Heiligenkalender
5. Dezember
Selige Elisabeth vom Kinde Jesu
(Auszeitigung der Seele)
Ihr äußerliches Leben ist sehr einfach gewesen. Schon als Kind hatte Elisabeth das größte Verlangen, in das Kloster zu gehen; allein die Eltern, vornehme Leute in Paris, wollten es nicht dulden. Der Vater machte einige Reisen mit dem jungen Mädchen, um es auf andere Gedanken zu bringen. Allein bei der dritten Reise verfiel es in eine schwere Krankheit. Der Vater fürchtete nun, Gott werde ihm mit Gewalt die Tochter nehmen, wenn er sie ihm nicht freiwillig gebe. Da er sonach ihr versprach, daß sie in den Orden eintreten dürfe, wurde sie wieder gesund.
Elisabeth war fünfzehn Jahre alt, als sie in das Kloster der Dominikanerinnen aufgenommen wurde. Da sie in außerordentlichem Grade der Welt abgestorben war und in Gott hinein lebte, so hatte sie auch ganz besonders große Erleuchtung und Erfahrungen im geistlichen Leben. Ihr Seelenführer gab ihr deshalb den Auftrag, ihre besonderen Erkenntnisse und innerlichen Erlebnisse aufzuschreiben.
Der Heiland hat uns beten gelehrt: „Zukomme uns dein Reich!“; da er aber gefragt wurde, wann das Reich Gottes komme, antwortete er: „Man kann nicht sagen, da ist es, oder dort ist es; denn sieh`, das Reich Gottes ist in euch drin.“ Wie nun das Reich Gottes im Menschen, in den es gekommen ist, aussieht, kann man eigentlich in dem Leben jedes heiligen sehen. Denn sein ganzes Tun und Lassen ist hervor getrieben aus dem nämlichen Reich Gottes, wie Blätter und Früchte von der innerlichen Triebkraft des Baumes hervor getrieben sind. Bei manchen Heiligen kann man aber auch unmittelbar in das Innerste ihres Seelenlebens hinein sehen, und das Reich Gottes gleichsam in der Seele spielen und weben sehen. Dazu gehört auch die selige Elisabeth vom Kinde Jesu genannt; in ihren Aufschreibungen spiegelt sich ihre Seele, – daraus will ich nun Einiges vorweisen:
„Gott hat mich erkennen lassen, wie die Sünde eine so gräuliche Verachtung seiner göttlichen Vollkommenheiten ist, und wie groß sein Hass gegen die Sünde sei; dadurch bekam ich einen solchen Abscheu gegen die Sünde, daß ich unendlich lieber in die Hölle will, als eine einzige Sünde, und sei sie auch nur klein, mit Vorsatz begehen. Soll ich länger leben, mein Gott, so laß mich leiden an allen Teilen meines Leibes und meiner Seele, die dir widerspenstig gewesen sind.!“
„Ich will das Stillschweigen bewahren, so viel mir möglich ist. Und wenn mich die Liebe des Nächsten nötigt zu reden, so will ich zuerst meinen Geist zum Herrn erheben, daß er mir seine Worte eingebe und ich Alles ausspreche nach seinem Willen, in Ihm und durch Ihn. – Wann ich mich in der Zerstreuung befinde und mich nicht wohl wieder sammeln kann, will ich mir vorstellen, als höre ich die Stimme des Kindes Jesu, die in meinem Innern sagt: „Warum scheidest du von mir, der ich dein Licht und dein Leben bin? Was habe ich dir getan? Komme zu mir – du wirst mehr bei mir finden, als du hoffen magst: wann du abgemattet bist, so will ich dich erquicken; wann du du Hunger hast, so will ich dich sättigen; wann du kalt bist, will ich dich wärmen; wann du traurig bist, so will ich dich erfreuen; wann du schwach bist, will ich dich tragen; wann du dich fürchtest wegen deiner Sündenschuld, will ich dir vergeben!“
