Die Reliquien des Passionsblutes Christi

Christus hängt, halb nackt und mit einer Dornenkrone "geschmückt", mit ausgebreiteten Armen am Kreuz

Kirchenlexikon: Die Reliquien des Passionsblutes Christi

Geschichtliche Zeugnisse für die Existenz von Reliquien des Passionsblutes,

welche direkt die Existenz von solchen Reliquien auf Erden bezeugen, sind nicht zahlreich. Die vorhandenen reichen jedoch hin, dieselbe außer Zweifel zu stellen. Wegen des Besitzes des lebendigen Blutes Christi in der heiligen Eucharistie sprechen die Kirchenväter wenig von den Reliquien desselben. Der Wert und die Würde dieser Reliquien werden aber diejenigen Kirchen, welche sie besaßen, bestimmt haben, in den Jahrhunderten der Christenverfolgungen dieselben vor den Heiden und Häretikern geheim zu halten. Das Nämliche wird bei dem Verfall des weströmischen Kaisertums und im Anfang des Mittelalters der Fall gewesen sein. Auch die Kirche des Orients, zerrissen durch politische Parteien und aufgeregt durch theologische Streitigkeiten, hatte Ursache, solche Schätze den Blicken und der Kenntnis der großen Masse zu entziehen. Zudem dachten die Christen früherer Jahrhunderte nicht daran, daß der Forschergeist und die Zweifelssucht künftiger Zeiten die Erhaltung schriftlicher Dokumente notwendig machen würde. Die Verehrung, welche solchen Reliquien seitens der Vorfahren zu Teil geworden war, galt den Nachkommen als Gewähr für deren Echtheit.

Wie groß aber die Verehrung des gläubigen Volkes gegen die Reliquien des Heilandes war, zeigen uns schon die vielen Pilgerzüge in früherer und jetziger Zeit zur Verehrung der blutbefleckten heiligen Stiege aus dem Gerichtshof des Pilatus zu Rom, des Grabtuches zu Turin, des Lendentuches zu Aachen und der Geißelsäule zu Rom, von welcher der hl. Hieronymus bezeugt, daß man noch zu seiner Zeit die daran befindlichen Blutflecken zu erhalten suchte, zur Verehrung der Reliquien des Passionsblutes zu Jerusalem, zu Rom, Mantua, Boulogne, Brügge, Weingarten in Württemberg, Reichenau in Baden, Stams in Tirol, Niederachdorf und Lohe bei Regensburg, Bobingen und Gattingen bei Augsburg.

Ebenso müssen wir annehmen, daß die ersten Christen und Anhänger des Herrn sein heiliges Blut nicht haben mit Füßen treten und verunehren lassen. Die große Sorgfalt der ersten Christen bei Aufsammlung und Aufbewahrung des Blutes von Märtyrern läßt darauf schließen, daß man das Blut Jesu Christi auf dem Kalvarienberg gewiß möglichst wird aufgesammelt haben. Für den Glauben des Mittelalters zeugt die Sage vom heiligen Gral, d. i. von jenem Gefäß, worin Joseph von Arimathäa das Blut aus der Seitenwunde des Herrn aufgefangen haben soll. Dieselbe stützt sich großenteils auf die apokryphen Evangelien, insbesondere auf das des Nikodemus, welches trotz seines dogmatischen Unwertes als historisches Zeugnis nicht ohne Belang ist. Den Inhalt dieser historischen Zeugnisse und der konstanten Tradition des gläubigen Volkes gibt der Erzbischof von Lincoln auf dem (unten benannten) englischen Nationalkonzil von 1247 mit folgenden Worten wieder:

