alle Religionen sind gleich wahr, so ist das offenbar eine Lüge. Wahrheiten, die sich widersprechen, gibt es nicht; von zwei Sätzen, von denen der eine wahr ist, muss der Gegensatz notwendig falsch sein; ist Christus z. B. Gott, so ist er doch nicht bloßer Mensch; ist die christliche Offenbarung die einzige, dann ist der Mohammedanismus gewiß keine Offenbarung Gottes. Wie kann man also sagen: Alle Religionen sind gleich wahr? Die verschiedenen Bekenntnisse selbst protestieren dagegen. Ein jedes legt sich ausschließlich die Wahrheit bei; daher schaut der Reformjude mit Verachtung auf den Talmudisten und der Talmudist hält die Reform in dem Judentum für schlecht und unwahr; darum straft der Mohammedaner jeden, der Mohammed für einen falschen Propheten erklärt, mit dem Tode, weil er ihn für einen wahren hält.
Das Christentum sagt geradezu aus, es sei die einzige wahre Offenbarung und der Protestantismus wirft uns Katholiken ja vor, daß wir die echte Lehre gefälscht hätten. Also fürwahr jedes religiöse Bekenntnis nimmt wenigstens in der Allgemeinheit für sich ausschließlich die Wahrheit in Anspruch. Es ist mithin dieser Satz offenbar eine von jenen Absurditäten, mit denen man nur Menschen täuschen kann, die nicht gewohnt sind, Behauptungen zu prüfen: und in diesem Sinne, daß Religionen gleich wahr sind, kann das besprochene Schlagwort nicht gelten. Aber vielleicht sind alle Religionen insofern gleich, als sie in Bezug auf den Menschen oder in Bezug auf Gott gleichgültig sind? Ist dem wirklich so? Ich meine nicht; was zuförderst den lieben Gott angeht, so bedarf er allerdings unseres Kultes und unserer Verehrung nicht. Es wäre sehr traurig, wenn er des Menschen bedürfte, denn dann würde er wahrscheinlich etwas zu kurz kommen. Der liebe Gott ist in sich so unendlich groß, daß seine Erkenntnis und seine Liebe ihm vollkommen genügen, und daß, wenn auch alle Menschen ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten und mit der ganzen Kraft ihrer Seele lieben würden, in diesen Ozean, der keiner Vermehrung, fähig ist, auch kein Tröpfchen neuer Seligkeit käme. Das ist wahr.
Aber auf der anderen Seite ist es auch wahr, daß ihm, eben weil er sich unendlich liebt und weil er ein heiliger Gott ist, es – menschlich gesprochen – nicht gleichgültig sein kann, ob der für ihn geschaffene Geist ihn und seine Allmacht und seine Weisheit, seine Oberhoheit anerkennt oder nicht. Diese Anerkennung zu fordern ist Er sich selbst schuldig, weil Er die Wahrheit ist. Es muss das Hohe geehrt werden von dem Niederen, und das, von dem alles abhängt, von dem, was von ihm abhängt. Das ist eine innere sittliche Notwendigkeit, und der kann Gott unmöglich entsagen, wenn er sich selbst nicht leugnen will. Ferner ist es gewiß, daß Gott, weil er, die ewige Wahrheit, unmöglich einen Kult billigen kann, der in sich falsch ist, wie auch die unendliche Heiligkeit eine Religion verwerfen muss, die unheilig wäre. Es ist also nicht wahr, daß alle Religionen in Bezug auf Gott gleichgültig sind. Der Götzendienst nannte sich auch Religion; kann man sagen, daß es dem unendlichen Gott gleichgültig ist, sich elenden Geschöpfen, verderbten, vergötterten Menschen nachgesetzt zu sehen? Nein, er muss gebieten: „Ich bin der Herr dein Gott, du sollst keine fremden Götter haben neben mit.“