„Ich habe die Notwendigkeit erkannt, daß man der Natur Alles entziehe, was zu ihren Neigungen stimmt, und daß ich, so viel als möglich, im Willen und in der Tat von dem abscheide, was der Empfindung angenehm ist – weil unmöglich das Reich Gottes in mir anders aufkommen kann, als durch Zerstörung der Eigenliebe, die in Allem das Ihrige sucht. Ich will trachten, alle Dinge in Gott anzusehen und Gott in allen Dingen. Meine Seele hat das unvergleichliche Vorrecht, daß sie sagen kann: dieser Gott, dieser wahrhaftige Gott und freimächtige Herr ist mein Gott; darum muss ich so völlig vergnügt sein in dem seligen Besitz dieses großen Gottes, und so sehr ihn lieben, und treulich erfüllen das erste und größte Gebot der Liebe Gottes über Alles. Darum lege ich mich zur Ruhe in das Stillschweigen meiner Liebe.“
Wie Elisabeth schrieb, so tat sie auch. Sie wurde schwer krank an der Schlafsucht. Auf Anordnung des Arztes wurde sie alle Augenblicke gestoßen und geplagt, um sie aufzuwecken. Wenn Gott sie nicht unterstützt hätte, wäre sie nach ihrem eigenen Geständnis tausendmal in Ungeduld geraten; allein Elisabeth litt Alles ohne die geringste Klage. Ihre Zunge wurde von Fieberhitze schwarz wie eine Kohle; dennoch begehrte sie nie eine Tropfen Wasser zu ihrer Erquickung. Ja, bei Kopfschmerzen, Brustweh und starker Geschwulst war sie so in fortwährendem gebet verloren, daß man kaum erfahren konnte, was ihr fehle. Später aber kamen noch viel schwerere Leiden, nämlich mitten in der Seele drin; sie sagt darüber: „Herr, ich bin ganz erfüllt von Trübsalen und Traurigkeiten! Du hast wie ein gewaltiger Wind zu Boden geworfen all` mein verlangen und Wünschen und Freuden! Unendliches Übel und Elend unterdrückt mich, dicke Finsternisse haben mich überfallen und haben bedeckt und unterdrückt meinen bisherigen Stand, welcher im Frieden und voller Lust war. Du hast mich vertrieben in die Wüsten und in die äußerste Einsamkeit gebracht. Dennoch halte ich mein Haupt empor und schweige still, erwarte deine Gnade und lasse meine Schmerzen reden.“
„Gott hat meinem Herzen bezeugt, daß ich nimmer mehr das sein werde, wie er mich haben will, so lange ich noch etwas in mir selbst bin. Ich habe gesehen, daß dieses Ich selbst ein so erschreckliches und abscheuliches Ding sei, daß ich unaufhörlich auf den Knien liegend den Heiland bitten möchte, daß er es auf ewig in mir vernichte!“
Elisabeth gelangte auch in dieser Abtötung ihrer selbst so weit, daß sie ohne christliche Absicht nie von sich redete, weder Gutes noch Böses, wie wenn sie gleichsam gar nicht auf der Welt wäre. Sie rechtfertigte sich nicht, was man auch von ihr denken mochte; ja manchmal, wo sie ganz recht hatte und nur zur Ehre Gottes gehandelt, sprach sie kein Wort zu ihrer Verteidigung, wenn ihr ungerechte Vorwürfe gemacht wurden. Sie ließ Jedermann von ihr denken, was er wolle, und blieb darüber in größter Stille und Frieden. Denn ihr Weg, den sie gewählt hatte um zu Gott zu gehen, war das Nichts, d. h. die Vernichtung des eigenen Selbst und die gänzliche Hingabe an Gott.
