Wie die treuen Diener der gebenedeiten Gottesmutter deren Fürbitte für die leidenden Seelen im Fegefeuer anrufen
Die christliche, die katholische Liebe hat keine Grenzen, selbst der Tod kann ihr keine solchen setzen, denn stärker als der Tod ist die Liebe (Hohelied 8, 6). Sie folgt denen, welche der Tod aus unserer Mitte rafft, über das Grab hinaus nach, sie steigt mit ihnen hinunter in den Ort, wo das Feuer ihre Seelen reinigt und würdig macht der Anschauung Gottes, sie duldet da mit ihnen, sie hat Mitleid mit ihren Schmerzen, sie will sie trösten, sie will ihre schmerzen lindern, sie will sie befreien, und darum fleht sie von der Erde aus für sie um Gnade und Barmherzigkeit, und streckt von der Erde aus ihre mit guten Werken beladenen Hände zum Himmel, um sie zu erlösen aus dem Ort der Qual.
An wen aber wendet man sich nach Gott vorzugsweise zu Gunsten der Verstorbenen? Welcher Thron ist nächst dem Thron Gottes am meisten belagert mit Bitten und Flehen für die Seelen im Fegefeuer? Es ist Maria, es ist der Thron der Königin des Himmels. Maria kennt die qualvolle Reinigung der armen Seelen im Fegefeuer, sie kennt ihr heißes Verlangen nach der Anschauung Gottes, sie weiß die Zeit, die Gottes Gerechtigkeit für ihre Reinigung bestimmt hat, und weiß auch, daß Gottes unendliche Barmherzigkeit geneigt ist, um der Fürbitten und Verdienste der Gerechten im Himmel und auf Erden willen diese Zeit abzukürzen. Wenn die natürlichen Mütter ihre Kinder noch lieben, welche der Tod ihnen genommen hat, und die sie nicht mehr sehen, wird wohl unsere Himmelsmutter, die uns mehr und inniger liebt als alle natürlichen Mütter, ihre Kinder vergessen, die in den Tagen ihres irdischen Lebens sie eifrig verehrt, sie gläubig angefleht, ihr treu gedient haben? O nein, das ist nicht möglich!! –
Eine achtenswerte, auf glaubwürdige Offenbarungen und auf authentische Bullen einer großen Anzahl von Päpsten sich stützende Meinung verstattet uns zu glauben, daß die heilige Jungfrau in einer besonderen Weise den Seelen im Fegefeuer beistehe, welche sich ihr ganz geweiht haben.
Die heilige Brigitta
Die heilige Brigitta empfing aus dem Mund der Lieben Frau folgende Offenbarung: „Ich bin die Königin des Himmels, der Mutter der Barmherzigkeit, die Wonne der Gerechten, die Leiter der Sünder; es gibt im Fegefeuer keine Qual, die nicht durch meinen Beistand gelindert ud erträglicher gemacht würde.“ Bei einer anderen Gelegenheit sagte sie: Ich bin die Mutter Gottes, die Mutter Aller, die im Fegefeuer sind, weil alle Qualen, die den Sündern als Sühnemittel ihrer Vergehungen auferlegt werden, durch meine Fürbitte erleichtert werden.“ Ferners erzählt die heilige Brigitta, daß sie Jesus selbst zu seiner Mutter habe sprechen hören: „Du bist meine Mutter, und der Trost aller, die im Fegefeuer sind.“
Der heilige Bernardin
Der heilige Bernardin versichert in seiner dritten Predigt über den heiligen Namen Mariä, daß diese erhabene Jungfrau den armen Seelen im Fegefeuer zu Hilfe kommt, indem er also spricht: „Die seligste Jungfrau herrscht im Reich des Fegefeuers, denn der weise Mann spricht von ihr: „Ich wandelte auf den Wellen des Meeres.“ Die Qual und Pein des Fegefeuers werden den Wellen verglichen, weil sie vorüber gehen, es wird aber hinzu gefügt: Wellen des Meeres, weil sie besonders bitter sind. Von diesen Peinen erlöst sie die seligste Jungfrau, sie besucht und tröstet sie.“
Die heilige Lutgardis
Im Leben der heiligen Lutgardis wird erzählt, daß die Herzogin von Brabant, eine Tochter des Königs Philipp von Frankreich, schwer erkrankte. Sie hatte Wissenschaft von der Heiligkeit der frommen Lutgardis und ließ sie um ihre Fürbitte bei Gott bitten. Lutgardis tat es, allein Gott hatte anders beschlossen. Die Herzogin musste sterben. Nach ihrem Ableben erschien sie der heiligen Lutgardis und sprach zu ihr: „Ich bin durch die Gnade Gottes und die Fürbitte Mariens aus den Peinen des Fegefeuers befreit und nun im Himmel, weil ich die Gottesmutter in meinem Leben vom Herzen geleibt habe.“
Der ehrwürdige Pater Hieronymus Larvaglio
Der ehrwürdige Pater Hieronymus Larvaglio hatte eine ungemeine Furcht vor dem Fegefeuer. Da aber dieser Pater eine gar große Andacht zur Gottesmutter im Herzen trug, erschien sie ihm, tröstete ihn und sprach: „Mein Sohn! Sei nicht so beängstigt; denn ich bin nicht bloß eine Fürsprecherin der Sünder in diesem Leben, sondern auch wenn sie im Fegefeuer gereinigt werden.“ (Auriema.)
