Unterricht über das Fegefeuer
Was ist das Fegefeuer?
Das Fegefeuer ist jener Ort in der anderen Welt, an welchem die Seelen der Verstorbenen noch zeitliche Strafen für jene Sünden, welche sie im Leben nicht genug abgebüßt haben, leiden müssen und so lange gereinigt werden, bis sie würdig sind, vor Gottes Angesicht zu treten. (Matth. 5,26) Dieser Ort, eigentlich der Ort der Reinigung, wird in der deutschen Sprache das Fegefeuer genannt, weil hier die Seelen durch das Feuer, wie das Gold im Feuerofen, erst gereinigt, gleichsam gefegt werden.
Gibt es ein Fegefeuer?
Ja, dies lehrt deutlich: Die heilige Schrift. Im II. Buch der Machabäer (12,43ff.) heißt es, daß Judas Machabäus für die in der Schlacht Gefallenen, „bei denen sich etwas von den Opfergaben der Götzen befand, welche zu nehmen das Gesetz verbietet“, unter ihren Mitkämpfern eine Sammlung veranstaltet und zwölftausend Drachmen Silbers nach Jerusalem geschickt habe, damit „ein Sühnopfer für die Verstorbenen dargebracht würde“. Der heilige Geist lobt dies mit den Worten: „Es ist ein heiliger und heilsamer Gedanke, für die Verstorbenen zu beten, damit sie von ihren Sünden erlöst werden.“
Das neue Testament lehrt das Dasein des Reinigungsortes womöglich noch deutlicher. Der göttliche Heiland sagt: „Wer wider den heiligen Geist redet, dem wird weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben werden.“ (Matth. 12,32) Sollen die Worte des göttlichen Heilandes einen Sinn haben, so muss, wie schon der hl. Augustin gelehrt hat, im Jenseits eine Sündenvergebung möglich sein. Bei Matthäus (5,22ff.) fordert der göttliche Heiland zur Versöhnlichkeit auf, solange man „noch auf dem Wege sei“, d. h. im Zustand der Wanderschaft auf Erden, damit der Unversöhnliche nicht „in den Kerker geworfen werde… Von da wirst du nicht heraus kommen, bis du den letzten Heller bezahlt hast.“
Ebenso klar spricht der hl. Paulus vom Fegefeuer. „Wenn jemandes Werk besteht, so wird er Lohn empfangen; brennt aber jemandes Werk, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird selig werden, jedoch so, wie durch Feuer.“ (1. Kor. 3,12ff.) Diese Stellen des alten und neuen Testamentes sind auch stets von den heiligen Vätern und Lehrern der Kirche vom Reinigungsort verstanden worden, was sodann auch die Tradition bezeugt. Erst im 16. Jahrhundert standen Männer auf, welche das Fegefeuer leugneten, weil es eben nicht mehr in ihre große Irrlehre über die Rechtfertigung des Menschen paßte. Sie haben sich aber dadurch von der apostolischen Tradition getrennt…
Das möge genügen, um zu zeigen, daß die katholische Kirche stets in Übereinstimmung mit der Lehre des göttlichen Heilandes und der Apostel, in Übereinstimmung mit der menschlichen Vernunft und den Gefühlen des menschlichen Herzens das Dasein des Reinigungsortes geglaubt und gelehrt hat.
Welche Seelen kommen also in das Fegefeuer?
Alle diejenigen, welche zwar in der Gnade Gottes sterben, aber noch etwas abzubüßen haben. Weil sie in der Gnade Gottes sterben, sind solche Seelen noch Freunde Gottes, und seine Freunde verstößt der gute Gott gewiß nicht in die Hölle. Da sie aber noch einige Makel der Sünde auf sich haben, so sind sie noch nicht würdig, vor das reine Angesicht Gottes zu treten; denn in den Himmel kann, wie der hl. Johannes sagt, nichts Unreines eingehen. (Offenb. 21,27) Es ist also sowohl dem Begriff von Gottes Barmherzigkeit angemessen, als auch der Vernunft entsprechend, daß solche Seelen im Fegefeuer gereinigt werden.
Können wir den armen Seelen helfen?
Ja, vermöge der Gemeinschaft der Heiligen; denn durch den Tod wird die Verbindung zwischen Lebenden und Verstorbenen nicht aufgelöst, so wenig als mit Christus, dem Haupt aller.
Was, wie viel und wie lange muß man im Fegefeuer leiden?
Das weiß Gott allein, der die Strafen des Fegefeuers nach seiner Gerechtigkeit und Erbarmung bestimmt. Aber wir wissen, daß Gott es ist, der Allwissende und Allgerechte, der sein Volk richtet (5. Mos. 32, 36), und daß es schrecklich ist, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. (Hebr. 32, 36) In jedem Fall ist das Schrecklichste wohl das, so lange von Gott entfernt, von der Seligkeit ausgeschlossen zu sein.
Wie können wir den im Fegefeuer leidenden Seelen zu Hilfe kommen?
Durch das Gebet. Die heilige Schrift sagt (2. Mach. 12,46): „Es ist ein heiliger und heilsamer Gedanke, für die Verstorbenen zu beten, damit sie von ihren Sünden erlöst werden.“ Daher hat auch die katholische Kirche zu allen Zeiten gelehrt, daß das Gebet der Gläubigen den Abgestorbenen heilsam und nützlich sei. 2) Durch das heilige Messopfer, dessen Früchte den armen Seelen am ersprießlichsten sind. Daher hat die heilige Kirche von den Apostelzeiten her in der heiligen Messe immer auch der Toten gedacht. 3) Durch Ablässe und andere gute Werke, wobei wir Gott bitten, daß Er der leidenden Seelen sich erbarmen, das von uns Verrichtete zum Ersatz der von denselben zu erduldenden Strafen annehmen und sie ins Reich der ewigen Ruhe und des ewigen Lichtes einführen wolle. (Sir. 7,37)
Für welche Seelen sollen wir namentlich beten?
Man soll zwar, besonders am heutigen Tag, für alle Abgestorbenen insgesamt Gebete und gute Werke verrichten; insbesondere aber
1) für unsere Eltern, leibliche oder geistliche Brüder, Schwestern und Verwandte, für Freunde, Wohltäter, Seelsorger;
2) für die, welche sich unseres Gebetes am würdigsten gemacht haben;
3) für die, welche am längsten gelitten haben oder noch leiden müssen;
4) für die, welche am schmerzlichsten gepeinigt werden;
5) welche die Verlassensten und
6) die Nächsten an der Erlösung sind;
7) die unseretwegen leiden;
8) die auf unser Gebet hoffen;
9) die wegen ihres geringen Verlangens nach Gott und dem Himmel, oder wegen ihrer geringen Furcht vor dem Fegefeuer leiden;
10) für die, welchen wir bei ihren Lebzeiten Übels getan, oder die uns Übles zugefügt haben.
Was soll uns bewegen, den leidenden Seelen zu helfen?
Die Betrachtung, 1) daß sie unaussprechliche Schmerzen dulden, ohne sich selbst helfen zu können; 2) daß sie Gottes Freunde, unsere Brüder und Schwestern, mit uns Glieder an dem einen Leib Christi sind. Wo nun leidet ein Glied, ohne daß die übrigen mitleiden? 3) Dazu kommt, daß gewiß jeder für sich diesen Beistand wünschen wird; denn wer ist so rein, daß er hoffen darf, ohne Fegefeuer in den Himmel zu kommen? Er tue also anderen, was er sich selbst wünscht. –
aus: Leonhard Goffine, Unterrichts- und Erbauungsbuch oder Katholische Handpostille, 1885, S. 687 – S. 690