„Nach dem Tode Jesu verlangte Joseph ohne Furcht den Leichnam Jesu und erhielt denselben, weil er, wie man glaubt, ein einflussreicher Mann war. Trotz des Murrens der Juden löste er den mit Blut und Wunden bedeckten heiligen Leib in frommer Ehrfurcht vom Kreuz ab. Um diesen ehrwürdigen Leib nicht unehrerbietig zu berühren, hatte er sich mit einem weißen Linnentuch umgürtet. Er trocknete darauf von den noch feuchten und blutigen Wunden und den äußersten Enden des Kreuzes, wo die Nägel Hände und Füße des Herrn durchbohrt hatten, sogfältig das Blut ab. … Als er den Leichnam in die Nähe der Grabesstätte gebracht, wusch er denselben ganz und bewahrte in einem sehr reinen Gefäß das gebrauchte und vom Blut gerötete Wasser auf. Noch ehrfurchtsvoller hob er das Blut auf, welches aus seinen Füßen und Händen geflossen… Beide Reliquien bewahrte er als ein unschätzbares Kleinod für sich und seine Nachkommen.“

Diese ganze Erzählung, sagen die Bollandisten, enthält nichts, was nicht bis auf die unbedeutendsten Einzelheiten durchaus glaubwürdig wäre. Man kann mit Grund annehmen, daß die frommen Gläubigen, welche Jesum beerdigten, auf gleiche Weise das Blut aufsammelten, welches auf die Erde geflossen (Bolland. Martii, II, 378).

Den Glauben an die Existenz von Reliquien des Passionsblutes bezeugt sodann eine beständige und allgemeine Tradition des ganzen Orients. Das Menologium graecum, von Kardinal Sirlet ins Lateinische übersetzt, sagt über den Eremiten Barypsabas, der im 4. Jahrhundert lebte, Folgendes: „Auf denselben Tag (10. Sept.) fällt das Martyrium des heiligen Barypsabas. Derselbe hat von einem frommen und gottesfürchtigen Einsiedler das kostbare Blut des Erlösers empfangen, welches aus seiner Seitenwunde geflossen, und heilte damit viele Kranke. Er wurde in einer Nacht heimtückischer Weise von Ungläubigen ermordet, welche dieses wunderbare Heilmittel zu besitzen wünschten. Aber der Schatz wurde durch einen seiner Schüler gerettet“ (Boll., Septembris III, 494). Das Synaxarium des P. Sirmond gibt über den Tod dieses Märtyrers noch besondere Einzelheiten. Nach ihm kam die durch eine besondere Fügung der göttlichen Vorsehung gerettete Reliquie nach geraumer Zeit in den besitz von Konstantinopel (Boll. I. c.). Die griechischen Akten, welche P. Stilting vor Augen hatte, und welche viel älter waren als Metaphrastes (zu Anfang des 10. Jahrhunderts), enthalten dieselben Mitteilungen. Leo Allatius, angeführt bei Papebroch, war der Meinung, daß diese Akten wenigstens aus dem Anfang des 6. Jahrhunderts datierten.

Derselben Ansicht ist Stilting, welcher den betreffenden Kodex in der Vatikanischen Bibliothek untersucht hat. St. Germanus, Erzbischof von Konstantinopel (715 bis 730), bemerkt, indem er das Wort „sacer crater“ (heiliger Gral) erklärt: „Sacer crater ist das heilige Gefäß, in welches man das Blut aufnahm, das aus der durchbohrten hehren Seite und aus den Wunden der Hände und Füße Christi floss“ (Germ., Archiep. C.P. In myst. Theor. Rer. eccl., Biblioth. P. Graec. II, 150) Ein Jahrhundert nach St. Germanus sagt Georg, früher Vorsteher des Archivs der Kathedrale (Ecclesiae magnae) von Konstantinopel, seit 867 Erzbischof von Nikomedien, in einer Predigt Folgendes über die Aufsammlung von Passionsblut durch die heilige Jungfrau: „Wie sehr wurde sie, indes man seine einzelnen Glieder durchbohrte, in ihrer Seele verwundet! Wie floss das Blut aus seinen Wunden, und bittere Tränenbäche aus ihren Augen! … Indem sie ihn dann so mitleidig anschaute und das Blut und das Wasser, das aus seiner Seite floss, mit großem Verlangen und großer Verehrung aufsammelte, übergab sie sich ganz der Sorge für seine Bestattung“ (Combéfis, Biblioth. Patrum III, 952 sq.). Ähnliches berichtet uns aus der Rede eines Ungenannten Metaphrastes, 911 Geheimschreiber des Kaisers Leo des Philosophen (1.c.VIII, 88).

