Indifferentismus gegenüber der Wahrheit
Sind alle Sätze des Glaubens gleichgültig?
Erster Teil der Vierten Konferenz
Aus dem widerlegten Schlagwort „Alle Religionen sind gleich“, hat man, um doch einigermaßen den Schein zu retten, sich ein neues zurecht gelegt. Man hat dem Wort Religion den Sinn unterschoben: Glaubensbekenntnis, und hat gemeint, es seien alle Sätze des Glaubens gleichgültig.
„Ein rechtschaffenes Leben genüge zur wahren Religion“
Genügt wirklich ein rechtschaffenes Leben – ohne Glaube und Liebe?
Rousseau hat diesen Satz so ausgedrückt, daß er sagt: »Die Pflichten der Moral sind das einzig Wesentliche der Religion.“ Aus dieser letzten Bemerkung sehen Sie, daß der Irrtum nicht einmal neu und originell ist, und das der Indifferentismus, der sich hie und da in unserer Zeit regt, seinen Ursprung schon in dem Zeitalter der Frivolität und Sittenlosigkeit hat. Eine solche Gesellschaft ist freilich immer etwas Verdächtiges.
Ein rechtschaffenes Leben also soll genügen. Es ist eine merkwürdige Wahrnehmung, meine Herrn, daß, nachdem nicht lange vorher der Kampf um den Glauben so heiß und sehr gewaltig gewesen war, und man den Satz in die Welt hinaus gerufen hatte: „Der Glaube allein macht selig“, kurz darauf die Behauptung folgt: „Die Werke allein machen selig! Es ist, als hätte sich der Irrtum selbst ermattet und ermüdet, und wie sich die Extreme gewöhnlich berühren, so sei er auch von einem Ersten in das andere hinein gefallen, so zwar, daß aus dem Irrtum der Glaube allein genüge, sich das andere selbst gebildet habe, das sogenannte rechtschaffene Leben reiche allein hin. Wie dem aber auch sei, vieles ist in diesem Satz wahr. War es doch schon lange die Lehre der katholischen Religion und Kirche, daß ein Glaube ohne Werke tot sei; lange schon war das die Überzeugung derer, die sich mit Fug rechtgläubig nennen, daß das Leben der Erkenntnis und der Überzeugung entsprechen müsse.
Es genügt nicht, die Dogmen Jesu Christi anzunehmen, wenn unsere Handlungen eine Leugnung und Verneinung der Dogmen sind; es genügt nicht, wie der hl. Apostel Jakobus sich ausdrückt, dem Armen, der uns um Brot bittet, oder der uns bittet, daß er sich wärmen dürfe, zu sagen: „Ja, gehe nur“, wenn wir ihm nichts geben. Was das menschliche Leben ohne den belebenden Hauch der Seele, das ist der Glaube ohne die Liebe und ohne deren Werke. Das ist wahr. Darum ist auch die Verantwortung für den, der, nachdem er das Licht des Glaubens hat, dennoch irre geht, noch viel größer, als für den, der deswegen irre geht, weil er eben im Dunkeln geht. Das Urteil über den, der den Willen des Herrn weiß und nicht tut, ist doppelt so streng, als über den, der den Willen des Herrn selbst aus seiner eigenen Schuld nicht erkannt hat. Das ist richtig.
Und darum, meine Herren, dringen die Prediger immer darauf, daß das Leben sich nach der gläubigen Überzeugung richte und in ihr sich gleichsam abspiegle. Wenn wir, um nur eines oder das andere Beispiel anzuführen, wenn wir lebendig durchdrungen sind von dem Glauben an das eine große Opfer von Golgotha, das in der hl. Messe immer wieder dargestellt, fortgesetzt und den Einzelnen, ich möchte sagen, zugänglich gemacht wird, so ist es natürlich, daß man dem heiligen Messopfer auch gern beiwohnt, namentlich an den Tagen beiwohnt, die ohnehin dem Dienst Gottes geweiht werden sollen. Wenn wir überzeugt sind, daß in dem allerheiligsten Sakrament Unser Gott und Herr wirklich zugegen ist, dann verlangt es diese Überzeugung, daß wir mit äußerster Ehrfurcht in dem Tempel Gottes erscheinen.
Also, wie gesagt, viel wahres ist in dem Satz von dem rechtschaffenen Leben; ein solches ist notwendig, aber es genügt weder, noch kann es allein und ohne den wahren Glauben, bestehen. Oder ist es nicht in der Natur der Sache begründet, daß der Wille der Erkenntnis folge? Nicht immer allerdings handelt der Mensch nach seiner besseren Erkenntnis. Er erkennt oft das Gute, und tut dennoch das Böse; das kann geschehen, weil der Wille frei ist…
Gott geben was Gott gebührt
Soviel wird jeder zugeben, daß die Rechtschaffenheit darin besteht, daß man einem Jeden das gewährt, was ihm gebührt. Nun, meine ich, muss man, um rechtschaffen zu sein, also auch Gott geben, was Gott gebührt, wie dem Kaiser, was dem Kaiser gebührt. Gibt man Gott nicht, was Gott gebührt, so verletzt man die Gerechtigkeit, und zwar gegen den allerhöchsten Gesetzgeber, und das oberste, ewige Gesetz; man kann demnach unmöglich rechtschaffen sein. Man ist in diesem Fall auch nicht einmal rechtschaffen gegen sich selbst. Denn, indem man das Gesetz und die Ordnung verletzt, verletzt man sein eigenes Heil und Wohl; indem man Gott nicht gibt, was ihm gebührt, entzieht man sich natürlicherweise alle jene Gaben, die Gott seinen getreuen Dienern schenkt. Mann macht sich selbst arm, man beraubt sich selbst vieler Güter; man ist also auch gegen sich nicht rechtschaffen. Man ist es endlich nicht einmal gegen den Nächsten. Diejenigen Herren, die bei der Konferenz zugegen waren, wo wir im Allgemeinen von der Religion handelten, und das Schlagwort prüften, daß die Religion für das Volk gut sei, die werden das ohne Mühe eingestehen.
