Notwendigkeit der Vergebung unserer Sünden

Christus hängt, halb nackt und mit einer Dornenkrone "geschmückt", mit ausgebreiteten Armen am Kreuz

Wie kostbar ist jeder Tropfen jenes teuren Blutes!

Die Notwendigkeit der Vergebung unserer Sünden

Wir haben viele Worte vorgebracht um eine einfache Sache zu beweisen, eine Sache, die gar keines Beweises bedurfte. Allein es überzeugt uns nachdrücklicher und mehr im Einzelnen von der Notwendigkeit des kostbaren Blutes.
Doch seine große Notwendigkeit besteht in der Notwendigkeit, daß uns unsere Sünden vergeben werden; in der Notwendigkeit über alle erschaffene Dinge unsern teuersten Gott und Vater zu lieben. Laßt uns einen Augenblick nachdenken.

Die tiefe Stille eines Sommer-Nachmittags herrscht rings um uns. Jene hohen Kastanien stehen da bis zum Fuße eingehüllt in ihren schweren Mantel dunkelgrünen Laubes, von dem nicht ein Blatt sich regt. Kein Wasser rauscht, kein Vöglein singt, kein Tierchen regt sich im Grase. Jene Schichten weißer Wolken haben keine bemerkbare Bewegung. Die Stille ist nur einen Augenblick unterbrochen worden, als die Glocke der Kirche schlug, die hinter einem Gürtel von Ulmen verborgen liegt, und der Schall war so gesänftigt und gedämpft durch die Blätter, daß er fast einem Tone glich, der dem Waldlaub so natürlich ist. Wir schließen unsere Augen nicht; dennoch hat die Ruhe der Szene uns weit über sie hinaus geführt.

Was sind Zeit und Erde, Schönheit und Friede für uns? Was ist irgend etwas für uns, wenn unsere Sünden nicht vergeben werden? Ist nicht dies unser einziges Bedürfnis? Kommt nicht unsere ganze Glückseligkeit daher, daß dieses einzige Bedürfnis befriedigt wird? Der Gedanke, daß es unbefriedigt ist, ist nicht auszuhalten.
Die Zeit, so ruhig und sich gleich bleibend wie diese Sommer-Mittagszeit, macht, daß wir an die Ewigkeit denken, und gibt uns den Schatten eines Begriffes von ihr. Allein dem Gedanken an die Ewigkeit können wir nicht ins Gesicht sehen, wenn unsere Sünden nicht vergeben werden.

Aber ein ewiges Verderben, ist dies etwas Mögliches? Möglich! Ja, unvermeidlich, wenn unsere Sünden nicht vergeben werden. Den Verlust der Seele eines andern zu betrachten ist ein häßliches Ding. Es wird immer größer, während wir darauf hinblicken, bis unser Kopf verwirrt und Gott verdunkelt wird. Es ist eine Möglichkeit, von der wir uns abwenden. Was können wir also mit der Tatsache anfangen?

Wir denken an die Leiden und die Freuden einer Seele, an die schöne Bedeutung ihres Lebens, an ihre mannigfaltige Liebenswürdigkeit und Großherzigkeit und an all das Gute, das wir zerbrochene Kristalle mitten unter ihrem Bösen schimmerte. Wie viele Personen liebte sie! Wie manches Leben anderer versüßte und erheiterte sie! Wie anziehend war sie oft in ihrer fröhlichen Sorglosigkeit in Betreff ihrer Pflicht! Gott liebte sie, sie war die Idee seiner Seele, eine ewige Idee. Sie kam in die Welt und seine Liebe haftete an ihr wie ein Glorienschein. Sie schwamm im Lichte seiner Liebe, wie die Welt bei Tag und bei nacht in einem Strahlenglanze schwimmt. Sie ist in die Finsternis hinab gegangen. Sie ist eine Ruine, ein gescheitertes Schiff, ein verfehlter Zweck, ein ewiges Elend.

Die Sünde! Was ist die Sünde, daß sie dies alles tun soll? Warum gab es eine Sünde? Warum ist die Sünde überhaupt Sünde?

Wir wenden uns an die Majestät Gottes um es zu erfahren. Instinktmäßig erheben wir unsere Augen zu jener Mittagssonne und sie blendet uns nur. Die Sünde ist Sünde, weil Gott Gott ist. Wir kommen in dieser Richtung nicht weiter.
Jene Seele, irgend eine Seele ist verloren. Was wir denken, können wir nicht in Worten ausdrücken.

Aber unsere eigene Seele! Jene Seele, die unser eigenes Ich ist! Können wir, wenn wir uns noch so sehr Gewalt antun, denken, daß sie verloren ist? Nein, unser eigenes Verderben ist absolut undenkbar. Die Hoffnung läßt uns nicht daran denken; aber wir wissen, daß es möglich ist.

Wir fühlen zuweilen, daß die Möglichkeit in die Wahrscheinlichkeit übergehen will. Wir wissen, wie sie verloren gehen kann, und bemerken wirkliche Gefahren, und in dieser Richtung sehen die Sachen nicht zu unserer Befriedigung aus. Aber sie darf nicht verloren gehen; sie soll nicht verloren gehen; sie kann nicht verloren gehen. Der Gedanke an etwas solches ist Wahnsinn.

Seht also die gebieterische Notwendigkeit des kostbaren Blutes. Jene herzlosen Kastanienbäume! Wie stehen sie da und neigen sich über die ungemähten Wiesen hin, die im Sonnenschein glühen, als ob es keine Rätsel in der Welt gäbe, keine Unruhe im Herzen! Sie machen uns ärgerlich. Gerade ihre Stille hat uns auf diese Gedanken gebracht; gerade ihre Schönheit macht den Gedanken an ewiges Elend noch unerträglicher. Aber wir wollen gerecht gegen sie sein; sie haben auch das Verständnis jener unaussprechlichen Notwendigkeit des kostbaren Blutes etwa tiefer in unsere Seele hinein gebracht.

Wie kostbar ist jeder Tropfen jenes teuren Blutes! Wie weit wunderbarer als alles, was die natürliche Welt enthält, ist jedes jener Wunder, die es jeden Tag nach tausenden wirkt! Wie würde die Schöpfung durch einen einzigen Tropfen davon bereichert werden, da unendliche Schöpfungen seinen Wert nicht erreichen könnten, und wie würde die Geschichte der Schöpfung verherrlicht werden durch eine einzige Offenbarung seiner allmächtigen Barmherzigkeit! Was sollen wir also von seiner Verschwendung denken?

Und doch ist diese Verschwendung nicht eine bloße prachtvolle Darstellung der göttlichen Liebe. Sie ist nicht bloß ein göttliches Phantasie-Gebilde. Sie wäre in der Tat anbetungswürdig, wenn sie auch nur dieses wäre; aber nach meiner Ansicht ist es noch göttlicher, daß diese Verschwendung selbst eine absolute Notwendigkeit sein sollte und daher in der majestätischen Ruhe und Gleichförmigkeit der göttlichen Ratschlüsse überhaupt keine Verschwendung ist. –
aus: Frederick W. Faber, Das kostbare Blut oder Der Preis unserer Erlösung, 1920, S. 81 – S. 85

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