Frohe Botschaft – Ein Büchlein vom guten Willen
Vom Entstehen und Vergehen des guten Willens
Es hängt so viel, Leben und Tod, davon ab, ob wir guten Willens sind; der gute Wille, siehe, das ist der gute Mensch! Wo guter Wille ist, da ist der Mensch bei aller Menschlichkeit ehrwürdig, groß und göttlich. Aber, so fragt da mancher nicht ohne Sorge: Werde ich denn auch diesem guten Willen haben können? Und wenn ich ihn wirklich habe, werde ich ihn nicht wieder verlieren?
Die Frage, ob jeder Mensch stets guten Willens sein könne, ist keine müßige Frage. So mancher Mensch, der ganz verstrickt ist in Hass oder Trotz oder Wollust, behauptet mit finsterer Verzweiflung, es sei ihm einfach unmöglich, guten Willen zu haben. Allein mit Fug und Recht kann das nur einer behaupten, dessen Herz aufgehört hat zu schlagen, nur einer, der unter die Toten, die zweifach Toten, die ewig Verlorenen zählt; nur diese können keinen guten Willen mehr haben in Ewigkeit. Bei jedem andern aber, der noch auf Erden atmet, und wäre er auch noch so ‚verworfen‘, ist jenes An-sich-selbst-Verzweifeln nur eine verhängnisvolle Täuschung, eine mehr oder weniger gewollte Selbsttäuschung, eine Hypnose, in die das Böse den Menschen zu versetzen sucht und in die der Mensch sich manchmal gerne versetzen lässt.
Mit Gottes Gnade kann jeder geistig gesunde Mensch das Gute, wenn auch nicht jederzeit äußerlich tun, so doch jederzeit innerlich und ehrlich wollen. Alles andere an uns kann vergewaltigt und gebunden werden, nur eines nicht: unser Wille. „Der Mensch ist frei, und wär` er in Ketten geboren!“ Wenn das alte Heidentum mit Feuersqual die Hand manches Christen zwang, sich zu öffnen und ein Körnlein Weihrauch in die vor dem Götzenbild brennende Glut fallen zu lassen, so konnte es doch nicht ihre Seele hindern, zu gleicher Zeit einen Psalm der Anbetung zu Christus empor zu senden. Nichts und niemand kann uns die Freiheit nehmen, das Gute wenigstens zu wollen; das ist der tiefste und schönste Sinn jenes Wortes, das als heiliges Menschenvorrecht und als hoher Freiheits- und Adelsbrief nicht nur von der Religion, sondern auch von unserem eigenen Bewusstsein uns ausgestellt wird, der schönste Sinn des Wortes: „Willensfreiheit“.
Wo aber bei einem Menschen durch dauernde Störung oder durch vorüber gehende Hemmung seines seelischen oder geistigen Lebens der Wille ausnahmsweise doch seine Freiheit eingebüßt hat, da darf uns auch für einen solchen kranken Menschen gewiss nicht bange sein. Eine Sünde, insbesondere eine Todsünde, kann ja gerade ein Mensch, der nicht mehr im Besitz seiner vollen Willensfreiheit ist, niemals begehen.
Im übrigen aber hat der menschliche Wille nicht nur die bloße Möglichkeit und Frechheit, das Gute zu wollen, sondern er hat dazu von Natur aus sogar eine ausgesprochene Neigung. Wir Menschen sind alle, in weiterem Sinn wenigstens, Kinder Gottes; Gott aber, unser Vater, ist der gute Wille selber in seiner reinsten und höchsten Art, in seiner schönsten und gewaltigsten Verkörperung. Als guter Wille erfüllt er Himmel und Erde und hat dabei ein Stücklein guten Willens auch in jedes Menschenherz gelegt. Das Wort, daß der Mensch von Gott geschaffen ist nach seinem Bild und Gleichnis, findet seine schönste Bestätigung nicht in dem Genie, nicht in der Schönheit, nicht in der Macht einzelner bevorzugter Menschen, sondern in dem Stücklein guten Willens, das in jedem Menschen, der, so roh und boshaft er mit der Zeit auch geworden sein mag, gar niemals in seinem Leben einen Funken guten Willens in sich getragen hätte. Wenigstens als Kind hat doch jeder einigen guten Willen gehabt und das ist ja auch der Grund, warum Gott eben die Kinder so gerne hat: der große gute Wille im Herzen Gottes und der kleine gute Wille im Herzen des Kindes ziehen sich an.
