Der notwendige Schmerz über unsere Sünden

Christus hängt, halb nackt und mit einer Dornenkrone "geschmückt", mit ausgebreiteten Armen am Kreuz

Das Buch der Auserwählten

Der Schmerz über unsere Sünden ist notwendig

Um diese Gemütsbewegung in uns zu erwecken, welche eine der wichtigsten und notwendigsten ist, bedarf es nur des Gedankens, daß wir selbst die Ursache des bitteren Leidens sind, daß unsere Sünden den Heiland in Haft und Bande, zur Geißelung und Dornenkrone und zuletzt ans Kreuz geliefert haben, laut Erklärung des ewigen Vaters selbst durch den Mund des Propheten: Um der Sünde meines Volkes willen schlug ich ihn. (Isai. 53,8). Er ist verwundet – so heißt es bei demselben Propheten – um unserer Missetaten willen, zerschlagen um unserer Sünden willen. (ebd. 5) In der Tat, zu welchem Ende würde sonst wohl der Sohn Gottes haben leiden wollen, wenn es nicht zur Genugtuung für unsere Sünden geschehen wäre; es ist einleuchtend, daß er sich, ohne diesen Grund, zu solchem befremdlichen, seiner Würde und Herrlichkeit so fernen Geschicke nicht würde entschlossen haben.

Wir müssen demnach diese Wahrheit, daß wir die eigentlichen Urheber aller Qualen sind, die der Heiland gelitten hat, tief dem Gemüt einprägen, und sodann die Würde seiner Person, sowie die Mannigfaltigkeit und Strenge dieser Qualen betrachten; dies wird uns sicherlich zur Reue bewegen. Denn wir würden ja selbst betrübt sein, wenn wir auch nur den tausendsten Teil solches Leidens einer unendlich geringen Person verursacht hätten.

Erwägen wir, daß derjenige, dessen Leiden wir verschuldet haben, der König der Könige und der Herr der Herren ist, die unendliche Majestät, der Schöpfer des Himmels und der Erde, vor dem die Cherubim und Seraphim ehrfürchtig zittern und die mächtigsten Monarchen nur Atome sind; den auch nur mit dem leisesten Schlage und der geringsten Unbild zu kränken ein solcher Frevel, eine so entsetzliche Untat wäre, daß es besser sein würde, alle Engel zu vernichten, alle Menschen zu töten und die ganze Welt zu zerstören. Würde es ja auch weit minder schlimm sein, alle Würmer der Erde zu vertilgen, als einem einzigen Menschen das Leben zu nehmen; und Gott ist in einem unendlich höheren Grade über all` seine Geschöpfe erhaben, als der Mensch über die Würmer.

Erwägen wir ferner, daß diese allerhöchste Majestät, vor welcher das gesamte Weltall bloß ein Körnchen Staub und deren mindeste Beleidigung ein so schlimmes Übel ist, wie eben gesagt worden, des ungeachtet alle Schmach und die furchtbarsten Qualen erlitten hat, wie die strengste Gerechtigkeit in ihrem äußersten Grimm sie nicht über die ruchlosesten Verbrecher und die niedrigsten Sklaven hätte verhängen können: eine Geißelung voll unerhörter Grausamkeit; eine beispiellose Krönung mit Dornen; Backenstreiche, Ausraufung des Bartes und Haupthaares, Besudelung mit Speichel, die empörendsten Unbilden aller Art und zuletzt die schimpflichste und grauenvollste Hinrichtung mitten zwischen zwei Schächern. Erwägen wir endlich, um zum Hauptpunkt zu kommen, wie wir die Schuld sind, daß diese unendliche Majestät, dieser aller Ehre würdige Gott solche unaussprechliche Drangsale erlitten; wie wir durch unsere Missetaten ihn in den bejammernswürdigsten Zustand versetzt haben: so wird`s unmöglich sein, ungerührt zu bleiben. Dies sehend, glaubend, von dieser unbezweifelbaren Wahrheit überzeugt, – wie möchten wir wohl umhin können, dem Herrn zu bezeugen, es tue uns aus innerstem Herzen leid, daß wir ihn so viel Trübsal verursacht haben, und ihn um Verzeihung darum zu bitten.

Im vierten Buch der Könige wird berichtet, Mesa, König von Moab, habe, gedrängt von den drei verbündeten Königen von Israel, Juda und Edom, die ihn in seiner Hauptstadt belagert hielten, auf der Ringmauer derselben vor ihren Augen seiner erstgeborenen Sohn und künftigen Thronfolger als Brandopfer geopfert; worauf jene, von großem Unwillen, oder, nach der Verdolmetschung der Siebenzig, von großer Reue bei dem Anblick ergriffen, die Belagerung aufhoben und sich in ihr Land zurück zogen. (4. Kön. 3) Wir haben wohl unvergleichlich mehr Ursache, bestürzt und betrübt zu sein: Gott den Herrn haben wir dahin getrieben, seinen eingebornen Sohn zum Opfertode zu liefern, und diesen, sich solcher strengen Gerechtigkeit zu unterwerfen.

