Die Reichtümer des Heiles: Weisheit und Wissenschaft
Betrachtung zum 15. Dezember
Divitiae salutis sapeintia et scientia; timor Domini ipse est thesaurus ejus.
Reichtümer des Heiles sind Weisheit und Wissenschaft; die Furcht des Herrn, sie ist sein Schatz.“ (Isai. 33, 6)
1. Bedenke: wie es sinnliche Reichtümer gibt, so gibt es auch geistige. Die sinnlichen Reichtümer sind, je mehr sie geliebt werden, ihren Besitzern desto mehr Ursache, daß sie auf ewig ihre Seelen verlieren. Darum werden sie auch Reichtümer des Verderbens genannt: „Dein Geld gehe mit dir ins Verderben.“ (Act. VIII. 20) Die geistigen hingegen sind, je mehr sie geliebt werden, ihren Besitzern Ursache, daß sie ihre Seelen retten. Und darum heißen sie auch Reichtümer des Heiles. Die sinnlichen Reichtümer haben die Eigentümlichkeit, daß sie, wenn man sie aufbewahrt, gar nichts Gutes bringen; im Gegenteil, sie bringen vielmehr alles Übel mit sich, – wegen der übergroßen Anhänglichkeit an sie, durch welche man unvermerkt gefesselt wird, wenn man sie aufbewahrt. Sie bringen das Übel der Schuld, und das Übel der Strafe mit sich; und gereichen darum wahrhaft zum Verderben: „Die Reichtümer aufbehalten, sind zum Unheil ihres Besitzers.“ (Eccl. V. 12)
Die geistigen Reichtümer dagegen haben die Eigenschaft, daß sie, wenn man sie aufbewahrt, alles Glück mit sich bringen; das Glück der Gnade und das Glück der Herrlichkeit; und darum sind sie wahrhaft zum Heil. Und entgegne mir nicht, daß auch die erstgenannten, die sinnlichen Reichtümer nämlich, etwas Gutes bringen können. Denn, bringen sie wirklich etwas Gutes, so geschieht dies nicht, wenn man sie aufbewahrt, sondern man sie ausgibt. Und was sind also dies für Reichtümer, die dir bloß dann Gutes bringen, wenn du sie nicht mehr hast? Nicht so die geistigen. Diese bringen dir Heil, wenn du sie hast. Und obgleich man sie auch, gleich den sinnlichen, Anderen mitteilen kann, so verliert man sie doch keineswegs durch diese Mitteilung, wie wir dies bei jenen beklagen; im Gegenteil, gerade dann gewinnt man noch mehr, da du immer desto reicher an Geist wirst, je mehr du Anderen die dir von Gott verliehenen Reichtümer mitteilst, – bald, indem du einen Unwissenden belehrst; bald, indem du einen Lasterhaften zurecht weist; bald, indem du einem Zweifelnden recht ratest; bald endlich, indem du einen Betrübten tröstest. Wer sollte also glauben, daß die Schar derer, welche den sinnlichen Reichtümern nachgehen, um so viel größer ist, als die Zahl jener, welche nach den geistigen Reichtümern streben? Siehe nur, mit welchem Eifer, mit welch großen Anstrengungen die Menschen sich Tag für Tag bemühen, eine Menge von Reichtümern, welche dem Leibe zusagen, fort und fort aufzuhäufen! „Er ist allein und hat Niemand neben sich, nicht Kind, nicht Bruder; und doch hört er nicht auf, sich abzuarbeiten, und seine Augen werden nicht satt an Reichtümern.“ (Eccl. IV. 8) Um aber jene Reichtümer aufzuhäufen, welche dem Geist nützen, – wo findest du wohl einen, der auch nur die Hälfte von all dem Eifer und von all der Anstrengung aufwenden möchte? Du, was dich betrifft, erinnere dich, daß man die sinnlichen Reichtümer bisweilen zum Geschenk erhalten kann, wie dies zum Beispiel bei Erbschaften der Fall ist; daß man aber die geistigen nie ohne eigene Arbeit erlangt: „Die lässige Hand stiftet Armut; die Hand der Starken aber schafft Reichtum.“ (Prov. X. 4)
2. Erwäge, worin die Reichtümer bestehen, welche hier Reichtümer des Heiles heißen. Sie bestehen in der Weisheit und in der Wissenschaft. Die Weisheit hat unser letztes Ziel, das Gott ist, zum Gegenstand; die Wissenschaft aber befaßt sich mit den Mitteln, welche uns zu jenem großen Ziel führen. Der besitzt daher auf Erden die wahre Weisheit, der einsieht und versteht, welches das Ziel sei, zu dem er geschaffen ist; und der deshalb weder die Gunst der Großen, noch die Vergnügungen, noch das Geld, noch die hohen Stellen, noch die Ehre, noch irgend einen anderen jener eitlen Götzen, welche die Welt anbetet, sich zum Ziele setzt. Und der besitzt die wahre Wissenschaft, der, nachdem er sein letztes Ziel erkannt, auch zu beurteilen weiß, welches die geeignetsten und wirksamsten Mittel seien, um jenes Ziel zu erreichen. Diese Weisheit und diese Wissenschaft aber werden Reichtümer des Heiles genannt: „Reichtümer des Heiles sind Weisheit und Wissenschaft“; weil sie es sind, die uns das ewige Heil bringen. Hingegen, – hast du sie verloren, so hast du auch dein Heil verloren. Gehe nun recht tief in das Innere deines Herzens ein, und siehe dich ein wenig um, ob du diese Reichtümer darin findest. Sind sie nicht vorhanden, so befleiße dich ernstlich, sie dir zu verschaffen, – sowohl durch deine eigene Bemühung, die zur Erlangung solcher Reichtümer unumgänglich notwendig ist; als auch durch ein unablässiges Flehen zu Gott, um gnädige Gewährung derselben. Denn alle deine Anstrengungen, alle deine Mühen vermögen nichts, wenn Gott sie nicht segnet: „Der Segen des Herrn macht reich.“ (ebd. V. 22) Flehe deshalb immer zu Gott, er möge dir Weisheit und Wissenschaft geben: Weisheit, damit du bloß für dein wahres Ziel arbeiten wollest; und Wissenschaft, damit du wissest, wie du für dasselbe zu arbeiten hast.