Aber es genügt Gott nicht, den Menschen als sein Ebenbild erschaffen zu haben; er will dieses Ebenbild sich noch ähnlicher machen durch die Gnade. Das zarte Pflänzlein des guten Willens, das der Schöpfer im Menschenherzen gepflanzt, tränkt der Erlöser mit dem köstlichen Tau seines Blutes und hegt der Hl. Geist mit dem Wehen seiner Gnade. Und sieben Dienerinnen, sieben Engel hat die heilige Dreifaltigkeit dem guten Willen des Menschen bestellt: die sieben Sakramente. Schon die Taufe verpflanzt den natürlichen guten Willen in den fruchtbareren Boden der Übernatur und veredelt ihn durch das Gottesreis der Gnade. Und hierauf tritt im Laufe der Zeit eines nach dem anderen die sieben Sakramente herzu, die Firmung und die heilige Kommunion und die letzte Ölung und die übrigen Sakramente und wollen eigentlich alle nur eines: das Himmelspflänzlein des guten Willens in der Wüste des Erdenlebens vor dem Verdorren retten und ihm sein zartes Blühen und Grünen erhalten, damit es einmal auch unsere Sterbestunde noch mit seinem Duft erfülle.
Ganz besonders gilt dies von den heiligen Geheimnissen der Beichte und der Eucharistie. Da fragt man uns oft, ja wir selber fragen uns manchmal: Warum gehst du so oft in den Beichtstuhl und an die Kommunionbank, da du doch nicht voran kommst und nicht merklich besser wirst, vom ‚Heiligwerden‘ gar nicht zu reden? Indes, solches ist uns auch gar nicht verheißen. Es steht nirgends geschrieben, daß das Sakrament der Buße uns äußerlich besser machen müsse,; nur so viel steht in unserem Katechismus, daß dieses Sakrament die heiligmachende Gnade wieder herstellen oder aber sie stärke und vermehre. Diese heiligmachende Gnade ist nichts anderes als die heilige Liebe, und Liebe ist nichts anderes als ein feiertäglicher Name für den schlichten guten Willen, den der Geist Gottes uns ins Herz gegeben.
Und so ist uns da denn verheißen, daß durch unsere Beichten und Kommunionen der gute Wille immer wieder befestigt, betaut und aufgefrischt werde, und niemand wird sagen können, daß die gute Beichte, häufig empfangen, dieses Versprechen nicht einlöse. Wenn die häufige Beichte auch sonst nichts bewirkte, wenn sie uns auch nicht zu sanftmütigen, demütigen, selbstlosen Menschen macht, wie unsere Mitmenschen und wir selber es wohl haben möchten, wenn sie nur das eine bewirkt, daß wenigstens der gute Wille in unserer Seele nicht abstirbt, dann brauchen wir nicht zu zagen, brauchen nicht unruhig nach neuen Methoden der Selbsterziehung, nach neuen Hilfsmitteln und Büchern, nach neuen Beichtvätern uns umsehen: unsere Beichte hat wahrlich genug geleistet und Gott sei für dieses Werk seiner Gnade gepriesen. Ja, in alle Ewigkeit werden wir, froh um jene oft so unbeachtete Frucht unseres Sakramenten-Empfangs, Gott danken für unsere vielen Beichten und Kommunionen. Seien wir aber auch bereits auf Erden nicht undankbar für das Wirken der Gnade Gottes und beten wir den Ewigen an, der da unsichtbar und unscheinbar, aber doch durchaus nicht so frucht- und wirkungslos in unserer Seele tätig ist!
Gott hat das Seine getan, auf daß wir guten Willen haben. Aber freilich, wenn wir nun auch guten Willen haben, so kann uns derselbe immerhin auch wieder verloren gehen. Vor einiger Zeit schrieb ein geistlicher Dichter in einem viel beachteten Aufsatz, der sich mit der Macht und Bedeutung des guten Willens beschäftigte, das wohlgemute Wort: „Guten Willen wirst du mit der Gnade Gottes immer haben.“ Ach, leider entspricht gerade dieses Sätzlein nicht der Wirklichkeit; sonst hätte Christus der Herr nicht über Jerusalem und die Menschheit weinen müssen. Das ist gerade die Tragödie der Menschheit, daß der Mensch trotz aller Gottesgnade doch nicht immer guten Willens ist. Die Willensfreiheit des Menschen ist wie eine hohe Flügeltüre, die nach beiden Seiten sich öffnen lässt, hinein zum Licht und hinaus in die Finsternis, hinein in den guten Willen, aber auch hinaus in den schlechten Willen.
Eben durch diese Türe stiehlt sich auch der Geist der Finsternis hinein in den Menschen und sucht ihm den guten Willen zu rauben. Welche Beute kann der Geist der Tiefe sonst auf Erden machen, als daß er da und dort einem Menschen den guten Willen aus dem Herzen stiehlt und dafür seinen eigenen Willen, den bösen Willen, dessen Verkörperung er ja geworden ist, dafür zurück lässt. „Darum Brüder, seid wachsam; denn der Teufel geht umher!“ (1. Petr. 5, 8).
