Darf man auch die Reliquien der Heiligen verehren?
Darf man die Reliquien der Heiligen, d. h. ihre Gebeine, und andere Gegenstände von ihnen verehren?
Ohne Zweifel. Es war dies schon im alten und im neuen Bund von den ersten Zeiten an eine ununterbrochene Übung, die Gott selbst durch die außerordentlichsten Wunder bekräftigt hat. So hat Er durch die Gebeine des Elisäus einen Toten erweckt (4. Kön. 13, 21). Die blutflüssige Frau ist durch die Berührung des Kleides Christi gesund geworden (Matth. 9, 20); durch den Schatten des hl. Petrus (Apg. 5, 15 u. 16) und Schweißtücher des hl. Paulus (ebd., 19, 12) wurden allerlei Krankheiten geheilt und Teufel ausgetrieben. Und wie unzählbar sind die hinlänglich beglaubigten Wunder, welche bei den Gräbern der Märtyrer und anderer Heiligen zu allen Zeiten geschehen sind und noch geschehen!
Warum soll man die Reliquien der Heiligen verehren?
Die Ursache davon gibt der Kirchenrat von Trient schön an. (Konzil von Trient, 25. Sitzung) Sie sind nämlich die köstlichen Überreste jener Leiber, welche bei Lebzeiten Glieder Christi und Tempel des hl. Geistes waren und einstens wieder auferweckt und verherrlicht werden. Sie sind die Werkzeuge ihrer Tugenden und unzähliger Wohltaten gegen die Menschen. Ist es also nicht billig und vernünftig, daß sie von uns in Ehren gehalten werden? Bewahrt nicht auch jedes Kind, der Bruder und Freund mit Ehrfurcht die Überreste geliebter Eltern, Geschwister und Freunde? –
Und sollte in religiöser Beziehung unrecht sein, was in jeder andern recht ist? Daher hat denn auch die Kirche von jeher die heiligen Reliquien in Ehren gehalten. Als „kostbare Kleinodien“ wurden die Reliquien des hl. Ignatius (†107) und Polykarpus († 168) gesammelt; die ersten Christen fingen mit Schwämmen und Tüchern das Blut der Märtyrer auf und begingen deren Todestage mit großer Feierlichkeit. Natürlich soll sich diese Verehrung nur auf die von der Kirche selbst als echt beglaubigten Reliquien beziehen. Die Kirche warnt ihre Gläubigen ernstlich vor Leichtgläubigkeit in dieser Beziehung und ahndet den Handel mit Reliquien mit den schwersten Strafen.
Darf man auch die Bilder der Heiligen, das heilige Kreuz etc. verehren?
Ja; denn wenn es keine Sünde ist, die Bildnisse der Fürsten und anderer Personen in Ehren zu halten, warum sollte es unerlaubt sein, die Bildnisse Christi und der Heiligen zu ehren?
Ist aber die Bilderverehrung durch das Verbot, geschnitzte Bilder zu machen, nicht untersagt?
Keineswegs; sonst hätte Gott selbst wider dieses Verbot gehandelt, da Er dem Moses befohlen, die Bundeslade mit zwei goldenen Cherubim zu zieren (2. Mos. 25, 18), eine eherne Schlange aufzurichten (4. Mos. 21, 8) und in dem Tempel zu Jerusalem allerlei Bildnisse aufzustellen (3. Kön. 6, 23 etc.). Jenes Verbot will nur sagen, daß man den Bildern weder göttliches Wesen, noch göttliche Kraft zuschreiben, daher sie weder anbeten, noch Vertrauen auf sie setzen soll, als könnten sie uns helfen, wie es die Heiden taten, die all ihre Hoffnung auf ihre Götzenbilder setzten. Die katholische Kirche tut oder gestattet aber nichts von allem diesem mit den heiligen Bildern. (Konzil von Trient, 25. Sitzung)
Was beabsichtigt denn die Kirche mit den Bildern?
Indem die Kirche die Aufstellung der Bilder gestattet, beabsichtigt sie, wie der hl. Gregor sagt, dem Menschen gleichsam ein Buch hinzuhalten, aus dem er die Geheimnisse und Wohltaten Gottes erlernen, was Christus für uns, und was die Heiligen für Christus und für den Himmel getan haben, sich zu Gemüte führen und hierdurch zur Dankbarkeit, zur Liebe Gottes und Nachfolge der Heiligen aufgemuntert werden möge. Wie sehr wäre deshalb zu wünschen, daß die unkeuschen und ärgerlichen Bilder, durch welche so oft die Unschuld verführt wird, aus allen christlichen Wohnungen weggeschafft und dafür erbauliche Bilder aufgestellt würden!
Auch bei Kirchenrenovationen soll man mit allem Eifer danach trachten, daß nur würdige, in christlichem Geist und christlicher Kunst hergestellte Bilder und Statuen zur Verwendung kommen!
Darf man den Heiligen, ihren Bildern und Reliquien als solchen auch Kirchen bauen, Messen lesen, Opfer bringen, Gelübde machen etc.?
Nein; denn derlei Handlungen sind Handlungen der Anbetung, die allein Gott gebührt. Wenn also z. B. zu Ehren eines Heiligen eine Messe gelesen wird, so wird diese nicht dem heiligen aufgeopfert, sondern Gott, aber mit besonderer Erinnerung an den heiligen. Daher sagt der hl. Augustinus: „Keinem Märtyrer, sondern Gott, dem Herrn der Märtyrer, bauen wir Tempel und Altäre, obgleich auf den Gräbern der Märtyrer. Noch keiner unserer Vorsteher hat am Altar gesagt: Wir opfern dir, o Petrus oder Paulus! Was geopfert wird, wird Gott geopfert, der die Märtyrer gekrönt hat.“
Darum singt auch die Kirche an gewissen Festtagen der Heiligen zum Eingang der heiligen Messe: „Lasset uns frohlocken in dem Herrn, da wir den Festtag des heiligen N.N. begehen, worüber die Engel sich freuen und den Sohn Gottes einhellig preisen.“
Kann man also in der Andacht gegen die Heiligen, ihre Bilder und Reliquien auch zu viel tun und sich verfehlen?
Allerdings, und zwar geschieht dies, wenn man sie ebenso, oder gar mehr ehrt, als Gott selbst; wenn man Gott gleichsam auf die Seite setzt und nur zu den Heiligen betet; wenn man ein vermessenes Vertrauen auf sie setzt, als könnten und müssten sie uns durch sich selbst helfen; wenn man sich wegen bestimmter Andachten zu gewissen Heiligen ganz gewiß einen glückseligen Tod und den Himmel verspricht, ohne sich eines frommen Lebens zu befleißen; wenn man nur irdische Güter, Geld und schätze etc. von ihnen verlangt und abergläubische, von dem Teufel und gottlosen Menschen erfundene, nicht aber von der Kirche gebilligte Gebete benutzt; wenn man den Beistand der Heiligen sogar zu Lastertaten anruft; wenn man die Heiligen in unpassenden, oder gar in ärgerlichen Bildern darstellt; wenn man zweifelhafte, nicht von der Kirche für echt erklärte Reliquien zur Verehrung aussetzt; wenn man mit echten Reliquien Handel treibt etc. etc. –
aus: Leonhard Goffine, Unterrichts- und Erbauungsbuch oder Katholische Handpostille, 1885, S. 481 – S. 483
siehe dazu auch den Beitrag: Wunder bei den Gebeinen des hl. Stephanus
sowie den Beitrag: Die Reliquien des Passionsblutes Christi