Ach! Was haben uns Beide jemals getan, um sie also zu behandeln? Wenn wir den Heiland im Ölgarten in ein Meer vor Traurigkeit und Angst versenkt sehen; wenn wir ihn grausam gegeißelt und zerfleischt, dem Mutwillen einer zügellosen Rotte preisgegeben, an einem Schandbalken ihn unter unnennbarer Schmach und Qual sterben sehen: welchen Grund, welche Entschuldigung können wir dann für solche Leiden, die wir auf sein Haupt laden, ihm anführen? Welchen Vorwurf können wir ihm machen, und welche Klage über ihn erheben? Üben wir solches Unmaß von Bosheit gegen ihn aus, weil er uns aus dem Nichts gezogen, in dessen finsterem Schoße wir ohne ihn noch lägen? Weil er uns das Ebenbild seiner Gottheit aufgedrückt? Weil er uns über alle andern irdischen Geschöpfe erhöhet? Weil er die ganze Welt zu unserm Dienste angeordnet und uns seiner eigenen Herrlichkeit fähig gemacht hat? Solche Wohltaten und Auszeichnungen, welche zur innigsten Dankbarkeit und Liebe entflammen sollten, vergelten wir mit Schmach, Hohn und Qualen. – So haben wir denn keine Ursache, also mit ihm zu verfahren, und sich nicht im Stande, etwas zu unserer Rechtfertigung vorzubringen.

Dagegen kann der gute Heiland in seiner Betrübnis, unter dem Hagel grimmiger Streiche, in all seinem Blut, bei den unwürdigen Misshandlungen und auf seinem harten Todesbett die bittersten Klagen wider uns führen. O Mensch! So ruft er uns zu, was hab` ich dir getan, daß du so grausam gegen mich bist? Welch Leid und Unrecht hab` ich dir zugefügt, daß mich also schlägst und mißhandelst? Ich habe dich mit ewiger unendlicher Liebe geliebt, und darum lohnst du mir mit so heftigem Hasse? …
Was vermögen wir auf solche Klagen zu erwidern? Was solchen Vorwürfen entgegen zu halten? Wohl nichts Anderes, als ein demütiges Bekenntnis unserer Ungerechtigkeit, Reue und Tränen.

Der seligen Angela von Foligny widerfuhr es, wenn sie irgend eine Abbildung von einem Geheimnis der Passion erblickte und sie sich nun vorhielt, sie habe selbst dem Heiland solches Leiden verursacht, daß sie vom lebhaftesten Schmerz ergriffen und von großem Leid krank wurde; weshalb ihre Gefährtinnen, um solchem Begegnis vorzubeugen, genötigt waren, alle Bilder der Art ihren Augen zu entrücken. – Von einem gewissen Mann aus der Stadt Dinant im Lütticher Land wird berichtet, er habe auf seiner Reise im heiligen Land im Jahre 1216 alle die ehrwürdigen Orte, die der Gottmensch mit seiner Gegenwart beehret, einen nach dem andern mit frommer Andacht besucht; und da er nun zuletzt zu dem Kalvarienberg und der Richtstätte kam, sei er bei der Erinnerung alles dessen, was sich dort begeben, von einem unaussprechlichen Schmerz durchdrungen worden; seine Augen wurden zu zwei Tränenbrunnen, er brach in lautes Geschrei aus, die Adern seines Herzens sprangen und tot stürzte er nieder auf dem Platz. (Spondan. Ad annum Christi 1216, n. 19) Dieser Mann, so wie die selige Angela hatte nicht mehr Ursache ob dem leiden Jesu zu trauern, als wir, denn wir sind wohl eben so schuldig daran wie sie. So laßt uns denn einigen Teil wenigstens an ihrem Schmerze nehmen.

Jener Burchard, der an der Spitze einer Mörderrotte zuerst Karl, den heiligen Grafen von Flandern, anfiel und einen tödlichen Streich auf sein Haupt führte, fühlte sich hernach von schrecklicher Qual erfaßt über seine blutige Untat; stets sah er den guten Fürsten, der eben noch vor seiner Ermordung einem armen Weibe ein Almosen spendete, vor den Augen seines Geistes; der Tod, wozu er von der Justiz verurteilt wurde, schien ihm nicht Strafe und Sühne genug für sein Verbrechen, so daß er bat, ihm möchte vorher die rechte Hand, womit er den unseligen Streich vollführt, abgehauen werden. Als man ihm seine Bitte nicht gewährte, bat er, man möchte ihm denn erlauben, selbst diese gerechte Rache an sich zu vollziehen. Da ihm auch dieses abgeschlagen wurde, konnte er sich nicht enthalten, öffentlich seine Tat als die aller schändlichste und boshafteste zu verfluchen und unter einem Strome von Tränen Himmel und Erde um Verzeihung anzurufen, indem er gestand, alle Foltern, die die größte Grausamkeit nur erfinden könnte, zu verdienen. Dann stieg er bereitwillig das Rad hinan und breitete Arme und Beine in gehöriger Lage darauf hin, worauf die traurige Folter begann. Während derselben, von neun Uhr vormittags bis zum Anbruch des andern Morgen, wo er verschied, verharrte er in denselben Gefühlen der Reue und fuhr fort, seine Bosheit zu verdammen und Gott und Menschen um Verzeihung zu bitten. – Siehe da ein Beispiel, wonach wir unser Herz zu Schmerz und Reue erwecken können ob der Freveltat, welche wir an Jesu Christo, unserm allerhöchsten Herrn, verübt haben; denn grausam töteten wir ihn und zwar zur Zeit, wo er seine Gaben uns freigebig mitteilte und uns Gutes tat.

– Ein Jeder von uns kann wohl (…) von sich selber sagen in der Bitterkeit seiner Seele: ich bin schuld am Tode des Sohnes Gottes, meines Erlösers; meine Sünden und boshaften Taten sind`s, die ihn getötet haben. –
aus: de Saint-Jure SJ, Das Buch der Auserwählten oder Jesus der Gekreuzigte, 1851, S. 118 – S. 124

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