Oder aber es kann auch irgendeine Leidenschaft sein, die sich des Menschenherzens bemächtigt, den guten Willen daraus verdrängt und sich selbst darin festsetzt. Hass oder Sinnlichkeit, Habsucht oder Lüge nisten sich auf diese Weise da ein, wo der gute Wille sein sollte, und benützen dann gern die Entmutigung und Verzweiflung des Menschen, um sich dauernd darin zu behaupten. Es ist oft ein gewaltiger und langwieriger Ringkampf zwischen dem guten Willen und der Leidenschaft, der schließlich mit solch schmählicher Feigheit und Mutlosigkeit endigt.
Aber auch schon eine einzige schwere Sünde genügt, um den guten Willen des Menschen zu vernichten und auszulöschen wie ein Kerzenlicht. Die Welt zwar glaubt und sagt nicht selten, daß ein Mensch trotz schwerer Sünden doch guten Willen habe. Allein sie sind doch wie ja und Nein, wie Tag und Nacht: der gute Wille und die schwere, klar erkannte und frei gewollte Sünde. Der Wille ist gut, wenn er das Gute will; er sündigt, wenn er das Böse will. Und darum ist es nicht möglich, daß einer schwer sündige und zugleich guten Willen habe. Wenn die Welt dennoch beides vereinigen zu können wähnt, dann weiß sie entweder nicht, was das Wort Todsünde, oder aber, was das Wort „Guter Wille“ bedeutet. Sobald jemand nicht nur äußerlich irgend etwas Verbotenes tut, sobald jemand nicht nur einem unwiderstehlichen innere oder äußeren Zwang zum Opfer fällt, sondern mit Klarheit und Freiheit die schwere Sünde begeht, dann ist der gute Wille verleugnet und verraten, dann ist der göttliche Funken, an dem alle anderen Kerzen im Heiligtum unserer Seele, alle anderen Tugenden und guten Werke entzündet werden, verschlungen von der Finsternis.
Doch vielleicht noch nicht verschlungen für immer. Solange noch nicht die ewige Nacht angebrochen ist, ist die Gnade Gottes bereit, wieder an uns heran und in uns einzutreten und die erloschene Ampel unseres guten Willens wieder anzuzünden; wir brauchen sie nur nicht aufs neue zu verscheuchen und das Licht Gottes kann bald wieder in uns brennen.
Jene, die da sagen, sie könnten keinen guten Willen mehr haben, leugnen nicht nur die menschliche Freiheit, sondern auch die ewige und allgegenwärtige göttliche Gnade. In den Augen Gottes ist es kein Unglück, wenn ein Stern, eine Sonne erlischt irgendwo im Weltall: wohl aber ist es ein Unglück, eine Katastrophe in Gottes Augen, wenn in irgendeinem Menschenherzen das Fünklein des guten Willens erlischt. Und keine größere Lust konnte es für den Ewigen bedeuten, da er einst am Weltenmorgen die Sonnensysteme aufblitzen sah, als nun, wenn in einer Armsünderseele das Lichtlein des guten Willens wieder angeht.
Und so sagt denn Augustinus trotz der Kämpfe, die er selber einst bestanden, daß nichts dem freien Willen leichter sei als er selber. Wer ernstlich guten Willen haben möchte, der hat ihn, ehe er danach ruft. Aber ernst muss er es meinen und darf mit Gottes Gnade kein frevles Spiel treiben.
Der Engel der Gnade steht vor der Türe und wartet nur darauf eingelassen zu werden; er wartet bis ins letzte Stündlein hinein und wie oft hat er gerade da noch das Licht des guten Willens angezündet, diese einzige Sterbeampel, die den Weg in die Ewigkeit hell und freundlich macht. So tat der Engel der Gnade bei jenem rechten Schächer und so tut er jeden Tag wohl tausendmal bei sterbenden Menschen und verlangt als Gegengabe nur ein wenig Reue und guten Vorsatz.
Wehe dem, der diesen Engel nur narrt und ihn zwar ruft, aber dann doch von ihm den guten Willen wieder nicht haben will. Wehe dem, der dem Engel der Gnade und mit ihm auch dem guten Willen die Türe versperrt hält; wer weiß, ob der Engel der Gnade noch Zeit finden wird, noch oftmals anzuklopfen.
Wohl aber dem, der diesem Engel öffnet und vielleicht nach langer, langer Zeit das Licht des guten Willens wieder empfängt, das ihm nun niemand mehr nehmen kann. Ott im Himmel und seine Engel freuen sich nicht nur über einen guten Willen, der wie ein ewiges Licht ununterbrochen leuchtete vom Tauftag bis ins Sterbestündlein, sondern auch über jenen schwächeren guten Willen, der verloren ging aber wieder gefunden ward, der schon erloschen war, aber wieder entzündet werden konnte. –
aus: Abt Bonifaz Wöhrmüller OSB, Frohe Botschaft, 1929, S. 21 – S. 28