Indem man nämlich gegen Gott ungerecht ist, wird man schwerlich unter allen Umständen gegen den Nächsten gerecht bleiben, man wird ihn jedenfalls, namentlich, wenn man sich in einer hohen Stellung bewegt, das entziehen, was er ein Recht hat zu fordern, nämlich das gute Beispiel. Als die wahre Rechtschaffenheit verlangt notwendig, daß man vor Allem Gott gibt, was Gott gebührt. Nun sind wir, ich möchte sagen, bereits am Ziel? Denn wenn Gott, wie wir sahen, gesprochen hat, so gebührt doch wahrhaftig dieser Rede Gottes Aufmerksamkeit; es gebührt dieser Stimme Gottes Ehrfurcht, es gebührt dem Wort Gottes Glaube, weil Gott die höchste Wahrheit ist. Es gibt also keine wirkliche Rechtschaffenheit ohne den Glauben; und will man rechtschaffen sein, maß man vor Allem glauben. Aber was glauben? – Das sieht jeder ein, daß der Schüler seinem Lehrer glauben soll; und Glaube ist ja weiter nichts, als die Unterwerfung des Menschengeistes unter die Wahrheit. Wenn ich einem Zeugnis glaube, so glaube ich dem Zeugnis bloß, weil ich einsehe: der Zeuge ist wahrhaft. Es ist also sicher klar, meine Herren, und an und für sich wird es Niemand leugnen, man maß glauben, wenn Gott gesprochen hat. Aber, wo ist denn die Stimme Gottes hörbar? Wo ist denn seine Offenbarung niedergelegt? Was ist alles gläubig aufzunehmen? Was hat der Herr geredet?
Ein Blick auf die Persönlichkeit Jesu
… ich bitte nur einen Blick auf die Persönlichkeit Jesu Christi zu werfen. Zeigen Sie mir in der ganzen Geschichte einen Mann, zeigen Sie mir in der Mythologie eine Gestalt, die sich mit Christus vergleichen kann. Zeigen Sie mir einen Einzigen, der ein so großes Herz hatte, wie das Herz Jesu Christi ist. Er ist gekommen, um die Wahrheit zu lehren, und zwar nicht Einzelne, sondern die ganze Welt; er ist gekommen, um den Menschen gut zu machen, und zwar nicht bloß Individuen, sondern die ganze menschliche Gesellschaft. Für diesen Gedanken hat er geredet, und hat er gehandelt und ist er gestorben. Zeigen Sie mir einen einzigen Menschen, der dieses jemals ausgedacht oder ausgeführt hätte. Alle die Helden des Heidentums haben in einzelnen Stücken Großes geleistet, aber dieses große Gut haben sie niemals der ganzen Menschheit bringen wollen.
Betrachten Sie die Gestalt Jesu Christi. In seinen Anschauungen weicht er vielfach ab von den Vorurteilen seiner Zeit, seine Sprache ist eine ganz andere, als wir sie aus jenem Jahrhundert gewohnt sind, seine Lehre ist so einfach und so unwiderstehlich tief und gewaltig, und was noch mehr ist, er hat etwas erreicht, was noch Niemand erreicht hat, nämlich daß die ganze Welt für ihn Interesse gewinnt. Er hat erreicht, daß er der Gegenstand der Liebe und des Hasses aller Jahrhunderte ist, daß er die Triebfeder der größten Handlungen geworden ist; daß er als Vorbild alles dessen, was zur wahren Heiligkeit führt, angesehen wird, und daß ihn alles Schlechte und Verwerfliche, alles Gemeine und Oberflächliche bis aus diese Stunde haßt und fürchtet. Das hat er erreicht; Merkwürdig! Schon hier muss man sagen: Da ist mehr als ein Mensch. Wenn er nun seinen Mund auftut und versichert, daß seine Lehre nicht sein Wort ist, sondern von dem kommt, der ihn gesandt, so ist es klar, daß das Christentum die Offenbarung Gottes ist…
Ich will ferner nicht auf die Verbreitung dieser Lehre hinweisen, die nicht etwa den Leidenschaften des Menschen schmeichelt und huldigt, sondern die ihnen den Krieg bis zur Zerstörung ankündet, die nicht etwa dem Stolz des Menschen dient, sondern vielmehr volle und bedingungslose Unterwerfung von ihm verlangt. Wir wissen, wie man gegen sie gewütet hat; was nur irgend der Fanatismus, was irgend die Schlechtigkeit der Menschen, was Macht was falsche Weltweisheit, was Spott und Hohn, was List undTrug nur immer aufbieten konnte, alles hatte sich geeinigt, um das Christentum schon in seinem Ursprung zu zertreten; und dennoch nach 300 Jahren war der Beherrscher der Welt – Christ. Wo haben wir eine ähnliche Erscheinung in der ganzen Weltgeschichte? Da ist doch offenbar der Finger Gottes. Wenn sich also das Christentum als Offenbarung Gottes ankündigt, so ist sie es… –
aus: Theodor Schmude SJ, Conferenzen über den religiösen Indifferentismus, 1863, S. 39 – S. 43