Es erübrigt somit nur noch zu betrachten, ob nicht vielleicht in Bezug auf den Menschen alle Religionen gleichgültig seien? Aber, meine Herren! kann man das sagen? Ist es denn wirklich richtig, daß es für die Menschen gleichgültig ist, ob er z. B. einem Priapus oder einer Venus opfert, oder ob er, wie Vinzenz von Paul, Gott und der Menschheit im Einzelnen und Allgemeinen dient? Kann man behaupten, es sei für den Menschen und für seinen Bestand und seine Seligkeit, sein Glück und Wohl einerlei, ob er einen Stein oder ein Holz anbete, oder ob er Christo dem Herrn Ehre zolle? …
Gott ist unser Lehrer
Jetzt können folglich nicht mehr alle Religionen gleich sein, sondern wenigstens die Religion, welche die wahre sein soll, muss eine geoffenbarte sein und mithin ist der Deismus und Naturalismus ausgeschlossen. Wenn einer sagt: Aus meiner Vernunft allein schöpfe ich alle Religion, so ist er schon im Irrtum, um so mehr, als manche nicht bedenken, daß sie von der Offenbarung Gottes selbst zehren. Nehmen wir an, es würde die Offenbarung Gottes aus der menschlichen Gesellschaft schon verschwunden sein, meinen wir, daß es noch viele gäbe, die so klare, so hohe, so richtige Gedanken von Gott hätten? schwerlich Sie glauben, daß sie dieselben aus sich gefunden haben. Aber das ist tatsächlich nicht wahr.
Sie haben sie von Kindheit auf dem Schoße der Mutter gehört und so sind sie ihnen eingeprägt geblieben. Genug der Deismus und der Naturalismus sind schon ausgeschlossen. Wo ferner die wahre Offenbarung ist, werden wir seiner Zeit sehen. Unterdessen bleibt das große Wort wahr, welches Sokrates wenigstens nach Pinsels Zeugnis zu Alcibiades gesprochen, der ihn fragte, wo man denn Wahrheit finden könne? Sokrates sagte ihm: Es muss einer vom Himmel kommen, der sie uns lehrt, und als Alcibiades ihn weiter fragte: wer denn der sein würde, da entgegnete ihm Sokrates: „Derjenige, der für dich Sorge trägt“, d. h. Gott selbst; also die heidnische Vernunft selbst anerkennt ein Bedürfnis nach einem Lehrer aus der Höhe, die heidnische Vernunft hat geahnt, daß Gott der Lehrer der Menschen wird. Warum sträubt sich denn der Mensch gegen einen solchen Lehrer? In allen Dingen ist, je ausgezeichneter der Lehrer, desto größer der Zudrang der Schüler; je berühmter der Meister ist, desto lieber lernt man bei ihm. Nur wenn Gott der Lehrer sein will, bäumt sich das Herz und sträubt sich der Geist. Warum? Fürchtet man vielleicht, daß man die Wahrheit verlieren würde? –
Meine Herrn, danken wir vielmehr Gott, der unser Lehrer sein will, wir können keinen größeren, sicheren, keinen liebevolleren, keinen mächtigeren, keinen besseren Lehrer haben, als den, der der Unendliche ist. Ich erinnere mich, Ihnen vor zwei Jahren einen Spruch aus Clemens von Alexandrien, einem alten Kirchenvater aus dem Gedächtnis angeführt zu haben. Mit dem will ich die heutige Konferenz wiederum schließen, weil er so unnennbar schön ist. Er sagt ungefähr: Wenn du zu Homer gehst, um zu lernen, wirst du ein Dichter, und gehst du zu Demosthenes, so wirst du ein Redner; wendest du dich an Apelles, so wirst du ein Maler; und lernst du von Praxiteles, so wirst du ein Bildhauer; gehe zu Gott, und du wirst Gott. Amen. –
aus: Theodor Schmude SJ, Conferenzen über den religiösen Indifferentismus, 1863, S. 26 – S. 37