3. Erwäge: es nützt dir wenig, reich zu sein, wenn du keinen sicheren Ort hast, wo du die von dir erworbenen Reichtümer aufbewahren kannst. Läßt du sie unverwahrt den Dieben ausgesetzt, so läufst du Gefahr, daß du an einem einzigen Tag alles verlierest, was dir kaum durch jahrelange Mühen aufzuhäufen gelang. Wie daher der Geizhals seine Schatz hat, das heißt, eine Kiste, in welcher er unter Schloss und Riegel all sein Gold, das er zusammen gescharrt hat, wohl verwahrt hält; so muss auch der Gerechte einen ähnlichen Schatz haben. Und wer ist dieser? Die heilige Furcht Gottes: „Die Furcht des Herrn – sie ists ein Schatz.“ Denn die heilige Furcht Gottes ist es, die in ihm die Weisheit und die Wissenschaft bewahrt, in welchen all sein Reichtum besteht. Sie bewahrt dieselben vor den Menschen, sie bewahrt dieselben vor den bösen Geistern, und bewahrt dieselben vor seinen unordentlichen Leidenschaften.
I. Sie bewahrt dieselben vor den Menschen. Denn die heilige Furcht, da sie mehr Scheu hat, Gott zu mißfallen, als die Missgunst der Menschen sich zuzuziehen, gestattet nicht, daß diese den gerechten von seinem letztenZiel abwendig machen; und gestattet eben so wenig, daß sie ihn von dem verständigen Gebrauch der Mittel abhalten, welche ihn zu jenem Ziel führen müssen. „Es ist mir besser, ohne das böse Werk in eure Hände zu fallen, als vor dem Angesicht Gottes zu sündigen“ (Dan. 13. 23); sprach die keusche Susanna.
II. Sie bewahrt dieselben vor den bösen Geistern. Denn da sie vor dem Zorn Gottes mehr Scheu hat, als vor der Wut aller höllischen Feinde; so schließt sie sogleich die Ohren vor allen Versuchungen, welche den Gerechten von seinem letzten Ziel abzubringen suchen, – indem sie ihn entweder, lockend auf sein Begehrungs-Vermögen einwirkend, verführen wollen, die hinfälligen Güter zu lieben; oder indem sie sein Gemüt verzagt zu machen trachten, damit er nicht mit Mut und Kraft jedes Mittel anwende, das ihn auf dem rechten Wege zu seinem Ziel erhält: „Er aber, der greise Eleazarus nämlich, antwortete schnell und sprach, er wolle lieber in die Hölle gestürzt werden.“ (2. Mach. VI. 23)
III. Sie bewahrt dieselben vor den unordentlichen Leidenschaften, welche genau den Dieben im eigenen Hause gleichen. Denn da sie viel mehr Scheu hat, Gott zu verlieren, als Alles, was es sonst gibt, lassen zu müssen; so steht sie immer wachsam auf der Hut, um jenen bösen bösen Gelüsten des Herzens nicht zu weichen, wann sie durch Arglist oder durch Gewalt zur Beraubung des Gerechten sich einstellen: „Die den Herrn fürchten, sagt der weise Mann, werden suchen, was ihm wohlgefällig ist“ (Eccl. II. 19); – nicht was ihnen, sondern was ihm wohlgefällig ist. Bei allen Reichtümern der Weisheit und der Wissenschaft, welche du zu besitzen das Glück hast, erachte dich also nie für sicher, wenn du sie nicht in diesem Schatz der heiligen Gottesfurcht wohl verwahrt hältst. Ja, gleichwie der, welcher mehr zu verlieren hat, auch auf eine sorgfältigere Verwahrung bedacht sein muss; so bedarf der, welcher mehr Weisheit und Wissenschaft besitzt, auch mehr noch als andere der heiligen Furcht Gottes. –
aus: Paul Segneri S.J., Manna oder Himmelsbrod der Seele, 1854, Bd. IV, S. 540 – S. 544