Der Stolz macht dich verhaßt bei Gott
Es verdient deine ganze Aufmerksamkeit, daß der heilige Papst Gregor so sehr in Kummer und Sorge war, der geliebte, von Gott so hoch begnadigte Augustin möchte über dem Glanz seiner Werke stolz werden, weshalb er ihn mit väterlicher Zärtlichkeit vor dieser Gefahr warnte. Siehe, wie sehr dieser große Papst den Stolz fürchtete! Die Heiligkeit des Augustin ist der beste Beweis, daß er diese Mahnung mit kindlichem Dank annahm und in beständiger Furcht vor dem Stolz lebte. O fürchte auch du, der du kein Heiliger bist, den Stolz um so mehr aus folgenden drei Beweggründen:
1. Der Stolz macht dich verhaßt bei Gott.
„Bei Gott verhaßt sein“, ist ein schreckliches Wort; und doch der hl. Augustin sagt: „Es ist beinahe keine Seite der heiligen Schrift, auf welcher wir nicht den Sinn der Worte finden: „Gott widersteht den Hoffärtigen, den Demütigen aber gibt Er Seine Gnade.“ (Jak. 4, 6) Der hl Job rechtfertigt diesen Haß Gottes mit den kurzen, aber überzeugenden Worten: „Der Stolz streckt seine Hand wider den Herrn aus, – rüstet sich wider den Allmächtigen mit aufrechtem Hals und – mit festem Nacken tritt er wider Ihn auf.“ (Job 15, 16) Als einstens die Jünger von der Verkündigung des Evangeliums voll Freude zu Jesus zurück kehrten und Ihm erzählten: „Auch die Teufel sind uns untertan in deinem Namen“, warnte Er sie sogleich voll Ernst: „Darüber sollt ihr euch nicht freuen, daß die Geister euch untertan sind; freuet euch vielmehr darüber, daß eure Namen im Himmel eingeschrieben“; und zur Verschärfung dieser Rede setzte Er noch bei: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.“ (Luk. 10). Luzifer, der so große, hochbegnadigte Geist, hat nur einmal durch Stolz gesündigt, und sogleich hat der Haß Gottes ihn von der Höhe des Himmels hinab gestürzt in die Tiefe der Hölle ohne Erbarmen, ohne Möglichkeit der Erlösung! O fürchte den Stolz, weil der Haß des dreimal heiligen Gottes so fürchterlich ist.
2. Der Stolz macht dich zu einem unnützen Arbeiter.
„Der Stolz ist verhaßt bei Gott und den Menschen.“ (Sirach 10, 7) Magst du was immer für ein Amt bekleiden, Priester, Lehrer, Vater, Mutter… sein, bist du dabei stolz, so sind alle deine Arbeiten, Opfer und Leiden fruchtlos. Denn Gott kann dich nicht segnen, seine Gnade, von der doch alles Wachsen und Gedeihen abhängt (1. Kor. 3), dir nicht geben, weil du Ihm verhaßt bist; deine Untergebenen wollen von dir nichts hören oder annehmen, weil du ihnen ebenfalls verhaßt bist. Denn so gewiß dir jeder Stolz widerwärtig und abschreckend ist, und du mit ihm nichts zu tun haben magst, ebenso gewiß bist auch du einem Jeden widerwärtig und abschreckend, der dich als stolz erkennt; dein eigenes Herz, dein eigenes Urteil bestätigt das. O fliehe den Stolz, weil du sonst bei deinen Mitmenschen und Untergebenen gar nichts Gutes wirken kannst; ein unfruchtbares Leben aber ein gar jämmerliches ist.
3. Der Stolz schadet dir selbst am meisten.
Die wahre, vernünftige Selbstachtung verpflichtet dich, mit jedem Tag weiser, tugendhafter, achtungswürdiger und dadurch glücklicher zu werden. Der Stolz macht dir die Erfüllung dieser Pflicht und die Erreichung dieses Glückes unmöglich. Denn wie magst du dich von Andern belehren lassen und so weiser werden, da du dich schon gescheiter als Alle, als Jesus Christus und das von Ihm eingesetzte Lehramt – die katholische Kirche – dünkst. Wie kannst du tugendhafter werden, da du überzeugt bist, keine Fehler, keine Schwachheiten an dir zu haben, keiner Buße zu bedürfen, schon vollkommen zu sein, da du selbst deine guten, an sich lobenswürdigen Werke durch die Begierde nach Lob in Laster, in Diebstähle an der Ehre Gottes verwandelst? Wie kannst du achtungswürdiger werden, da du dich selbst aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, mit allen Kräften verachtungswürdig machst? Oder ist etwa der stolze Aman, der das ganze jüdische Volk erwürgen wollte; der stolze Nebuchodonoser, der sich als Gott anbeten ließ; der stolze Herodes, der Jesus Christus nicht als König neben sich dulden wollte; der in Purpur gekleidete Prasser, welcher den armen Lazarus keines Blickes würdigte, nicht verabscheuungswürdig? Und glücklich, auch nur einen Tag lang glücklich werden kannst du erst recht nicht, weil der Haß Gottes, der Haß der Mitmenschen und deine eigene Torheit dies unmöglich zulassen! O fürchte und fliehe den Stolz! –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 442-443