Im Jahre 950 verfaßte ein unbekannter Autor die Geschichte einer Übertragung des heiligen Blutes von Jerusalem nach Europa. Dieselbe wurde zuerst veröffentlicht durch Mabillon (Annales III, 699), dann nach der alten Handschrift abgedruckt in den Monumenta Germaniae (SS. IV, 445): Translatio Sanguinis Domini. Diese Reliquie war ein Geschenk des Statthalters von Jerusalem, Azan, an Karl den Großen, von welcher heute noch ein Teil in Reichenau (Baden) verehrt wird. Hermann, Mönch von Reichenau (gest. 1054), bezeugt in seiner Chronik, daß im Jahre 923 Passionsblut in diese Abtei übertragen worden sei (Monum. Germ. SS. V, 112). Dieselbe Tatsache bezeugen uns die Jahrbücher von Reichenau (ibid. I, 68) und der Fortsetzer des Regino (ibid. I, 615); ferner der berühmte Geschichtsschreiber Ekkehard, der gegen 1100 schrieb (ibid. VI, 20), der sächsische Annalist, welcher gegen die Mitte des zwölften Jahrhunderts lebte (ibid. Ad ann. 923), und Sigibert der gegen 1130 geboren wurde (ibid. Pag. 346). –

Um diese Zeit lebte zu Konstantinopel der fromme und gelehrte Basilianer-Mönch Euthymius Zigabenus. In seiner Schrift gegen die Bogumilen, welche in einer lateinischen Übersetzung noch erhalten ist, findet sich folgende Stelle: „Daß nicht ein Scheinbild von Christus, sondern Christus selbst im Fleisch gekreuzigt worden ist, beweist das Blut, welches aus seinen Wunden geflossen ist und noch jetzt von den Christen aufbewahrt wird und Kranke heilt; daß dies das wahre Blut Christi ist,, wird durch die vielen Wunder bestätigt“ (Euthymius, Orthodaxae fidei Panoplia 2, 24 p. 61, Lugd. 1536, Venet. 1575).

Im 13. Jahrhundert wird die Tradition über die Existenz von Reliquien des Passionsblutes allgemein. Unter Ludwig dem Heiligen kam eine solche von Kaiser Balduin von Konstantinopel geschenkte, mit offiziellen Urkunden versehene Reliquie nach Frankreich (Du Breuil, Theatr. Antiq. Paris 1, 103). Graf Dietrich von Elsaß brachte 1148 eine nach Brügge in Flandern (Essai sur l`histoire du Saint Sang etc. par l`abbé C. C., Bruges 1850). Gegen 1247 kam eine solche unter König Heinrich III. nach England, und es wird berichtet, daß der vom Patriarchen von Jerusalem mit der Überbringung derselben beauftragte Tempelherr dem König zugleich ein mit den Siegeln des Patriarchen, der Erzbischöfe, Bischöfe Äbte und anderer kirchlichen Würdenträger des heiligen Landes versehenes Schriftstück übergab, worin bezeugt war, daß dieses Blut wahrhaft und wirklich von dem herrühre, welches Jesus am Kreuz vergossen habe. König Heinrich III. veranlaßte damals das schon oben angeführte Nationalkonzil von 1247 und legte demselben die Frage über die Echtheit der heiligen Reliquie zur Entscheidung vor. Das Konzil gab einstimmig die Erklärung ab, daß die beigebrachten Beweisstücke keinen Zweifel mehr übrig ließen, und daß dieselbe also wahrhaft ein Teil des Passionsblutes unseres Erlösers sei (Matth. Paris. Hist. Angl. ed. Wats, Lond. 1840, 735). Über die Reliquie in Weingarten sehe man Fr. Schurer, das heilige Blut in Weingarten und seine Verehrung, Waldsee 1880. Man vergleiche auch: Das heilige Land, Organ des Vereins vom heiligen Grab, XXIII, 5, 150, Köln 1879. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 2, 1883, Sp. 928 – Sp. 932

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