Indifferentismus gegenüber der Wahrheit
Der Mensch – für die Religion erschaffen
Auszug aus der Zweiten Konferenz
Das Ziel des Schöpfers
Wir wollen noch eine Reflexion beifügen. Sie werden sich, meine Herren! erinnern, daß wir vor zwei Jahren einige Blicke auf den Pantheismus warfen, und uns damals von seiner tiefen Absurdität überzeugten, als wir den Glaubensartikel von dem „allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde“ betrachteten. In der Tat mag sich der Pantheismus in das rohe Gewand des Materialismus hüllen, oder mit dem lustigen Mantel des Idealismus umkleiden, er bleibt halt immer der, der er ist, ein innerer Widerspruch. Ein unendliches Wesen, das nie zu Ende kommt, ein absolutes Wesen, das nie fertig wird, ein Wesen, das sich notwendig immer entwickelt, und doch niemals seine Entwicklung ganz erreicht, oder, wenn es etwa diese Entwicklung erreichen sollte, gerade so weit ist, als es am Anfang war, das aber ohne Anfang ist, – Sie sehen, es häufen sich hier die absurden Ausdrücke. Dafür kann aber ich nicht. Das Wesen, welches das vollkommenste ist, und natur-notwendig sich unvollkommen entwickeln muss, um sich immer mehr kennen zu lernen; ein Wesen, mit dessen Bestand das Individuum aufhört und das Selbstbewusstsein unerklärlich, die Freiheit vernichtet, und der Unterschied des Guten und Bösen beseitigt wird, – das ist ein Monstrum, das in seinem Kopf oder Herz erfassen zu können nur Bedauern erregen würde. Das haben wir vor zwei Jahren deutlich gesehen. Ich setze also voraus, daß wir Alle an einen allmächtigen Schöpfer, der es auch für den Menschen ist, glauben. Ja, meine Herrn! wir sind Geschöpfe Gottes, wir sind das Werk der Hand des Allmächtige, er hat uns das Dasein gegeben, und uns verliehen, was wir an Fähigkeiten und an Kräften haben.
Der Schöpfer muss aber doch bei seinem Werke ein Ziel vor sich gehabt haben. Welches ist nun dieses? Es ist schon im voraus klar, daß dieses Ziel, dieser Zweck für den Menschen etwas eine moralische Notwendigkeit Auferlegendes ist, und sein muss. Ist doch jedes Ding, ich möchte fast sagen, das, was sein Zweck ist; eine Feder, die nicht schreibt, ist eigentlich keine Feder, und ein Weg, auf dem man zu keinem Ziel gelangen kann, ist eben kein Weg, und ein Buch, in dem nichts steht, ist eben kein Buch. So ist also der Mensch, möchte ich sagen, das, was sein Zweck ist. Damit also der Mensch das sei, was er sein soll, muss er nach seinem Zweck trachten, und dieses Trachten ist so notwendig, daß ohne diesen Zweck der Mensch nach dem tiefsten Inhalt dieses Wortes gar nicht Mensch sein kann. Es ist also dieser Zweck und dieses Streben nach dem Zweck für ihn etwas Unabweisliches, wenn er sich selbst nicht gewissermaßen leugnen will.
Endzweck der Schöpfung
Was ist denn aber sein Zweck? Der liebe Gott konnte, – wir müssen von den göttlichen Dingen menschlich reden, und dasjenige, was in der Ewigkeit geschieht, mit Worten umschreiben, welche das Zeitliche ausdrücken, – der liebe Gott konnte nichts, auch den Menschen nicht schaffen um eines anderen letzten Grundes und Endzweckes willen, als jenes, der Gott und die göttliche Wesenheit selbst ist. In der Tat, was wir immer als Endzweck wollen, das wollen wir seiner selbst wegen; was wir seiner selbst wegen wollen, das gefällt uns seiner selbst wegen; was uns seiner selbst wegen gefällt, dessen bedürfen wir zu unserer vollen Glückseligkeit.
Nun aber bedarf Gott außer sich und seiner vollkommensten Wesenheit nichts zu seiner unendlichen Seligkeit, – ein philosophischer Gedanke, den der königliche Prophet David so wundervoll einfach und tief ausgesprochen, wenn er sagt: Deus meus es Tu, qnoniam bonorum meorum non eges (Mein Gott bist Du, weil Du meiner Güter nicht bedarfst). Folglich hat Gott, indem er die Welt gewollt und in seiner Allmacht erschaffen hat, sie seiner selbst wegen und weil Er sich selbst will und liebt, gewollt und erschaffen, und zwar nicht aus Notwendigkeit und so, als ob er ohne das Dasein einer Welt sein eigenes Wesen nicht mit vollkommener Liebe umfangen und in seinem seligen Besitz nicht hätte ruhen können, sondern mit vollendeter Freiheit. Der Endzweck des Schöpfers ist mithin Gott selbst. Damit ist zugleich der Endzweck der Schöpfung erklärt, denn das letzte und höchste Ziel, welches dem Weltall zu erreichen vorgesteckt ist, kann vor allem nur ein Gut Gottes sein, eben weil Gott nichts wollen kann, was er nicht letztlich seinetwegen will, und weil die Liebe zu seiner Wesenheit der höchste und tiefste Grund alles seines Wollens ist. Weil er aber ferner die Fülle aller Güter ist, und somit dieses Ziel nicht ein ihm inneres Gut sein kann, so muss es ein äußerliches Gut sein, welches die Schöpfung ihrem Erschaffer wie einen Tribut darbringen soll: und dieses ist die äußere Ehre des Herrn, oder seine Verherrlichung in der Welt.
