Heiligenkalender
30. Dezember
Die heilige Anysia, Märtyrerin
(Gefahr der Jugend)
Zur Zeit des grausamen Kaisers Maximian war ein Mädchen, Namens Anysia, zu Thessaloniki, das von seinen reichen und gläubigen Eltern in der Furcht des Herrn auferzogen wurde und schneller an Tugenden zunahm, als an Alter. Nachdem die ersten Kinderjahre zurück gelegt waren, zeigte sich bei der Tochter großer Ernst und Anstand; sie lernte sehr leicht, übte aber auch die guten Lehren, welche sie bekam, getreulich aus, so daß aus ihrem Antlitz nicht nur leibliche Schönheit hervor leuchtete, sondern auch die Schönheit der Seele. Sie blieb meistens zu Haus und klagte sehr oft über das jugendliche Alter, indem sie sprach: „O gefährliches Alter, das entweder verführt oder verführt wird! Eine schöne Sache ist das Greisenalter! Weh` mir! Die Länge der Zeit, welche mich vom Himmel entfernt hält, erfüllt mich mit Traurigkeit.“ Immerwährend rief die junge Anysia Christus um Hilfe an, beugte die Knie und benetzte den Boden mit ihren Tränen.
Es gibt sehr viele Menschen, welche die Jugendzeit für die glücklichste des Lebens ansehen und gar so gern wieder jung sein möchten; Anysia wünschte sich im Gegenteil schon alt zu sein. Wer hat nun Recht? Vor einem halben Jahr hast du im Leben des hl. Arnulf gelesen, was die Jugend für einen Vorteil hat vor dem späteren Lebensjahr. Unverstand und Mangel an Erfahrung, Einbildung, das Leben nehme noch lange kein Ende, die üppige Sinnlichkeit, die leibliche Schönheit und Kräftigkeit, die Schmeicheleien und Nachstellungen von Andern, all` das bewirkt, daß eine Menge junge Leute in schwere Sünden verfallen. So mancher Greis oder alte Frau auf dem Todbett haben über keine Zeit ihres Lebens so große Angst, als über ihre Jugendzeit und über das, was da geschehen ist. Gegen die großen Gefahren des jugendlichen Alters gibt es eben keine bessere Vorkehr, als die, welche Anysia abgewandt hat, nämlich, so weit es sein kann, wenig Umgang mit Menschen und viel Umgang mit Christus durch Gebet, Betrachtung und Gebrauch der heiligen Sakramente. Insbesondere kann man wohl sagen, daß junge Leute, welche jeden Monat beichten und kommunizieren, die gefährlichste Zeit in der Regel unverdorben zurück legen und dennoch eine frohere Jugend haben, als die, welche mit Gefahr ihrer Unschuld alle Vergnügungen mitmachen wollen.
Als die Eltern gestorben waren, überlegte Anysia, was sie mit ihrem großen Reichtum anfangen solle; denn es waren große Landgüter, viele Sklaven und Viehherden, eine Menge Schmuck von Silber, Gold und Edelsteinen und Kästen voll Geld da. Sie faßte den edlen Entschluss, Alles an Witwen, Weisen und Arme zu verwenden, selbst arm zu werden und Jungfrau zu bleiben. Sie betete unter Tränen: „Herr Jesus Christus, wahres Licht, Quelle der Unsterblichkeit, Wurzel der Unversehrtheit, der du das Geheimnis der Jungfräulichkeit deiner Mutter erhalten hast; gütiger Herr, verleihe, daß ich der Jungfrauen schar nie verlasse, sondern den klugen Jungfrauen mit brennender Lampe beigezählt werde!“ Dann verkaufte die hl Anysia Alles ohne zu handeln, nur sagte sie zu jedem Käufer: „Es gehört den Armen und Dürftigen; gib einen billigen Preis, damit du auch Teil am Verdienst habest!“ Als sie Alles zu Geld gemacht hatte, verschenkte sie nicht nur solches, sondern leistete auch persönliche Dienste. Sie ging in alle Gefängnisse und tröstete die Gefangenen; die durch Folter zerquetschten Glieder mancher Gefangener suchte sie durch Überschläge und Salben zu heilen; wo sie einen Kranken wußte, besuchte und pflegte sie ihn. Da sie aber Alles bis auf den letzten Heller hergegeben hatte, so bewohnte sie ein kleines Häuschen und erwarb sich durch ihrer Hände Arbeit die notwendige Nahrung.
