Selige Kamilla Battista Varano

Christus sitzt in der Mitte, Löwe und Stier zu seinen Füßen

Heiligenkalender

31. Mai

Selige Kamilla Battista Varano, Klarissin

(Das Leiden Christi)

Bei Gran in Ungarn steht auf einem kleinen Berg eine Kirche, und auf dem Weg zu dieser Kirche hinauf sind Kapellen, in welchen die Stationen des Leidens Christi angebracht sind. Die Figuren sind groß in Stein ausgehauen und mit Farben angemalt, so daß es einen lebhaften Anblick gewährt. Da ich einmal langsam diesen Weg hinauf ging, kam ganz allein auch langsam gehend ein Lamm den Weg herab; und blieb dann vor einer Kapelle stehen und schaute, gleichsam wie betrachten, eine Weile hinein. Es machte einen rührenden Eindruck auf mich, zu sehen, wie das Lamm, das Sinnbild des leidenden Heilandes, vor dem andern Bild des leidenden Heilandes in der Stationskapelle stehen blieb, als wolle davor seine Andacht verrichten. – Die Geschichte der seligen Kamilla hat mich wieder an dieses einfache Begegnis erinnert; denn sie ist gleichsam auch ein Lamm, ein Abbild des leidenden Heilandes geworden, und zwar durch das fortwährende Betrachten seines Leidens. Kamilla hat selbst die Geschichte ihres Lebens geschrieben; ich will sie daher selbst reden lassen.

„Ich war als Kind von 8 oder 10 Jahren in einer Predigt; es war Karfreitag und der Prediger schilderte sehr lebhaft das Leiden Christi. Am Schluß der Predigt ermahnte und beschwor er die Zuhörer alle auf das Inständigste, es möge doch Jeder wenigstens allemal am Freitag des Leidens Christi gedenken und aus Liebe zu ihm doch eine kleine Träne vergießen; solches sei Gott angenehmer und der Seele nützlicher, als irgend ein gutes Werk. Diese Predigt und Aufforderung machte auf mich einen solchen Eindruck, daß ich später ein Gelübde machte, an jedem Freitag eine Träne zu weinen aus Liebe zum Leiden Christi. Zuerst machte mir dieses viel Mühe; und wenn ich mit Not eine Träne hervor gebracht hatte, so lief ich fort, ohne eine zweite abzuwarten. Später gestand ich einem Beichtvater mein Gelübde; dieser machte mich verbindlich, es stets zu halten, jedoch mit dem, daß es mir keine Sünde sein solle, wenn ich es manchmal nicht zu Stande bringe.
Indem ich noch lange Zeit mühsam in dieser Übung fortfuhr, fiel mir ein Büchlein in die Hand, in welchem Betrachtungen über das Leiden Christi waren, in 15 Stationen abgeteilt. Ich entschloß mich nun jedesmal am Freitag vor dem Kruzifix kniend diese Stationen andächtig zu beten, und bei einer jeden derselben eine Träne zu vergießen. Solches gelang mir jetzt durch die Gnade Gottes viel besser, so daß ich viel reichlicher als früher dabei weinen konnte. Einmal, da ich bis Mitternacht am Freitag arbeiten musste, kam ich in schwere Versuchung, für diesmal meine Übung zu unterlassen; ich ermannte mich aber und machte doch noch meine Betrachtung, wodurch, wie es sich später zeigte, ich einer großen Gefahr entging.
Allmählich fand ich einen solchen Genuss an dieser Betrachtung, daß ich mich entschloß, dieselbe in Zukunft nicht bloß an Freitagen, sondern jeden Tag vorzunehmen und zwar so lange darin zu verharren, als es der Geist gewährte. Bei dieser Andacht zum Leiden Christi wurde ich mit reichlichen Tränen begnadigt; so daß ich mich derselben nicht enthalten konnte, wenn auch andere Personen im Zimmer waren. Manchmal musste ich deshalb ärgerliche Bemerkungen hören, allein ich kehrte den Schmähenden den Rücken und die Seele Gott zu. So ging es drei Jahre lang fort. In dieser Zeit fastete ich an Freitagen auch bei Wasser und Brot, hütete mich sorgfältig vor einigen meiner Gewohnheits-Fehler, stand in der Nacht vom Bett auf um den Rosenkranz zu beten, desgleichen geißelte ich mich an Freitagen. Aber alle diese Übungen nahm ich nicht bloß vor, um im andern Leben, sondern vielmehr um in diesem glücklich zu sein. Mein Herz war noch ganz geteilt zwischen Gott und der Welt. Sobald ich nämlich mit oben erwähnter Andacht und Übung fertig war, ergab ich mich wieder allem jugendlichen Leichtsinn; ich hatte Freude an hübschen Kleidern, unterhaltenden weltlichen Büchern, vergnügte mich mit Tanzen, Singen und Spazierengehen usw.“ (siehe Fortsetzung ihrer Lebensgeschichte: Leidensbetrachtungen der seligen Kamilla)