„Es ist mir gezeigt worden, daß, wenn eine Seele wider eine Versuchung streiten oder eine Beschwerde überwinden will, durch ihre eigenen Kraft und durch ihren natürlichen Verstand sie es alsdann eben so mache wie David, welcher den Goliath in der Waffenrüstung des Saul überwinden wollte; denn alle ihre natürliche Geschicklichkeit ist ihr mehr hinderlich als förderlich. Wenn die Seele den Sieg davon tragen will, so muss sie sich auskleiden wie der kleine David, und darf keine andern Waffen nehmen als den lebendigen Stein, welcher ist die Kraft Jesu Christi, der durch die Verdienste seiner fünf Wunden die Seele wird siegen machen über die Welt, über den Teufel und über das Fleisch.
„Damit man nicht zerstreut werde durch die äußeren Beschäftigungen, so muss man den Willen Gottes in denselben ansehen und nicht aus uns selber etwas angreifen, sondern als wie wenn man von Gott dazu gesandt würde… Es sind zwei unterschiedliche Dinge, daß der Friede Gottes in der Seele, oder daß die Seele im Frieden Gottes sei. Der Friede Gottes ist in der Seele, wenn diese die Sünde ausgetrieben und die unordentlichen Neigungen getötet hat. Die Seele ist aber selber im Frieden Gottes, wenn sie keinen eigenen Willen mehr hat und in Wahrheit sagen kann: „Der Herr ist mein Teil. Wen hab` ich im Himmel? Und neben dir begehr` ich nichts auf Erden!“ Ich habe eine besondere Einsicht gehabt, wie so notwendig es ei, daß man leide, wenn man anders wahrhaftig und lauter lieben will, indem die Liebe unzertrennlich verknüpft ist mit dem Kreuz; dies ist ihre Nahrung im irdischen Leben. Wenn der Leib auch im Leiden ist und alle Sinne verwirrt, die Gemüts-Bewegungen in Aufruhr und die Kräfte der Seele gebunden sind: so bleibt doch der Grund meiner Seele zurück gezogen und verborgen in Gott, und ist in Ruhe und in Besitz des höchsten Gutes.“
Gott sandte aber auch dieser heiligen Jungfrau schwere Leiden. Sie litt Monate lang fürchterlich an einem bösen Auge. Sie sagte in dieser Beziehung einmal: „Im Augenblick, wenn ich aufwache, sehe ich meine schmerzen an als so viele Gerichtsdiener der göttlichen Gerechtigkeit, die mich beim Kopf ergreifen, um die Sünde in mir zu zerstören.“ Endlich wurde ihr Übel so schlimm, daß ihr Auge ganz schwarz wurde und in der Gestalt eines kleinen Eies aus dem Kopf heraus hing; die Ärzte entschlossen sich deshalb, ihr das Auge auszuschneiden. An dem dazu bestimmten Tage erwartete Elisabeth die Ärzte mit einer tiefen Stille; fragte nicht, wie lange die Operation währe und wie groß die Schmerzen sein werden, sondern sie stand andächtig von ihrem Bett auf, innerlich ganz in Gott versunken. In dieser Ehrerbietung, Anbetung und Unterwerfung unter den Willen Gottes legte sie sich nieder auf die zusammen gestellten Stühle.