Sonst ergab sie sich mit größtem Eifer den Übungen der Frömmigkeit; den Tag über machte sie ihre Lesungen, die Nacht brachte sie mit Psalmen-Singen und Beten zu. Als Bett diente ihr der Fußboden, zur Bedeckung eine Matte und ein Sack; der Schlaf war nur äußerst kurz, frei von Träumen und Halbschlaf. Sie sagte nämlich: „Es ist mir nicht heilsam zu schlafen, während, mein Feind wacht!“ Sie vergoß aber mehr Tränen, als der Trank ausmachte, den sie trank; und ihre Seufzer waren mehr als ihre Worte. Sie war eingenommen von solchem Verlangen nach dem Herrn, daß sie meinte die Füße des Heilandes zu umfassen, während sie die Knie beugte und ihre Augen an die heftete; ihr Herzenswunsch war, aufgelöst zu werden und bei Christus zu sein.
Manchmal betete sie also:
„Herr, allmächtiger Gott, Vater deines eingeborenen Sohnes Jesu Christi, unseres Herrn und Heilandes! Du sitzest auf dem Thron der Glorie, dir zur Seite stehen tausend mal tausend dienender Erzengel und zehntausend mal tausend Geister, die deinem Wink folgen, Thronen, Herrschaften Fürsten und Mächte; dich loben die Cherubim und preisen die Seraphim und singen ohne Ende die dreimal heiligen Hymnen; du hast die ungehorsamen Geister in die Tiefe der Hölle verdammt; du hast den Drachen, der abgefallen ist, mit Ketten gebunden und über seine Hoffart durch die Schmach des Kreuzes triumphiert; du hast aus deinem reinen Schoß Gott das Wort, den Heiland unserer Seelen, aus dem heiligen Geist und der Jungfrau Maria geboren, zu uns gesandt; du hast durch ihn bekehrt, was irrte, gestärkt, was schwach war, geheilt, was verwundet war; dich rufe ich an, ich, deine demütige und sündige Magd, von ganzem Herzen, der du weißt, was in eines Jeden Herz ist; der du das Feuer, das von deinem eingeborenen Sohn in die Welt geworfen ward, auch in meinem Herzen angezündet hast; der du den Funken des Glaubens in mir zur Flamme der Liebe angefacht hast; sei bei mir Unwürdigen und behüte mich, weil ich dich verlange, dic suche, dir nachgehe aus allen meinen Kräften! Herr, nimm an mein Flehen, das ich dir darbringe mit zerknirschtem Herzen und demütigem Geist; meinetwegen, Herr Jesus Christus, bist du ja an`s Kreuz gebracht worden, und meinetwegen erduldest du so herbe Backenstreiche; meinetwegen hast du auch Essig und Galle getrunken. Verschmähe mich nicht, stoße mich nicht aus der Zahl deiner Mägde, sondern laß mich eine rechte Christin werden und vollendet werden im Zeichen deines heiligen Kreuzes! Bewahre mich als die Deinige, durchdringe mich mit deiner Furcht! Halte ab meine Augen, daß sie nicht Eitelkeit schauen. Du bist mein Gott; Vater und Mutter haben mich verlassen, – du, Herr, hast mich aufgenommen. Stehe mir bei, daß kein Flecken an deiner Magd gefunden werde; denn dir will ich mich opfern mit den Brandopfern derer, die für deinen Namen gestritten und gelitten haben und nun dem unbefleckten Lamm nachfolgen, durch das und mit dem dir und dem heiligen Geist ewige Herrlichkeit und Ehre und Macht ist in alle Ewigkeit! Amen.“
Wenn die gottselige Jungfrau so gebetet hatte, bezeichnete sie ihren ganzen Leib mit dem Zeichen des Kreuzes. Gott aber wollte die vielen Verdienste seiner treuen Magd noch krönen mit dem herrlichen Siegeskranz des Märtyrertums, wonach sie so sehr Verlangen trug.