Es gibt unter allen religiösen Betrachtungen keine, welche einem Christen mehr geziemt und ihm nützlicher wäre, als die Betrachtung des Leidens Christi. (siehe dazu den Beitrag: Anleitung zur Betrachtung der Passion Christi) Schon die Dankbarkeit fordert, daß wir oft und ernstlich betrachten, welche Not an Leib und Seele unser höchster Wohltäter, unser göttlicher Bruder für uns gelitten hat. Sein Kreuz ist aber auch die wahre Himmelsleiter, und an dieser Leiter steigt die Seele in die Höhe Gott entgegen, so oft du mit wahrer, inniger Andacht das Leiden Christi betrachtest. In dieser Betrachtung reinigt sich sich nämlich deine Seele durch Reue von ihren Sünden, sie faßt mehr Liebe und Treue zu ihrem Heiland, sie wird demütiger, geduldiger, enthaltsamer und überhaupt fähiger einmal in den Himmel einzugehen. Ich fordere dich daher recht ernstlich dazu auf, entschließe dich heute von nun an täglich etwas vom Leiden Christi zu betrachten. Geht es dir anfänglich noch nicht leicht von Statten, so lies täglich ein Gesetzchen von den Stationen (siehe den Beitrag: Andacht zum leidenden Herzen Jesu) und mache dir deine Gedanken darüber; und kannst du nicht eine kleine Zeit im Tag einsam und still dich deiner Betrachtung hingeben, so tue es unter der Arbeit, statt in müßigen Gedanken und nutzlosen Gesprächen die Zeit für die Seele zu verlieren. Jede Betrachtung dieser Art ist ein gefundenes Goldkörnchen für deine Seele, je länger und inniger du dich in diese Betrachtung versenkst, desto gewichtiger und wertvoller ist dein Fund. Laß keinen Tag vergehen von jetzt an, ohne einen solchen Erwerb und Gewinn.

Das Leben der sel. Kamilla war ein langer Stationsweg, auf welchem ihr Hauptgeschäft war in die schweren Leiden Christi sich zu versenken. Und dieser Kreuzweg hat sie auf eine große Höhe der Vollkommenheit geführt. Kamilla wurde so demütig, daß sie Gott inständig bat, er möge doch alle die besonderen Gnaden lieber einer andern besseren Seele zuwenden, welche ihm mehr Dank und Ehre dafür brächte. Sie begehrte von Gott keine Art von Offenbarungen, als eine recht tiefe Kenntnis Gottes und der Armseligkeit ihrer eigenen Seele. Sie bemerkte es höchst ungern, wenn sie von Jemanden ganz besonders geliebt wurde, weil sie besorgte, es könnte dadurch der Liebe zu Gott etwas entzogen werden. Um Christus nachzuahmen, der arm geworden um uns reich zu machen, war Kamilla höchst gütig und wohlwollend gegen Andere und streng und hart gegen sich selbst; manchmal wenn die Obern ihr etwas geben wollten, nahm sie es nicht an und bat, es einem Bedürftigen zu geben. Über ihren Nebenmenschen redete sie niemals ein böses Wort; sie war gleichsam blind in Rücksicht der Fehler ihrer Nebenmenschen; wollte ihr Jemand Übles von Andern hinterbringen, so suchte sie ihn durch ein unfreundliches mißmutiges Gesicht davon abzuschrecken. Die Feinde liebte sie so sehr, daß sie es für ein besonders großes Vergnügen ansah, wenn sie denselben durch Wort oder Tat etwas Angenehmes erweisen konnte, und daß sie von ganzem Herzen für jene betete. Den vollkommenen Gehorsam gegen ihre Obern sah sie für das liebste Opfer an, das man Gott bringen könnte. Ihre vollendete Armut bestand darin, daß sie durchaus von irdischen Dingen nichts wollte, der gekreuzigte Heiland war ihr alles und das einzige, was sie suchte.

Kamilla war aus der vornehmen reichen Familie Varano enstrossen; dennoch wählte sie den Orden der Klarissinen, welche in größerer Armut und Strenge leben, als die meisten übrigen Orden. In dem Kloster zu Camerino (im Kirchenstaat) starb sie als Äbtissin. Im Jahre 1593, sechsundsechzig Jahre nach ihrem Tod, wurde ihr Leichnam ausgegraben; ein großer Wohlgeruch verbreitete sich bei Öffnung des Grabes, und während der übrige Leib in Verwesung übergegangen war, zeigte sich ihre Zunge so unversehrt rot und weich, wie bei einem lebendigen gesunden Menschen. Über diesen Anblick brach der Beichtvater des Klosters in die Worte aus, die einmal der hl. Bonaventura sprach, als er die unversehrte Zunge des hl. Antonius von Padua betrachtet hatte: „O preiswürdige Zunge, die du immer Gott gepriesen und Andere preisen gelehrt hast! Jetzt ist es offenbar zu sehen, wie groß deine Ergebenheit gegen Gott gewesen ist.“ –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 2 April bis Juni, 1872, S.297-305

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