Man darf sich niemals für sicher halten

Falsche Sicherheit und eitles Selbstvertrauen

So gottesfürchtig der heilige Timotheus auch als Bischof von Ephesus lebte, so sehr er auch seinen göttlichen Heiland liebte, so geschah es doch, daß er einige Zeit hindurch in seiner Liebe und seinem Eifer nachließ. – Deswegen macht ihm auch der göttliche Heiland in der geheimen Offenbarung den Vorwurf, daß er von seiner ersten Liebe nachgelassen habe und ermahnt ihn, Buße zu tun und zur Übung seiner ersten Werke zurück zu kehren. Wir sehen daraus, daß auch die Heiligen straucheln und sogar fallen können, sobald sie unterlassen, die Mahnung des Herrn zu befolgen: „Wachet und betet.“ – Wir dürfen uns daher niemals für sicher halten; niemals im Streben nach der Vollkommenheit nachlassen. O wie viele fromme Seelen sind durch die falsche Sicherheit, mit der sie glaubten, sie könnten jeder Versuchung widerstehen, sie hätten nichts mehr zu fürchten, in Sünden gefallen und Gott untreu geworden. Ebenso gefährlich, wie diese falsche Sicherheit, ist auch das eitle Selbstvertrauen, indem der Mensch meint, er dürfe sich jeder Gefahr aussetzen. Ein warnendes Beispiel gibt uns der hl. Petrus, der eben deswegen, weil er sich selbst zu viel getraut, weil er der gefährlichen Gelegenheit nicht ausgewichen ist, in eine so große Sünde fiel! Jedermann, und auch du, christliche Seele, weißt es, daß der Mensch schwach, daß er zum Bösen geneigt ist, daß die Versuchung überall auf den Menschen lauert. Wenn du es aber fühlst, daß du schwach bist, warum trauest du dir so viel zu, warum bist du so übermütig und stolz? So leichtsinnig und sorglos? Warum weichest du nicht aus, warum fliehst du nicht die gefährliche, oft sündhafte Gelegenheit, böse Gesellschaft? Warum läßt du nach, zu beten, die heiligen Sakramente zu empfangen? …

Sieh, deine Nachlässigkeit und Sorglosigkeit ist schuld, daß du fällst. O wenn du es dir doch recht zu Herzen nähmest, daß gar kein Mensch sicher ist vor dem Fall, und selbst Heilige gefallen sind, und daß du daher immer um die Gnade der Beharrlichkeit beten, dir immer mißtrauen dürfest, so würdest du gewiß unbefleckt bleiben und die Treue bewahren deinem Gott, der dich immer beschützen würde, der den Demütigen immer seine Gnade gibt, aber den Stolzen widersteht. Merke dir also die drei Worte und befolge sie: „Bete, wache, fliehe“, und du wirst selig werden!

Gebet.
O göttlicher Heiland Jesus! Der du gesagt hast: „Lernet von mir, weil ich demütig bin vom Herzen“; verleihe mir de Gnade, mich zu demütigen und mir immer zu mißtrauen, damit ich in keine Versuchung falle, sondern in der Versuchung durch deine starke Hand aufrecht erhalten werde. Amen. –
aus: Georg Ott, Legende von den lieben Heiligen Gottes, 1853, S. 132 – S. 133

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