Gnadenorte der hohen Himmelskönigin Maria
Unsere Liebe Frau von der Gnade in Rochefort
in Frankreich
In einer der schönsten Provinzen von Frankreich, nicht weit von der alten Stadt Avignon, befindet sich auf einem Berg eine Kapelle, die ihren ersten Ursprung Kaiser Karl dem Großen verdankt. Lange Zeit war dieselbe ein Zufluchtsort für bedrängte Herzen gewesen, als sie zur Zeit, da der Protestantismus auch in Frankreich sich ausbreiten wollte, von den ruchlosen Händen der Ketzer zerstört wurde. Auf dem Wege zu dem ehrwürdigen Heiligtum, den einst so viele Pilger wandelten, begann Dorngestrüpp zu wachsen. Die Menschen vergaßen nach und nach den geweihten Ort, aber von den Höhen des Himmels blickte noch immer Maria mit Vorliebe auf den heiligen Berg herab; sie hatte beschlossen, hier zum Heil der Völker von Neuem die reiche Quelle himmlischer Gnaden zu wecken, welche in den voran gegangenen Jahrhunderten ihren Namen verherrlicht hatten. Ein Einwohner von Rochefort ward das Werkzeug ihrer erbarmungsvollen Beschlüsse; sein Name war Jakob Ricard, der die Güter des Grafen von Susa verwaltete, dem die Ortschaft Rochefort gehörte.
Von einem frommen Gefühl angetrieben, hatte er im Jahre 1632 das Gelübde getan, nach Loreto zu pilgern. Da ihn aber mächtige Hindernisse von der Ausführung der Wallfahrt abhielten, wollte er seine Dankbarkeit gegen die Himmelskönigin zum wenigstens dadurch an den Tag legen, daß er die Summe Geldes, welche er für die Pilgerfahrt nach Loreto bestimmt hatte, einem Gott gefälligen Werk widmete. Eines Tages richteten sich seine Blicke zum heiligen Berg und im Anblick der Trümmer des Heiligtums faßte er den Entschluss, das alte Gotteshaus wieder herzustellen. Sogleich legte er Hand an den Bau. Gott segnete seine Bemühungen und bald hob sich aus den Trümmern die neue Kapelle zu Ehren der Gottesmutter, die seine gute Absicht reichlich und wunderbar belohnte.
Am 25. März 1634, dem Fest Mariä Verkündigung, wurde der neue Altar unter dem Titel „U. L. Frau von der Gnade“ eingeweiht, und das erste heilige Messopfer darauf dargebracht. Der Pfarrer von Rochefort sang das Hochamt, dem viele Personen, und unter diesen auch die Gemahlin des frommen Jakob Ricard, welche ein schweres Anliegen auf dem herzen hatte, beiwohnten. Ihre einzige Tochter, Katharina, erst 7 Monate alt, ward seit ihrer Geburt Tag und Nacht von einem heftigen, unaufhörlichen Zittern des Kopfes gepeinigt. Die bedrängte Mutter brachte nun das unglückliche Kind in die Kapelle, um es der Mutter der Barmherzigkeit zu empfehlen, denn bisher hatten alle Heilmittel nichts gefruchtet. Sie verrichtet ihr Gebet und bringt ihr Kind zu geeigneter Zeit zum Opfer dar, welches bei dieser Gelegenheit außerordentlich viel von seinem Zittern litt. Aber o Wunderwerk des Allerhöchsten! Bald sieht die schmerzerfüllte Mutter mit Freude, wie der Kopf des Kindes ganz fest ruht und jedes Zittern vorüber war. Das Kind war vollkommen hergestellt. Die Umstehenden, Zeugen des unerwarteten Wunders, brachen in helles Lob Gottes und der allerseligsten Jungfrau aus. Bald zog die Kunde dieses Wunders von vielen Seiten eine Menge Menschen herbei, welche in allerlei Nöten den Beistand der Lieben Frau in der Kapelle anriefen. Es folgten neue Wunder des Erbarmers, die sich bis auf unsere tage erneuerten, und die kleine Gnadenkapelle noch berühmter machten, als in den verflossenen Jahrhunderten. Der Erzbischof von Avignon ließ die Wahrhaftigkeit der wunderbaren Heilung der Katharina Ricard urkundlich bestätigen. (Huguet.) –
aus: Georg Ott, Marianum Legende von den lieben Heiligen, Zweiter Teil, 1869, Sp. 2624 – Sp. 2625