Der Wundarzt nahm zwei lange und ein wenig krumm gebogene Nadeln von Stahl, und stach die eine von unter bis oben bei den Augenknochen heraus, und die andere quer in Gestalt eines Kreuzes drunter hin, zog sodann diese vier Spitzen zu sich und schnitt mit einer Schere alle die Adern und Häutlein, welche das Auge festhielten, eine nach der andern ab. Während dieser blutigen und langwierigen Handlung ließ sie nicht einen einzigen Seufzer, obwohl man in ihrem Angesicht ein entsetzliches Leiden wahrnahm und sie ganz im Blut lag, wie ein Lamm, das einen Mund nicht auftut, wenn es gleich erwürgt wird. Voll Erstaunen betrachteten die Ärzte eine solche Gelassenheit, und einer derselben reichte das ausgeschnittene Auge der Wärterin und sprach: Seht da, das Auge einer Heiligen!“
Da Elisabeth dergestalt von Schmerzen halb tot war, legte man sie wieder auf`s Bett. Und obwohl ihre Kräfte durch diese qualvolle Operation erschöpft waren, so raffte sie die letzte Kraft noch zusammen, um sich bei den Ärzten mit vieler Höflichkeit zu bedanken. Ihre Krankenwärterin sagte zu ihr, sie hätte gegen den Gehorsam gefehlt, denn die Oberin habe ihr befohlen, daß sie klagen solle, wenn sie dadurch Erleichterung haben könnte. Elisabeth antwortete: „Es hätte mir Mühe gemacht zu klagen, denn ich redete fortwährend mit Gott und sagte wohl hundertmal zu ihm: Mein Herr!“
Als das erste Pflaster weg genommen wurde, musste man ihr eine neue Qual bereiten. Es hatte sich nämlich so viel geronnen Blut in der Augenhöhle gesammelt, daß der Wundarzt es mit den Nägeln aus der frischen Wunde gleichsam heraus kratzte. Solches war so schmerzhaft, wie das Ausschneiden des Auges selber. Sie wurde durch diese gräßliche Pein gleichsam unvorbereitet überfallen, so daß sie einmal seufzte und hernach bat, man möge es ihr vorher sagen, wenn sie so Schmerzliches ausstehen müsse. Es ist dies ein Zeichen, daß die Seele erst ihre rechte Stärke im Kampf findet, wenn sie durch Betrachtung und Gebet mit der Gnade Gottes sich gewaffnet hat.
Eine Klosterschwester wollte gerne wissen, wie viel Elisabeth bei der gräßlichen Operation ausgestanden habe. Diese antwortete, daß sie in dem voraus gegangenen halben Jahr täglich eben so unsägliche schmerzen ausgestanden habe, wie zur Zeit, da ihr das Auge ausgeschnitten wurde. Fünfmal des Tages wurde sie verbunden. Der Verband wurde mit Eiweiß benetzt, welches dann trocknete und so fest anklebte, daß man es immer gewaltsam losreißen musste, was natürlich jedesmal die heftigste Qual verursachte.
Daß Elisabeth solche Dinge, welche den natürlichen Menschen unerträglich scheinen, wohl tragen konnte, dazu schöpfte sie eben die Kraft aus Gott, in dessen Tiefe ihre Seele ganz versenkt war. Sie schreibt: „Ich sah in großer Klarheit, wie alles Übel und alles Gute, so uns die Kreaturen tun können, ganz gering sei, und wie ich dieses so wenig begehren und jenes so wenig fürchten dürfe, weil für mich kein wahres Gut ist, als was von meinem Gott kommt oder was mich zu ihm führt; und weil nichts zu fürchten ist, als was mich von ihm auch nur im Geringsten scheiden oder entfernen kann. Alles, was mit der Zeit vorüber geht, ist nichts, und Alles, was die Ewigkeit angeht, ist groß und viel.“
„Weil ich dich, mein liebenswürdiges All, nicht lieben kann, also nur, soviel ich meiner Selbstliebe absterbe, so will ich mich freuen, wenn etwas kommt, das zur Zerstörung derselben behilflich sein kann, und will mich dankbar erweisen gegen diejenigen Menschen, welche mir beförderlich sind, dieses große Gut zu erlangen.“
Der Weh ihres Lebens war wie die Sonne im Aufgang, die da immer zunimmt an Hitze und Licht bis zum vollen Mittag. Es war ein Wunder, diese Seele anzusehen in ihrem Alter von 64 Jahren, da sie eine zarte Natur hatte und abgemattet war durch langwierige Krankheiten und in beständig anhaltender Schwachheit und Ohnmacht, wie sie dennoch so mutig war, alle Strenge an sich auszuüben, wie in jüngeren Jahren. Endlich nahm der Schöpfer diese wohl vorbereitetet Seele zu sich. –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 4 Oktober bis Dezember, 1872, S. 387 – S. 393