Der Kaiser Maximian war durch den Mord von so vielen Märtyrern gleichsam mit Blut übersättigt, vergleichbar einem wilden Raubtier, das Ekel bekommt vor dem Fleisch, wenn es eine Menge Menschen zerrissen hat. Er sprach im Schein von Schonung, die Christen seien nicht wert vor den Augen des Kaisers hingerichtet zu werden; er wolle keinen Anlass mehr geben, daß ihre Marter aufgeschrieben werde und andere anreize, Gleichem sich zu unterziehen. Ihr Tod werde eher im Stillschweigen ruhmlos untergehen, wenn er sie für vogelfrei und als Feinde der Götter erkläre, welche Jedermann töten dürfe. Der Kaiser erließ daher eine Verordnung, wonach jeder Christ ohne Strafe von Jedem, der Lust dazu habe, getötet werden dürfe. Da kamen nun zahllose Christen um das Leben, und das prophetische Wort, Psalm 43, ging in Erfüllung: „Deinetwegen werden wir den ganzen Tag mit dem Tod verfolgt; wir sind gezählt wie Schafe zum Schlachten.“
Da kam es der hl. Anysia in Sinn, zur Kirche zu gehen; es war wohl ihr Schutzengel, der sie zumMärtyrertum rief. Als sie nun zum Stadttor hinein ging, war gerade ein Aufruhr des Volkes. Da erblickte Einer von der Leibgarde des Kaisers die Jungfrau; von ihrer Schönheit oder auch vom Teufel gereizt, stellte er sich vor sie hin und sprach: „Halt, wo willst du hin?“ Da sie seine Frechheit und Begierlichkeit wahrnahm, gab sie keine Antwort und machte mit dem Finder das Zeichen des Kreuzes auf der Stirne. Wie ein wildes Tier, hatte der Soldat keinen Sinn für dieses edle anständige Stillschweigen, sondern sah es für Beleidigung an, faßte sie und schrie mit grober Stimme, sie solle auf der Stelle sagen, wer sie sei und wohin sie gehe. Das Lamm Christi meinte dem widerwärtigen Anblick des Menschen mit kurzer Antwort schnell entgehen zu können und sprach: „Ich bin eine Dienerin Christi und gehe in die Kirche!“ – Der Soldat erwiderte barsch: „Aber ich lasse dich nicht dorthin gehen, sondern werde dich in einen Tempel führen, den Göttern zu opfern; wir haben heute gerade das Fest des Sonnengottes.“ Mit diesen Worten ergriff er ihren Schleier und wollte ihn frech hinweg ziehen. Anysia aber leistete mutig Widerstand und sprach: „Christus wird dich strafen, Satan!“ Voll Zorn, besonders auch über den Namen Christus, zog der Soldat sein Schwert und durchstach ihr damit die Seite. Anysia fiel zitternd an allen Gliedern auf die Erde und färbte sie mit ihrem Blut. Die Umstehenden beklagten sie voll Mitleid über ihre Jugend und dachten, daß ihnen selbst noch Gleiches begegnen könne; dann schalten sie über den Kaiser und seine ruchlose Verordnung. Später kamen fromme Christenmänner und beerdigten ehrenvoll den Leichnam. –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 4 Oktober bis Dezember, 1872, S. 521 – S. 525