Der ehrwürdige Pater Peter Basto
Der ehrwürdige Pater Peter Basto, aus der Gesellschaft Jesu, pflegte täglich den Rosenkranz der Lieben Frau für die armen Seelen aufzuopfern. Einstmals unterließ er dieses; bei Nacht aber weckte ihn ein Jüngling, der ihm den Rosenkranz in die Hand gab und zu ihm sprach: „Die Seelen im Fegefeuer verlangen von dir dies Almosen.“ Darauf fühlte er sich von einer unsichtbaren Hand in die Kirche gezogen. Als er zur Türe U. L. Frau vom Rosenkranz kam, kniete er sich nieder und betete andächtig den Rosenkranz. Dafür fand er sich aber auch belohnt, denn an diesem Platz wurde er aus großer Gefahr gerettet. (Auriema.)
Der gelehrte Kanzler Johannes Gerson sagt, daß gemäß einer frommen Überlieferung Maria am Tag ihrer Himmelfahrt eine große Anzahl Seelen mit sich in den Himmel führte, und seit jener Zeit habe die heilige Jungfrau das Vorrecht erlangt, ihre treuen Diener von den Leiden des Fegefeuers zu befreien.
Der heilige Alphons Liguori
Diesem stimmt der heilige Alphons Liguori bei, der sagt: „Die Verehrer der mildreichen Mutter Maria sind wirklich glücklich zu preisen, denn nicht nur hier auf Erden, sondern sogar im Fegefeuer wird sie ihr Trost sein und ihnen helfen.“
Die heilige Franziska Romana
Der heiligen Franziska Romana ward am Himmelfahrtstag der allerseligsten Jungfrau in einer Entzückung gesagt, daß durch die Bitten der Gottesmutter die armen Seelen im Fegefeuer erleichtert und befreit werden.
Der heilige Bonaventura
Der heilige Bonaventura wendet die Worte der heiligen Schrift: „Die Tiefen des Abgrundes habe ich durchdrungen“ (Eccl. 24, 8) auf Maria an und sagt, sie durchdringe die Tiefen des Fegefeuers, und erleichtere den Seelen, die dort leiden, ihre Schmerzen.
Der heilige Vinzenz Ferrerius
Mit ihm stimmt der heilige Vinzenz Ferrerius überein, wenn er spricht: „Ach wie liebenswürdig und wohlwollend zeigt sich Maria gegen jene, die im Fegefeuer leiden müssen, denn durch Maria erhalten sie fortwährend Erleichterung und Stärkung.“
Der heilige Petrus Damianus
Der heilige Petrus Damianus erzählt, daß eine gewisse Frau, Namens Marozia, nach ihrem Tod einer ihrer Freundinnen erschien und derselben sagte, daß sie am Tage der Himmelfahrt Mariens durch dieselbe aus dem Fegefeuer befreit worden sei und dieses zugleich mit so vielen anderen Seelen, daß die Zahl derselben die Bevölkerung Roms übersteigen würde.
Die heilige katholische Kirche widerspricht diesen Aussprüchen der Heiligen nicht, sondern billigt sie sogar, indem sie erlaubt, daß am Todestag der Abgeschiedenen eine heilige Messe zu Ehren der Lieben Frau gesungen werde, um durch ihre Fürbitte den armen Seelen Trost und Hilfe zu spenden.
Wenn denn die Mutter der Barmherzigkeit, wie der heilige Alphons sagt, so besorgt ist, den armen Seelen im Fegefeuer beizustehen, so wirst du, christliche Seele, für die in Christo Abgeschiedenen gewiß auch gerne zur Fürbitte der gütigsten Mutter Maria deine Zuflucht nehmen. Suche die stillen Marienkapellen auf, um dort zugleich deine Tränen und deine Gebete auszuschütten für deine Brüder und Schwestern, die dir in der großen Reise in die Ewigkeit voran gegangen sind. Füge zu den Gebeten, welche du täglich zur Himmelskönigin richtest, auch einige Ave für die armen Seelen bei und opfere ihnen, wie dies der heilige Alphons rät, den heiligen Rosenkranz auf. Dein Erbarmen mit den armen leidenden Seelen wird der Mutter der Barmherzigkeit gewiß gefallen, und sie wird sich auch deiner erinnern, solltest du einst im Gefängnis der Reinigung schmachten; auch du wirst nach deinem Tod gute Seelen finden, welche dich der göttlichen Mutter anempfehlen werden. Ja, wenn du der Himmelsmutter treu dienst, wenn du sie von Herzen verehrst, wenn du ihr durch ein christlich frommes Leben wohl zu gefallen suchst, so darfst du auch, wie der heilige Alphonsus sagt, die Gnade hoffen, nach deinem Tod sogleich in den Himmel aufgenommen zu werden, ohne ins Fegefeuer zu kommen. Diese große Gnade ließ Maria dem seligen Gottfried durch den Bruder Abundus verkünden. „Sage dem Bruder Gottfried“, sprach sie, „er solle in der Tugend fortschreiten und ganz mir und meinem Sohn angehören, worauf, wenn seine Seele von seinem Leib scheidet, ich nicht zulassen werde, daß er ins Fegefeuer komme, sondern daß ich ihn alsdann beschützen und meinem Sohn vorstellen werde.“
Möchte mir und dir, lieber Leser! Auch diese Gnade zu Teil werden! –
aus: Georg Ott, Marianum Legende von den lieben Heiligen, Zweiter Teil, 1869, Sp. 2356 – Sp. 2359