Religiöser Indifferentismus gegenüber der Wahrheit
Zusammenfassung der Ersten Konferenz
Gestern (siehe: Was ist religiöser Indifferentismus?), meine Herrn! haben wir den religiösen Indifferentismus als eine Art Neutralität gegenüber der Wahrheit und dem Irrtum kennen gelernt, und schon dieses hat uns bewiesen, daß er, wenigstens in der Theorie, in sich unmöglich ist, weil gegen die Wahrheit neutral sein, und sie mit ihrer Negation, dem Irrtum auf gleiche Stufe setzen wollen, so viel heißt, als die Wahrheit verachten, und weil man gegen dasjenige, was man verachtet, eigentlich nicht gleichgültig ist. Wir haben dann weiter untersucht, woher es denn kommen könne, daß der Mensch, der doch eigentlich zur Wahrheit und zum Guten hinneigt, nur, wenn es sich um Religion handelt, gleichgültig zu sein sich rühmt. Ist es denn wirklich, fragten wir uns, ein Ruhm in der Finsternis zu sein, ist es wirklich eine Ehre bei dieser Ungewissheit des Lebens, ohne Bekümmernis, ob es ein Jenseits gibt, und was für Jenseits es gibt, zu leben? Wir sind sonst nur gleichgültig gegen Dinge, die wir nicht kennen, oder die auf uns keinen Bezug haben. Hat denn aber Gott, hat die Unsterblichkeit wirklich gar keinen Bezug auf uns?
Noch mehr. Wir sind nicht einmal gleichgültig gegen unsere eigene Meinung; daher kommt es, daß wir für diese bisweilen sogar das Leben einsetzen; daher kommt es, daß wir sie mit Leidenschaftlichkeit verteidigen und rechtfertigen; daher kommt fast jeglicher Streit und Zwiespalt; daher kommt es, daß man so gerne seine Meinung Anderen auch aufdringen möchte; daher kommt die Proselyten-Macherei, die man sonst der Religion vorwirft, wo sie doch wahrhaftig viel edler und berechtigter wäre, als irgendwo, – jene Proselyten-Macherei, mit der man Andere selbst in den Irrtum hinein zu ziehen trachtet. Woher kommt es denn nun, daß man allein in Bezug auf religiöse Ansichten oder, um genauer zu reden, auf den religiösen Glauben, meint, gleichgültig sein zu dürfen? Der Grund ist uns, ich hoffe es, klar geworden. Es ist in dem menschlichen Herzen der Wahrheit gegenüber ein wunderbares Gemisch von Liebe und Furcht.
Der Mensch liebt die Wahrheit, aber wenn er findet, oder, wenn er wähnt, daß sie ihm lästig ist, wenn er außer ihr und über sie seinen Stolz und seine Leidenschaftlichkeit liebt, so fürchtet er sie, so flieht er sie, so verbirgt er sich vor ihr, er sucht sie in sich selbst zu vernichten; und es ist der Zustand der Lethargie oder der sogenannten Gleichgültigkeit und des Indifferentismus, in den er zuletzt wirklich hinein gerät. Die Quelle also ist eben so wenig rein als dasjenige, das aus ihr quillt, und ist des Menschen, der für die Wahrheit ist und nur durch die Wahrheit geistig leben kann, sicherlich unwürdig.
Der Indifferentismus, fügten wir gestern noch bei, wäre berechtigt, wenn die Religion auf den Menschen wirklich gar keinen Bezug hätte und nicht notwendig wäre, damit er im vollsten und höchsten Sinne des Wortes Mensch sei; oder, wenn es kein Mittel gäbe, die eigentliche wahre Religion zu erkennen. Wir nahmen uns deshalb, um uns in jeglicher Beziehung zu waffnen und zu kräftigen, vor, diese zwei Hauptsätze mit ihren Unterabteilungen als Gegenstand der Conferenzen prüfend zu betrachten. Wir fügten endlich noch hinzu, daß wir dies tun wollten, indem wir uns immer an bestimmte Schlagwörter des Indifferentismus anlehnen. Diese Schlagwörter haben nämlich, wie wir dabei bemerkten, besonders in unserer Zeit eine ungeheure Macht gewonnen.
Es genügt hie und da ein Schlagwort, um auch den Ernstesten in Verwirrung zu bringen, und den stärksten Mann in eine Art Schrecken zu versetzen. Ich erinnere beispielsweise an das Schlagwort „Ultramontan“, was (um hier die Bemerkung eines Schriftstellers zu übergehen, als werde damit nur ausgedrückt, daß man über die Berge hinaus sei), was für uns Katholiken weiter nichts besagt, als daß wir ein Oberhaupt anerkennen, welches allerdings in Bezug auf Deutschland jenseits der Berge, nämlich in Rom, ist. Aber dieses Schlagwort, so wenig verstanden, genügt, um manchmal auch den scheinbar besten Katholiken in seinem innersten Mark zu erschüttern. Das ist ein Beispiel; es ließen sich noch mehrere anführen. Diese Schlagwörter haben ein solches Gewicht erlangt, daß sie in vielen Menschen, ja in ganzen Völkern auch jedes moralische Gefühl zu ersticken im Stande sind. Man nennt nun annexieren was man sonst „stehlen“ genannt hat, und dabei beruhigt man sich. Sie sehen also, meine Herren, wie unsere Zeit vielfach mit Worten spielt, und wie interessant es wenigstens ist, die Schlagwörter einer Analyse zu unterziehen. Wenn dabei nichts übrig bleibt, als etwas Staub, so kann man natürlich nicht dafür. Die Analyse gibt notwendig solche Resultate. –
aus: Theodor Schmude SJ, Conferenzen über den religiösen Indifferentismus, 1863, S. 11 – S. 13