Achten wir, meine Herren, darauf, daß man das Wort Ehre, Ruhm, in einem zweifachen Sinne verstehen kann; indem man durch dasselbe jeden, sei es inneren oder äußeren Vorzug bezeichnet, wegen dessen Jemand verdient erkannt, geschätzt, gelobt, geliebt zu werden – das ist die Ehre, objektiv genommen -, oder indem man dadurch gerade diese Erkenntnis, Bewunderung, Hochschätzung, dieses Lob, diese Liebe ausdrückt – das ist die Ehre, in der eigentlichen und formellen Bedeutung des Wortes.
Verklärung in Gott
So wie also die innere objektive Ehre Gottes die Gottheit selbst, oder der Glanz, die Herrlichkeit und Majestät der Gottheit und der göttlichen Personen ist; die innere formelle aber die Erkenntnis; die Liebe, die Seligkeit, mit der Gott sein eigenes, heiligstes Wesen umfaßt, besitzt, genießt: so besteht die äußere objektive Ehre Gottes in der Menge der Vorzüglichkeit, der Schönheit der geschaffenen Dinge, ganz besonders aber in dem Glanz und der uns in diesem Leben unbegreiflichen Schönheit der Kinder Gottes; die äußere formelle Ehre hingegen in der Erkenntnis, dem Lob, der Huldigung, dem Gehorsam, der Verehrung, der Liebe, welche die Geschöpfe Gott gegenüber haben. Diese äußere Ehre nun ist, wie wir nachgewiesen haben, der Endzweck der Schöpfung, dieser Verherrlichung wegen ist alles da, was sein Dasein von dem Allmächtigen erhalten hat: – die vernunftlosen Wesen allerdings nur um zu bezeugen, daß Gott verdient gelobt, geehrt, geliebt zu werden; der Mensch jedoch, der Vernunft, Willen, Freiheit besitzt, – auch, um dieses Lob, diese Ehrfurcht, diese Liebe mit Mund und Herz, in Gesinnung und Leben auszudrücken und zu verkündigen. Darin aber besteht ja die Religion.
Es ist also der Mensch für die Religion erschaffen, und muss sie, wofern er seinem Endziel entsprechen will, in jedem Alter, in jedem Stand, in jeder Stellung haben und ausüben. Er, der fähig ist, Gott zu erkennen und zu lieben, er hat nur darum das Leben empfangen, damit die höchste Wahrheit immer mehr und mehr in seinem Geist wie in einem Spiegel wieder strahle, und das göttliche heilige Wollen sich immer mehr und mehr in seinem Wollen auspräge. Diese Verbindung mit Gott, dieses Hinausgezogen- Werden zu Gott, diese Verähnlichung mit Gott, diese Verklärung in Gott ist unser Aller notwendige Lebensaufgabe.
Der einzige Endzweck des Menschen
Ich schließe diese Konferenz über das erste Schlagwort des Indifferentismus mit dem Wunsch, daß der liebe Gott uns diese Wahrheiten recht tief einpräge. – Die heilige Schrift sagt: „Fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das ist der ganze Mensch.“ Ja, gerade dieses „Gott fürchten und seine Gebote halten“, macht im eigentlichen Sinne des Wortes den ganzen Menschen aus; ohne dieses vermag man den Menschen nicht zu verstehen; ohne dieses setzt er sich entweder zu einem vernunftlosen Wesen herab, oder maßt sich selbst den Thron der Gottheit an. Er fällt von der Wahrheit und von dem höchsten Gut ab, wenn er von der Religion abfällt, die ihn anweist, den zu loben, der allein alles Lob verdient, und in Liebe dem zu dienen und dessen Willen zu tun, der unser Herr und unsere Seligkeit ist.
Bedenken wir zugleich, meine Herrn, daß gerade die Religion eine ungeheure Ehre für den Menschen ist. Sie werden dieses alsbald zugeben, wenn sie erwägen, daß Gott zu dienen nach allem Gesagten nicht nur der höchste, sondern auch der einzige Zweck des Menschen ist. Denn wir dienen jetzt niemals mehr bloßen Menschen, wenn wir dienen; wir dienen nicht mehr unseres Gleichen, sondern wir dienen immer nur Gott. Das ist wahrlich eine Erhebung des Menschen, das verleiht ihm eine heilige Würde, die sicher nicht allein für das gemeine Volk und für die Frauen, sondern vor Allem für die Gebildeten und für die Männer ist. Amen. –
aus: Theodor Schmude SJ, Conferenzen über den religiösen Indifferentismus, 1863, S. 21 – S. 24