Nur der werktätige Glaube macht selig
Schon zu den Zeiten der Apostel ist der Irrtum aufgekommen: der Glaube allein macht selig, auf die Werke kommt es nicht an: der Glaube ist nur eine Tugend des Verstandes, nicht des Willens, d. h. wenn nur der Verstand fest glaubt, daß Jesus Christus für alle Sünden genuggetan und Allen, die an Ihn glauben, die ewige Seligkeit verheißen hat, so ist das zum Heil genug; der Wille braucht sich an diesem Glauben nicht zu beteiligen. Dagegen lehrt der hl. Jakobus und die katholische Kirche, daß nur der werktätige Glaube selig mache.
1. Was versteht nun die Kirche unter dem werktätigen Glauben?
Sie verlangt von dir, daß mit der gläubigen Überzeugung deines Verstandes die Tätigkeit deines Willens harmoniere, daß du, wie du innerlich gesinnt bist, auch äußerlich handelst; z.B. du glaubst an die Allgegenwart Gottes: rede also und handle stets so, wie deine Vernunft und dein Gefühl dir in der Gegenwart Gottes zu reden und zu handeln befiehlt; du glaubst: „Selig sind die Sanftmütigen, die Friedfertigen, die Keuschen, die Barmherzigen: wenn du aber tobst und fluchst, streitest und Prozesse führst, mit Auge und Mund, mit Leib und Seele unkeusch bist, wenn du die Armen und Leidenden von deiner Türe wegweisest, – wie kannst du dir und Andern noch einreden, daß du dies glaubst? „Was hilft es, mein Bruder“, schreibt der hl. Jakobus 2, 14, „wenn Jemand sagt, er habe den Glauben, hat aber die Werke nicht? Kann wohl der Glaube ihn selig machen?“ Auf diese Frage antwortet der hl. Paulus voll Kraft: „Und wenn ich allen Glauben hätte, so daß ich Berge versetzte, hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich nichts.“ (1. Kor. 13) Und Jesus Christus lehrt: „Ein jeder Baum, der keine guten Früchte bringt, wird ausgehauen und in das Feuer geworfen.“ (Matth. 7) Achte wohl auf diese Worte: „Ein jeder Baum“, d. h. jeder Mensch, habe er viel oder wenig Glauben, wird von Gott verstoßen und ins Feuer geworfen, wofern er nicht auch gute Früchte (gute Werke) bringt. Du kennst ja das entsetzliche Schicksal jenes Feigenbaumes am Wege bei Jerusalem: er stand in allem Blätterschmuck da, aber ohne Früchte; Jesus verfluchte ihn. (Matth. 21) So wird es dem Katholiken ergehen, welcher in vollem Blätterschmuck da steht, d. h. die zwölf Glaubensartikel, die sieben heiligen Sakramente, die göttlichen Gebote und die evangelischen Räte kennt, aber keine guten Werke tut.
2. Wie kannst du deinen katholischen Glauben werktätig machen?
Das beste Mittel ist die Übung; denn „Übung macht den Meister“. Jeden Morgen beim Erwachen erwecke in dir den Glauben gerade in der Weise, wie er sich dir in der Festzeit vorstellt. Der heutige Tag z. B. fällt immer in den Osterkreis: grüße also beim Aufwachen in heiliger Freude den auferstandenen Jesus, der dir von dem Tabernakel her zuruft: „Der Friede sei mit dir“, und die Wundmale seiner Liebe an den Händen, an den Füßen und an der Herzseite zeigt: küsse dieselben mit inniger Dankbarkeit und sprich mit Thomas: „Mein Herr und mein Gott!“ Dir will ich leben, der Du für mich eines so schmerzlichen Todes gestorben und von den Toten auferstanden bist, damit ich in Dir ewig lebe: Dir weihe ich die Pulse meines Herzens, die Gedanken meines Geistes, die Worte meiner Zunge, die Arbeiten meiner Hände, die Schritte meiner Füße: segne mich, damit ich Dir meine Vorsätze und Versprechungen, die ich bei der heiligen Oster-Beichte und Kommunion gemacht, heute treu erfülle: segne mich auf die Fürbitte der süßen Mutter Maria, der heiligen Schutzengel und der heiligen Patrone, damit ich mit meinem Kreuz Dir nachfolge auf dem Wege zum ewigen Leben. So wird die heilige Osterfreude in deiner Seele forttönen, der Glaube dein Tagwerk heiligen, d. h. er wird mit jedem Tag werttätiger werden. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 331-332